Mittwoch, 21. September 2016

Zitat des Tages: The Show’s Going On


Das wollte Robert Gernhardt unter anderem: Die Welt nicht als dümmeren Ort verlassen, als er sie vorgefunden hatte. Ob ihm das gelungen ist, will ich nicht beurteilen; dass mir es nicht gelingen wird, ist so gut wie sicher.

(Stefan Gärtner [*1973] in seiner Titanic-Kolumne "Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück" vom 18.09.2016)

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Betrachtung


"Die Biester sind Gott sei Dank genau wie die Menschen. Wenn sie nichts zu fressen kriegen, sind sie zu schlapp zum Beißen, und wenn sie zu fressen haben, zu faul."

(Zeichnung von Marcel Frischmann [1900-1952], in "Simplicissimus", Heft 12 vom 16.06.1930)

7 Kommentare:

Schirrmi hat gesagt…

Genau über dieses Zitat bin ich auch gestolpert und es blieb in meinem Zettelkasten hängen. Ist das Resignation?

Ich lese den Stefan Gärtner sehr gerne. Er sorgt oft für einen klaren Blick auf die Dinge / Personen.

Charlie hat gesagt…

@ Schirrmi: Das ist keine Resignation - das ist nur schnöder Realismus.

Liebe Grüße!

Schirrmi hat gesagt…

Wir reden grade darüber ob Robert Gernhardt seine, meiner Meinung nach hehren Wunsch "Die Welt nicht als dümmeren Ort verlassen, als er sie vorgefunden hatte" nicht doch eigennützig und in dem Gedanken dass er etwas Bleibendes hinterlässt, eventuell dass er nach seinem Tod weiterlebt gesagt hat.

Ich denke dass jeder Mensch seinen Fußabdruck hinterlässt und sagen wir mal, nicht nur einen sondern einige Schmetterlingsflügelschläge in seinem Leben ausgelöst hat mit dem er, egal wo, egal bei wem, aber trotzdem Welten verändert hat. Und wenn es nur unbedarfte Äußerungen, gelegentliche Berührungen, vielleicht ein Lachen - eventuell ein böser Blick war.

Ich bin in der Lage meinen und fühlen zu können (ich sage Dir nicht ob ich so empfinde) dass meine Frucht, mein Sohn, dem ich meinen Stempel aufgedrückt habe, in meinem Sinne den Schirrmi weiter und weiter in die Welt trägt, der Gedanke könnte tröstlich sein wenn man nicht will dass der Tod das Ende ist.

"The Dead is not the End" singt Nick Cave und bringt es auf den Punkt. Irgendwas von uns wird immer weiter leben. Und das ist schön.

Liebe Grüße!

Charlie hat gesagt…

@ Schirrmi: Die Frage, ob ein Mensch "Spuren" hinterlässt, wenn er diese Welt wieder verlässt, ist ja eine andere als die, welche Gärtner thematisiert. Ich bin mir - unabhängig vom "Spuren"-Thema - inzwischen ebenfalls sicher, dass die Welt, die zum Zeitpunkt meines Ablebens existiert, ganz gewiss eine schlechtere Welt ist als die, die ich vor vielen Jahren betreten habe.

Daran konnte der gesamte Kladderadatsch meines bisherigen Lebens (Kriegsdienstverweigerung, DFG-VK, amnesty international, die versuchte Vermittlung meiner Ideale an meinen Nachwuchs etc.) nichts ändern.

Liebe Grüße!

Fluchtwagenfahrer hat gesagt…

Moin Schirrmi,
ich beneide dich um deine romantische, hoffnungsvolle Sichtweise. Es ist dir sicherlich ein Trost.
Allerdings halte ich das eher wie Charlie, die Welt ist meinem Empfinden nach einen Tick dümmer und schlechter geworden. Zum Thema Spuren denke ich das meine gelatschten Löcher im Dreck, spätestens 10 J nach meinem Ableben durch den Sand der Zeit zugeweht wurden und gesamtzeitlich betrachtet, mein manchmal unheiliges Wirken, im statistischen Grundrauschen unter gegangen ist bzw. zu diesem beigetragen hat.
Scheiß drauf, ich war sowieso eher der Glas halbvoll Typ.
Schade ist nur, das es den Menschen die besser, weiser und klüger waren, genauso geht. Charlie zitiert ja häufig die Schlaulinge, aber who cares? Einfach Schade, hätte mal man eher auf den ein oder anderen gehört so hätte man das Ruder noch rum reißen können, eine wirkliche Weiterendwicklung des Humanoiden lag im Bereich des Möglichen. Die derzeitige Situation der Menschen ähnelt sehr stark denen vor hundert oder hunderten Jahre, Murmeltiertag oder alter Wein in neuen Schläuchen.
LG und lasst euch nicht unterkriegen
the Show must go on (tusch)

