Über stinkendem Graben,
Papier voll Blut und Urin,
umschwirrt von funkelnden Fliegen,
hocke ich in den Knien,
den Blick auf bewaldete Ufer,
Gärten, gestrandetes Boot.
In den Schlamm der Verwesung
klatscht der versteinte Kot.
Irr mir im Ohre schallen
Verse von Hölderlin.
In schneeiger Reinheit spiegeln
Wolken sich im Urin.
"Geh aber nun und grüße
die schöne Garonne -"
Unter den schwankenden Füßen
schwimmen die Wolken davon.
(Günter Eich [1907-1972], in "Abgelegene Gehöfte", 1948)
Anmerkung: Brillanter kann man das Ende jedweder Romantik nicht in Worte fassen - Eich hat hier exakt das formuliert, was uns seit 1945 in unschöner Stringenz erneut begleitet und was seit einigen Jahren wieder rapide Fahrt aufnimmt. Nur der Mensch ist dazu fähig, ein Paradies mithilfe eines perversen Systems konsequent, nachhaltig und stetig wiederholend in eine wunderbar stinkende Latrine zu verwandeln.
Ich finde es aber extrem erschreckend, dass ein so bedeutender Lyriker und Schriftsteller wie Günter Eich heute offenbar schon zu den "Vergessenen" gehört, die kaum jemand mehr kennt. Ich war ehrlich geschockt, als ich diesen Blogbeitrag des Duderichs las - und frage mich zunehmend, ob diese Ahnungslosigkeit wirklich zufällig vorherrscht. Ist das repräsentativ? Kennt wirklich kaum jemand mehr Eich, Fried, Bachmann, Nick oder andere bedeutende SchriftstellerInnen der Nachkriegszeit? Ich kann und mag mir das nicht vorstellen - ich möchte schließlich auch nie in die Situation geraten, irgendwem erklären zu müssen, wer Mendelssohn, Mahler oder Dvořák war.
Vielleicht hat Eich mit seiner "Latrine" aber auch genau diese Situation vorhergesehen, und während alle Wolken elitengesteuert und geplant in den schillernden Urinbächen fröhlich davonschwimmen, mausert sich der unter Anderem durch Unwissenheit genährte Faschismus wieder zu einem veritablen Brocken. Wir sind offenkundig auf einem tiefbraunen Weg.
1 Kommentar:
Wie bezeichnend, dass niemand kommentiert. Soviel zur Bildung in Deutschland 2014.
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