Montag, 27. Februar 2017

Öffentlich-rechtliches Bildungs-TV: "Die Degradierung des Menschen"


Wer hier öfter mitliest, weiß vermutlich bereits, dass ich kein TV schaue und mich entsprechend auch nicht damit auskenne, welche Auswüchse die Boulevardisierung und Trashisierung des Fernsehens inzwischen angenommen hat. Ich bekomme so etwas immer nur fragmentarisch (beispielsweise durch fernsehkritik-tv, wo ich sporadisch mal reinschaue), durch Freunde und Bekannte oder aber durch Medienberichte mit. Durch Zufall bin ich kürzlich auf einen Beitrag bei Zeit Online gestoßen, in dem eine "neue Show" des öffentlich-rechtlichen, also durch Zwangsgebühren finanzierten Senders ZDFneo kritisiert wird, nämlich das Format "Bist Du 50.000,- wert?".

Allein der Titel lässt mich schon an finsterste RTL-Kloaken denken, aber hier handelt es sich eben nicht um werbefinanziertes, "privates" Trash-TV, sondern um "Bildungsfernsehen" aus dem "seriösen" Hause ZDF, das inzwischen nicht mehr davor zurückschreckt, Gerichtsvollzieher zur Zwangsvollstreckung loszuschicken (ohne gerichtlichen Beschluss, versteht sich, denn der "Beitragsservice" kann einfach so rechtskräftige, vollstreckbare "Bescheide" erlassen – Gerichte würden da nur stören).

Jedenfalls las ich dort, während ich mir, wahrscheinlich irre blickend, mit einer Motorsäge entsetzt den Kopf kratzte:

Der Ablauf in Kürze: In einem Studio sitzen fünf sogenannte Juroren, ihnen werden Filmchen von sechs Kandidaten vorgespielt, in denen diese immer mehr von sich preisgeben: Sorgen und Hoffnungen, Schicksalsschläge und die Routinen ihres Alltags. Sie müssen, anders als in den einschlägigen Talentshows, nicht mit einem Liedchen oder Tänzchen reüssieren, sondern "einfach nur sie selbst sein", wie es heißt. Nach jeder Runde wählt die Jury per einfacher Mehrheit einen Kandidaten raus beziehungsweise entscheidet, so der Moderator, "wer nicht 50.000,- wert ist". (...)

Wer es zugelassen hat, dass dieses wahnwitzige Potpourri aus Assessment-Center, Milgram-Experiment und Heidi Klums sadistischen Fantasien an die Öffentlichkeit gerät, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass meine Hoffnung, einer der Kandidaten würde sich die Maske vom Gesicht reißen und sich als Günter Wallraff offenbaren, der die miesen Methoden der Casting-Industrie anprangert, jäh zerbrochen ist. Auch um eine TV-Satire des wiederauferstandenen Wolfgang Menge handelt es sich leider nicht, dazu ist diese Sendung zu schlecht. Sie hat keine zweite Ebene. Sie ist genau das, was sie von ihren Kandidaten verlangt: einfach nur sie selbst. Sie ist ein Arschloch.

Der gesamte Text ist sehr zur Lektüre empfohlen. Wenn die Sendung auch nur ansatzweise so gruselig war, wie sie dort beschrieben ist – ich habe sie, wie gesagt, nicht gesehen und beabsichtige auch nicht, das via Internet nachzuholen –, ist im deutschen TV nun endgültig die Endzeit angebrochen und das Niveau nähert sich dem amerikanischen Original der allgemeinen Verblödung und wüsten Verrohung immer mehr an. Wie kann man auf die völlig absurde Idee kommen, ein solches Konzept zu entwickeln, auszuarbeiten, zu produzieren und auszustrahlen, ohne auf der Stelle aufgrund eines Gehirnschlags zum goldenen Kalb ins Jenseits zu reisen? Wenn jetzt schon zu "Unterhaltungszwecken" die faschistoide Frage gestellt wird, ob irgendwer einen bestimmten Geldbetrag "wert" sei und die Antwort, die in der Mehrheit schlicht "Nein!" lautet, gleich mitgeliefert wird, ist nicht nur eine letzte Grenze überschritten, sondern ein bedeutender Damm gebrochen, den man so ohne weiteres nicht wieder flicken kann. – Der Autor schreibt weiter:

In der Jury sitzen Zeitgenossen, deren kalte Lust, mit der sie die Kandidaten aussortieren, mich an unbehauste Kinder erinnert, die aus purer Langeweile auf dem Spielplatz Schwächere quälen. Ihr Versuch, diese Lust hinter militanter Servicefreundlichkeit zu verstecken ("Daaanke dir!" – "Tuuut mir leid!" – "Alles, alles Guuute!"), macht das Ganze noch unerträglicher. Der Moderator Jochen Schropp befindet sich offenbar in einem Dauerzustand trancehaften Aufsagens von schwachsinnigen Einzeilern, die ihm berufsmüde Redakteure auf die Karteikarten geschrieben haben, und kann deshalb gar nicht überreißen, wofür er sein hübsches Gesicht hergibt. Und der Diplom-Psychologin, die diesem "Show-Experiment" eine Anmutung von Wissenschaftlichkeit verleihen soll, traue ich jederzeit zu, dass sie mit ihrer Zunge ein Insekt fängt.

