Montag, 15. Februar 2016

Die Segnungen der "sozialen Marktwirtschaft": Kapitalismus und Nachhaltigkeit


Jedem, der länger als fünf Minuten über das global herrschende Wirtschaftssystem nachdenkt, dürfte klar sein dass es sich bei dem Begriffspaar "Kapitalismus / Nachhaltigkeit" um ein sogenanntes Oxymoron bzw. Oppositionspaar, mithin also um ein klassisches Paradoxon handelt. Die gängige Erzählung der Politik und der hofierenden Massenmedien klammert diese banale Erkenntnis in aller Regel rigoros aus, so dass es allenfalls gelegentlich zu "bedauerlichen Einzelfällen" wie dem folgenden kommt, den ich kürzlich auf den Seiten des WDR entdeckt habe:

Auf dem Schrottplatz von Dirk G. aus Castrop-Rauxel stehen immer mehr Autos, die jünger sind als zehn Jahre und zum Teil nur 50.000 Kilometer gelaufen sind. "Es tut mir persönlich weh, solche Autos zu verwerten", sagt der 47jährige Kfz-Meister. Aber Auftrag sei eben Auftrag. "Der Kunde will es so", erklärt G. / Der Kunde ist ein Vertrags-Händler eines deutschen Automobil-Herstellers. Der Autokonzern zahlt seinen Kunden aktuell bis zu 3.000 Euro Wechselprämie, wenn sie einen Neu- oder Jahreswagen kaufen und ihren mindestens neun Jahre alten Gebrauchtwagen abgeben. Doch statt die Wagen weiter zu verkaufen, lässt der Händler die alten Fahrzeuge kurzerhand verschrotten.

Auch die korrupte Bande in Berlin ist auf diesem Gebiet selbstverständlich bestens bewandert - wir erinnern uns noch glückselig an die "Abwrackprämie" und freuen uns nach wie vor über die sinnfreien "Feinstaubplaketten", mit deren Hilfe ältere, eigentlich voll funktionstüchtige Automobile vom heimischen "Markt" erfolgreich in die Verschrottung oder - um mehr Kohle zu generieren - in den Export zum Mars nach Afrika gedrängt wurden. Der völlig überraschende "Abgasskandal" hat die "Feinstaubplakette" nachträglich noch in die Königsklasse des Kafkaesken erhoben, wo sie nach wie vor schillernd und für alle sichtbar als korrupter Irrsinn vor sich hin mäandert (und unablässig weiter Kohle anschafft, ohne dass irgendjemand sie ernsthaft in Frage stellt). - Es ist nur eine Randnotiz, dass für teure Oldtimer, die ungleich mehr Sprit verbrauchen und Gifte in die Welt pusten, natürlich Sonderregelungen gelten - man will der selbsternannten "Elite", für die Politik im Kapitalismus einzig gemacht wird, ja schließlich nicht die glitzernden, rauchenden Spielzeuge vergrätzen.

Selbstverständlich betrifft dies nicht bloß die Automobilindustrie, auch wenn die Groteske dort ganz besonders offensichtlich wird. Ein WDR- oder sonstiger Redakteur kommt mangels Kompetenz, fehlender Hirnleistung oder schnöder Vorgabe vielleicht nicht darauf; ein Grundschulkind erkennt dafür aber umso schneller: Ein Wirtschaftssystem wie der Kapitalismus kann unter gar keinen Umständen "langlebige", "nachhaltige" Produkte hervorbringen, ohne sich selbst ad absurdum zu führen. Trotzdem werden stets fleißig Nebelkerzen geworfen, und sogar das "Umweltbundesamt" (hier ist ein "*lol*" der einzig passende Kommentar) wird nicht müde, immer wieder lächerlichste Forderungen in die Welt zu posaunen, die von interessierter Seite weder erwünscht, noch im Rahmen dieses Systems überhaupt umsetzbar sind.

Wer dieses System für "reformierbar" hält, muss entweder geisteskrank oder pervers - oder beides - sein. Die politische und mediale Öffentlichkeit ist offensichtlich beides. Nachhaltig.

