Dienstag, 17. November 2015

Zitat des Tages: Meine Zeit


Gesang und Riesenstädte, Traumlawinen,
verblasste Länder, Pole ohne Ruhm,
die sündigen Weiber, Not und Heldentum,
Gespensterbrauen, Sturm auf Eisenschienen.

In Wolkenfetzen trommeln die Propeller.
Völker zerfließen. Bücher werden Hexen.
Die Seele schrumpft zu winzigen Komplexen.
Tot ist die Kunst. Die Stunden kreisen schneller.

O meine Zeit! So namenlos zerrissen,
so ohne Stern, so daseinsarm im Wissen
wie du, will keine, keine mir erscheinen.

Noch hob ihr Haupt so hoch niemals die Sphinx!
Du aber siehst am Wege rechts und links
Furchtlos vor Qual des Wahnsinns Abgrund weinen!

(Wilhelm Klemm [1881-1968], in: "Gesammelte Verse", hg. v. Imma Klemm und Jan Volker Röhnert, Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung 2012; erstmals in: Wilhelm Klemm: "Aufforderung. Gesammelte Verse", Verlag Die Aktion 1917)


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