Eigentlich hatte ich beschlossen, zu den Anschlägen in Paris keinen Blogbeitrag zu verfassen - insbesondere nicht innerhalb eines so kurzen Zeitraumes nach den Morden. Der Verlauf des Sonntags hat meine Meinung allerdings insofern verändert, dass ich zumindest eine kleine Anmerkung dazu loswerden möchte.
Es geht mir extrem auf die Nerven, dass heuer einmal mehr ein solches, von Politik und Medien inszeniertes und nebenbei schamlos instrumentaliertes Bohei um diese Anschläge veranstaltet wird. Am Sonntag war beispielsweise bei n-tv im Politik-Bereich nicht ein einziger Artikel abrufbar, der sich nicht mit diesem Thema beschäftigte. Als unfreiwilliger Zeuge der TV-Berichterstattung musste ich ebenfalls feststellen, dass hier - gemessen an der Art und dem Umfang der "Sondersendungen" - offenbar eine globale Invasion von bösartigen Außerirdischen stattgefunden hat, welche die Ausrottung der Menschheit zum Ziel hat.
Angesichts des katastrophalen Zustands dieser Welt, den man mit gutem Recht tatsächlich als bösartig klassifizieren kann, ist diese Form der medialen und politischen Aufmerksamkeit für ein Einzelereignis nur noch lächerlich und absurd zu nennen. Auf diesem verkommenen Planeten gab und gibt es ständig vergleichbare Untaten, die zumeist völlig Unbeteiligte betreffen - es liegt auf der Hand, dass hier mit mindestens zweierlei Maß gemessen wird. Einige pseudokritische KommentatorInnen auf anderen Webseiten haben die Behauptung aufgestellt, das läge vermutlich an der "räumlichen Nähe" zu Frankreich. Diese Kritik geht am Kern aber völlig vorbei, denn es ist nicht die "räumliche", sondern eine ganz andere "Nähe", die hier die tragende Rolle spielt: Das Tamtam wäre nicht weniger absurd ausgefallen, wenn es nicht Paris, sondern beispielsweise Chicago, Vancouver oder Sydney getroffen hätte - während vergleichbar viele Morde in der Ukraine, im Nahen Osten oder in Afrika hierzulande allenfalls in der Rubrik "Sonstiges" auf Seite 36 - wenn überhaupt - den Weg in die Medien finden.
Hier geht es klar erkennbar um den bösen Krieg des kapitalistischen Westens bzw. seiner "Elite" gegen den Rest der Welt - und wenn dieser Krieg wieder einmal auch irgendwo an der transatlantisch verbündeten "Heimatfront" seine selbstverständlich widerliche, blutige Fratze zeigt, schreit die Propaganda wild auf und die politischen Protagonisten bzw. Sockenpuppen ergehen sich gleich reihenweise in lächerlichsten Beileids- und Solidaritätsbekundungen sowie grotesken Instrumentalisierungen, die perfider gar nicht sein könnten.
Inzwischen kotzt mich das nur noch an - man verzeihe mir diese Wortwahl. Jedes einzelne der beispielsweise in Afrika inzwischen längst in die Millionen gehenden Hungeropfer des kapitalistischen Terrors oder der vielen tausend Drohnenopfer der hinterhältigen Mordangriffe der us-amerikanischen Terror-Miliz war nicht weniger wertvoll als die jetzt in Paris getöteten Menschen. Diese schamlose, interessengesteuerte Bigotterie quer durch die "westliche Welt" macht mich nachhaltig krank.
Ich bin ausdrücklich nicht nur World Trade Center, Charlie Hebdo oder Paris - denn ich bin Mensch, und damit u.v.a. auch Mittelmeer, Aleppo, Somalia und Kunduz.
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([Leider unvollständiges] Zitat aus: Albert Einstein [1879-1955]: "Für einen militanten Pazifismus", in: "Warum Krieg? Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud", Internationales Institut für geistige Zusammenarbeit, Paris 1932)
6 Kommentare:
Und nun kommen sie alle wieder aus ihren Rattenlöchern: die Söders, die Scharfmacher, die Pegidäsen, die PI-Fans und Nazis: "Wir haben es ja schon immer gesagt!" Es folgt der übliche sinnlose Aktionismus: Trauerreden- und "Feiern", militärische Einsätze und Aufrüstung, Abbau der Bürgerrechte (Hollande will den Ausnahmezustand auf drei Monate verlängern!), eine nachträgliche Legitimierung der Vorratsdatenspeicherung -dabei hatte die Frankreich ja und es hat auch nicht geholfen- eine Ausweitung der Überwachung und so weiter.
Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte, dass man Terrorismus so nicht besiegen, sondern nur züchten kann. Israel versucht seit bald 65 Jahren den Terrorismus mit militärischen Mitteln zu besiegen, Afghanistan wurde in die Steinzeit gebombt und die Taliban sind so stark wie nie, der IS ist erstarkt.
Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einem kompletten Stopp aller Waffenlieferungen in den Nahen Osten und in diktatorische Länder? Aber das geht natürlich gar nicht. Das würde dem militärisch-industriellen Komplex absolut nicht gefallen. Bigotte Heuchelei allerorten.
Moin Charlie,
Danke, Danke und nochmals Danke für den schönen Blogeintrag.
Ich war kurz davor ne Lichterkette mit mir selbst zu machen.
D'accord zu deinem Beitrag und allen Kommentaren. Ihr sprecht mir aus der Seele
Es fällt schwer, hier zu leben ohne das permanente Gefühl zu haben, dass einem Blut an den Händen klebt.
Dazu auch der Tammox http://tammox2.blogspot.com/2015/11/der-spin-von-paris.html und ein ebenso realistischer Beitrag vom Ben http://www.salon.com/2015/11/14/our_terrorism_double_standard_after_paris_lets_stop_blaming_muslims_and_take_a_hard_look_at_ourselves/
Unter Anderem wird die fruchtbare Zusammenarbeit der diesbezueglich westlich/islamistischen Extremisten betont, welch einen der, wie so viele auch sonstig unterschlagene, ausschlaggebenden Aspekte beschreibt.
Brueder im Geiste, die sich des anderen Existenz erfreuen und sich eskalationsgeil staendig gegenseitig einen runterholen.
Ein global, staatlich organisiertes Verbrechen, welches an geplanten Sauereien nichts zum wuenschen eruebrigt.
Populistische Inzucht welche, wie gehabt, die Uebersicht verliert und anstatt der ueblichen Gewalt nur mit noch mehr Gewalt reagiert. ... Weiter so! da brauch ich mir auch weiterhin, wie schon seit den spaet 70gern+, keine naeheren Gedanken machen.
Ausser dem simplen Schlimmer geht Immer ...
Von der Berichterstattung hat das ein wenig was von 1984 oder? War ist peace.
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