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Des Bootes Jammer



(Gemälde von Akseli Gallen-Kallela [1865-1931] aus den Jahren 1906/07, Öl auf Leinwand, KOP Bank von Finnland [sic!], Helsinki, Finnland)

8 Kommentare:

epikur hat gesagt…

"Nachhaltigkeit" ist vor allem ein Marketingbegriff, der uns einen vermeintlich "guten Kapitalismus" verkaufen will. Dazu gehört dann die neue "share economy", Mikrokredite, Greenwashing, soziales Unternehmertum und natürlich der bigotte Bio- und Ökowahnsinn. Allen ist gemein, dass es ums "Geschäft" geht. Um einen "guten Konsum". Oder anders: wir konsumieren einfach gezielter, geben womöglich mehr Geld aus - nur damit sich nichts ändert. Damit der Wahnsinn, so wie er jetzt ist, beibehalten werden kann. Alles um der schlichten Wahrheit nicht ins Auge sehen zu müssen: ohne einen radikalen Wandel geht es nicht, wird es niemals gehen.

darkmoon hat gesagt…

Das Wort "Nachhaltigkeit" ist doch nur im Rahmen des kapitalistischen Systems ein "Marketingbegriff", ansonsten aber ein zwingend notwendiges Faktum für das Überleben der Menschheit. Mit anderen Worten: Überleben kann die Menschheit nur, wenn sie dem Kapitalismus endlich abwschört.

Und morgen erzählen wir die Jesus-Geschichte, liebe Kinder.


altautonomer hat gesagt…

Das Foto in dem WDR-Text muss ein Fake sein, denn bei dem roten Golf Plus Cross kann es sich unmöglich um ein Schrottauto handeln. Das ist noch eine von den feinsten Lauben. Allein die Räder dürften noch 600 Euro wert sein.

Der WDR berichtet unter anderem: "Dennoch werden die Autos auf deutschen Straßen immer älter. Das deutsche Durchschnittsauto ist inzwischen neun Jahre alt - Tendenz steigend. Der Verband der Automobilindustrie führt das vor allem auf die hohe Qualität der Fahrzeuge zurück. " Das ist aber falsch. Denn die von den Herstellern geplante Obsoleszenz als Reaktion auf die frühere Langlebigkeit von Pkw mit relativ großem Motor und dazu angepasster PS-Zahl heißt im Automobilbau jetzt "Downsizing". Der Trend geht zum Bau kleiner Dreizylindermotoren unter 1 Liter Hubraum, aber mit über 120 PS. Dazu dann noch dank der vielen Elektronik und Fahrassistenzsysteme ein Gewicht von nicht unter 1,5 t. So etwas kann nicht lange gut gehen.

Eine neue Abwrackprämie ist übrigens in der Diskssion. Damit sollen in Kürze Elektroautos gefördert werden. Das wäre aber ein eignes Theam.

Charlie hat gesagt…

@ Altauto: Gewiss ist vieles, was der WDR dort in die Welt posaunt, falsch - die angebliche "hohe Qualität" heutiger Vehikel gehört natürlich dazu. Die Fotos aber sind nach meiner Einschätzung kein "Fake", da sie ja allesamt von einem namentlich genannten Fotografen stammen, der sie offenkundig auf eben jenem Schrottplatz im Ruhrgebiet, über den berichtet wird, aufgenommen hat.

Der Schrotthändler dürfte sich gerade wegen solcher relativ leicht zu "verwertender" Teile wie beispielsweise der Alufelgen über den Auftrag freuen.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass es seinerzeit selbst für einen blutigen Laien wie mich überhaupt kein Problem war, beispielsweise den undichten Kühler eines Autos auszubauen und durch einen auf dem Schrottplatz erworbenen (dort ebenfalls selbst ausgebauten) Ersatz, der damals maximal 10 Mark kostete, auszutauschen. Heute ist das indes völlig utopisch - selbst das Wechseln einer defekten Glühlampe bedarf ja oft schon der Hilfe einer Werkstatt. Das ist kein Zufall und hat auch nichts mit der "komplexeren Technik" zu tun, wie allenthalben behauptet wird.

Auch das Auto ist im kapitalistischen Wegwerf-Zeitalter längst angekommen und wird selbstverständlich so konzipiert, dass es möglichst nicht lange funktioniert bzw. von blutigen Laien nicht schnell repariert werden kann. Bei Elektronikgeräten verwendet die Bande dafür beispielsweise nicht austauschbare, fest eingebaute Akkus und nicht aufschraubbare, verklebte Plastikgehäuse - in der Automobilindustrie geht der Trend seit Langem in dieselbe perverse Richtung. Die "Logik" dieses Systems führt uns also immer weiter vom Sinnvollen, Anzustrebenden weg in Richtung eines vollkommenen Irrsinns.

Elektroautos gehören übrigens auch dazu, solange an dem perversen Konzept festgehalten wird, dass diese selbstverständlich das konzerngesteuerte, also profitorientierte Stromnetz zur Aufladung der Akkus nutzen sollen, anstatt sinnvolle Alternativen, von denen es so einige gibt, umzusetzen.

Ohne die Geißel des Kapitalismus könnte diese Welt schon längst in vergleichsweise paradiesischen Bahnen ihre Runden ziehen - nicht nur in Sachen Langlebigkeit und Energieeffizienz.

Liebe Grüße!

Eike Brünig hat gesagt…

Es verhält sich sogar noch schlimmer. Ein aktuelles Auto ist ein Smartphone auf Rädern. Es tracked Dich permanent.