Schirrmi hat gesagt…

@Charlie und Fluchtwagenfahrer
Ich bin ganz bei euch und wir sind nicht voneinander entfernt. Denn, Herr Fluchtwagenfahrer, im Gegensatz zu Ihnen ist mein Glas immer halb leer.
Was ich meine ist, ich sehe mich und auch andere Menschen die sichk, und das ist nur ein Beispiel, durch alte Texte, von alten Philosophen beeinflussen ließen und es dauert noch an. Menschen die schon lange tod sind, leben in zumindest in meinem Geiste weiter und sind nicht vergessen. Und haben immer noch was bewirkt.
Dass der Mensch im Allgemeinen heutzutage unseren Planeten zugrunde richtet - unbebenommen. Aber das ist eine Weisheit die mir vor 30 Jahren schon ein Pestizidverstreuender, auf Gewinnmaximierung bedachter Obstbauer erzählte. Kurz bevor er einen Knick im Hirn bekam und vom Saulus zum Paulus wurde. Und Gutes tat, bereute und mit seinem, ihm überflüssigen Geld nachhaltiges anfing.
Ich meine, und da zähle ich Bukowski hinzu, man kann etwas hinterlassen in der Hoffnung dass es nicht schlimm ist und es Menschen verändern kann.
Prost und liebe Grüße,
Schirrmi

Charlie hat gesagt…

@ Schirrmi: Das sind, wie gesagt, zwei unterschiedliche Themen. Selbstverständlich gab es zu allen Zeiten stets auch äußerst bewundernswerte Menschen, die Bleibendes geschaffen, geschrieben oder getan haben, und das waren noch nicht einmal wenige. Darum geht es dem Herrn Gärtner und auch mir, der ich ihn zitiere, an dieser Stelle aber nicht.

Diejenigen Menschen, die in diesem furchtbaren System der Habgier, dem inzwischen die ganze Welt quasi wehrlos ausgesetzt ist, an die Schalthebel der Macht gelangen (und das sind auch heute nur in den seltensten Fällen Politiker), scheren sich nicht um Philosophie, Literatur, Musik, Wissenschaft etc., sondern lediglich um Macht- und Klassenerhaltung und persönliche Bereicherung. Das war vor 100, vor 200, vor 300 Jahren so, und heute ist es noch immer nicht anders.

Deswegen steuert die Welt unaufhaltsam auf den Abgrund zu - trotz der vielen, vielen humanistischen Ideen, Konzepte und Erkenntnisse der Vergangenheit.

Erich Fromm schrieb 1941 in seinem Buch "Die Furcht vor der Freiheit":

"Die Zukunft der Demokratie hängt von der Verwirklichung des Individualismus ab, der seit der Renaissance das Ziel des modernen Denkens ist. Die kulturelle und politische Krise unserer Zeit liegt nicht daran, dass es zuviel Individualismus gibt, sondern dass das, was wir für Individualismus halten, zu einer leeren Schale geworden ist. Der Sieg der Freiheit ist nur möglich, wenn die Demokratie sich zu einer Gesellschaftsform entwickelt, wo der einzelne Mensch mit seinem Wachstum und seinem Glück Ziel und Zweck der Kultur ist, wo das Leben keine Rechtfertigung durch Erfolg oder irgend etwas anderes braucht."

Man braucht diesen (hier exemplarisch erwähnten und im Detail durchaus kritikwürdigen) Anspruch Fromms bloß mit unserer heutigen medialen, politischen und gesellschaftlichen Realität zu vergleichen, um zu erkennen, dass sich die menschliche Gesellschaft - gerade auch die "freiheitlich-demokratische" Variante des Westens - seit Jahrhunderten auf dem entgegengesetzten Weg befindet. Einzelne - manchmal sogar sehr massive und massenhafte - Ausbruchversuche ändern leider nichts daran, dass unterm Strich nach wie vor die stinkende Kloake des Abgrundes blubbert.

Liebe Grüße!