Die Frau des Henkers aß eines Mittags nicht mehr weiter.
Ihr Mann verspeiste grad ein junges Huhn.
Sie sah ihm zu ... und wusste nicht,
warum sie sich an ihren Hochzeitstag erinnern musste
und an die Myrthen, und dass jemand sang.
Es war ein weißes Huhn gewesen,
so sanft und weiß und warm
und ganz geduldig unter dem Messer.
Nun aß es ihr Mann, und ein Tropfen Fett
rann über seine weiß gebürsteten Finger.
Da schrie sie, ganz so, wie ihr Mann
es von manchen Verurteilten erzählte,
wenn sie ihn sahen.
Sie schrie und stieß ihren Teller von sich
und lief hinaus, durch den kleinen Vorgarten
und die Straßen der Stadt,
durch das Feld mit Mohn
und das Feld mit Weizen
und das Feld mit dem grünen Klee.
Sie suchten sie lange vergeblich.
(Hertha Kräftner [1928-1951], in: "Das blaue Licht. Lyrik und Prosa", Luchterhand 1981)
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