Wie oft Du das Radio nutzt, welche Sender Du hörst und auch ob Du CDs hörst und falls Speichermedien angeschlossen, sind welche Dateiformate in welcher Häufigkeit verwendet werden und was für Speichermedien zum Einsatz kamen und natürlich auch welche Musik oder Hörbücher gehört werden.

Selbstverständlich werden auch die Daten vom Navi komplett abgegriffen, genau wie die Bedienung der einzlnen Instrumente des Cockpits. Um aber das interne Navi auch normal zu nutzen, musst Du noch ein Jahresabo beim jeweiligen Hersteller abschließen.

Einige Autohersteller können Dir den Karren auch extern sperren.
Simpelste Verschleißteile sollen nicht mehr vom einfachen Nutzer ersetzt und repariert werden können. Das könnte ggf. auch Informationswege lahmlegen, die aber getracked werden wollen.

Es hat schon seine Gründe, warum es heute keine Mantaclubs mehr gibt, dafür aber Heimtuning beim Rechner angesagt ist. Früher gab es mal den Spruch: Wenn ein Produkt nichts kostet, bist Du das Produkt! Heute zahlst Du jeden Preis dafür, auch das Produkt zu sein zu dürfen.

Wenn die Bullizei über die technischen Möglichkeiten verfügen würde, wäre eine fast lückenlose, individuelle Verkehrsüberwachung mit automatischem Abkassieren für das zu schnelle Fahren und Falschparken etc. problemlos machbar. Mich wundert ja, dass noch keine Versicherungsgesellschaft diese Technik für Ihre Zwecke nutzt. Wahrscheinlich könnte das Gros der Unfälle der letzten vier Jahre neu aufgerollt werden. Da kämen ganz erkleckliche Summen zusammen. Wahrscheinlich ist im Moment nur der Anschaffungspreis für die nötige digitale Infrastruktur noch zu hoch.

altautonomer hat gesagt…

Eike Brüning nennt mir das Stichwort Tracker. Vor Wochen schrieb ich über Fitnesstracker einen Gastbeitrag. Nun wird der Trend in diese Richtung Schritt für Schritt Realität.

" Die TK hat ihr Bonusprogramm bereits auf Wearables ausgeweitet. Auch bei der AOK Nordost wird die Anschaffung entsprechender Geräte inzwischen bezuschusst. Das alles mag nicht dramatisch erscheinen, doch das dicke Ende kommt bestimmt."

"So äußerten 75 Prozent der Befragten ihre Bereitschaft, im Krankheitsfall die per Fitnessarmband, Smartphone oder Smartwatch (sog. Wearables) gewonnenen Daten an den Arzt zu übermitteln, unter chronisch Kranken wären es sogar 93 Prozent."

https://www.jungewelt.de/2016/02-17/012.php

jakebaby hat gesagt…

Ihr habt vielleicht Probleme ...

Ich fahre u.A. seit 15 Jahren einen 89ger 2500 (von 3/4tel auf 1 1/2 Tonnen aufgeruesteten Chevy Pickup Crewcab (kein Klassiker aber auesserst selten)
Schon 2002 lies ich eine umweltfreundliche Auspuffanlage inklusive ueberstandard Katalysatoren installieren, um dadurch dem als auch oekonomischen 400 PS 8 Liter V8 (ein leicht augebohrter old Muscle 454/7,4L) MSD gesteuerten Edelbrock/Weber Doppelvergaser Triebwerk gerecht zu werden.
Marty, its Chevys Name, mag auch, dass mehr Leute Hybriden kaufen, da er ihr erspartes Benzin braucht und ist auch ansonsten ein froehlicher Kumpel, der schon lechzend die erste Gallone wegschlabbert wenn ich ihm den Zuendschluessel vor der Fahrt zur Gas/Beer-Pumpe zeige.

Und nochwas in Bezug auf diese neuen, geschwaetzigen Karren. Marty erzaehlt Niemandem Garnichts. What happens with Marty stays with Marty. No Tracks no Tricks .. ein wahrer Freund!

Gruss
Jake

Ich bin kein Roboter hat gesagt…

Schöner Artikel und schöne Kommentare bezüglich des Kapitalismus!

Habe in den letzten Tagen wieder ein paar Knalltüten in meinem "Borg-Würfel" (leider) kennen gelernt, und bin froh auch wieder ein paar vernünftige Stimmen zu hören/lesen :)


Zum Thema "Alternative zum Kapitalismus":
Kennt jemand den Roman "Futurum Zwei" von Skinner?
Den lese ich momentan... Klingt alles ganz nett im Buch... aber irgendwie habe ich ein unbestimmtes, grummelndes Bauchgefühl dagegen...