Es ist ein Bonmot am Rande, dass dieser Beitrag ausgerechnet im Zeit-Ressort "Kultur" erschienen ist. Ist diese Einordnung nun Satire – oder glaubt man in der Redaktion dieser Zeitung tatsächlich, dass das Fernsehen in der kapitalistischen Endzeit in irgendeiner Form etwas mit Kultur zu tun habe – vielleicht analog zu der irrwitzigen Annahme, die hiesige Presse sei eine "vierte Gewalt"? Man weiß so unglaublich wenig.

Ist dem Verfasser während der Arbeit an seinem Text vielleicht auch kurz die Frage durch den Kopf gegangen, ob die ZDF-Einkommensmillionäre Kleber, Gottschalk, Illner & Co. all die zwangseingetriebenen Gebühren auch "wert" sind – oder ist ein solch frevlerischer Gedanke in jenen Kreisen bereits demselben Gossenniveau geschuldet, aus dem dieses unsägliche "Show"-Format stammt?

Ich spreche dankbar siebzehn "Ave Diabolas", dass ich mir diesen grotesken TV-Schrott seit längerer Zeit nicht mehr zumute – auch wenn ich leider nach wie vor dafür zahlen muss.

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Revolverpresse



(Holzschnitt von Karl Rössing [1897-1987], in "Simplicissimus", Heft 20 vom 12.08.1929)

22 Kommentare:

altautonomer hat gesagt…

25 Min. Ansehen haben genügt. Langweilig bis zum Gehtnichtmehr. Ich frage mich, wer sich so etwas antut. Während ich die Kandidaten verstehe, die teilweise trotz geregelten Einkommens mal eben 50 k Ocken abgreifen möchten, ist die Jury der absolute Horror. Waschküchenpsychologen aus der Trockenschleuder. Ganz links so etwas wie der Vorsitzende mit Vokuhila und Saufklüsen - ne Art Trump mit Locken. Solchen Menschen würde ich niemals zugestehen, ein Urteil über ich abzugeben. Richtig spannend wäre es daher, wenn ein Kandidat beim Rausschmiss sagen würde: "Ihr Vollidioten könnt mich mal am After schmatzen".



altautonomer hat gesagt…

OT.
Gerade gesehen und gestutzt:

Gestern früh:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/martin-schulz-mehrheit-haelt-den-spd-kanzlerkandidaten-fuer-unglaubwuerdig-a-1136335.html

Gestern abend dann die Notbremse:

http://www.spiegel.de/politik/updateumfragen/martin-schulz-oder-angela-merkel-mehrheit-wuenscht-sich-spd-kanzler-a-1136337.html

Anonym hat gesagt…

Aloha,

Jochen Schropp ( erst gestern bei Rosamunde Pilcher unterwegs, ' ner Kurzgeschichte ) stellt sich und die neue Sendung
hier vor:

https://www.saartoto.de/aktuelles/gluexmagazin


Cover des aktuellen Lotto-Glüxmagazins.Auf die Weise lockt man wohl ausreichend Publikum in die NEO-Bude des ZDF.
Ich schätze mal, Claus Kleber vertut seine Zeit nicht damit.

lg
Hagnum

Troptard hat gesagt…

Hallo Charlie!


Werden sie da nicht vorgeführt, diese zukünftigen Mitläufer, die sich daran ergötzen Macht über andere auszuüben zu dürfen, darüber zu befinden wer es Wert ist oder nicht!
Dieser Herr und Knecht in einer Person.

Dabei sind es selbst so dürftige Gestalten, die sich noch in Wert setzen müssen, mit angeblich besonderen Fähigkeiten, die es ihnen erlauben würden, Menschen besonders gut beurteilen zu können,ihr Wertsein zu taxieren.

Mann und Frau,da kommen bei mir aber sowas von Gedanken hoch ... .
Gut, dass es auch bei uns keine Glotze gibt. So bleiben mir diese Widerwärtigkeiten verborgen und ich kann mich der Illussion hingeben, dass die Dekadenz, der Zerfall der Gesellschaft noch nicht soweit fortgeschritten ist.

Dass da welche 50.000 abgreifen wollen und sich dafür zum Affen machen, sich erniedrigen lassen, dafür bringe ich leider kein Verständnis auf. Gibt es da auch so etwas wie ein Bedürfnis, sich vor den Augen der Fernsehzuschauer so zu prostituieren und entwerten zu lassen und wieder mal für die Aussicht auf Geld.

Wenn die Sendung für mich eines transportiert, dann das: "Für Geld lassen die Menschen alles mit sich machen.

Arbo hat gesagt…

Hey Charlie, das motiviert mich zunächst zu einer Retourkutsche zum Pontifex: Kann gar nicht glauben, dass Du einen Text zitierst, in dem Wallraff mit so positiver Assoziation erwähnt wird, wo der doch längst beim kapitalistischen Verdummungsverein das Feigenblatt spielt (Team Wallraff - Reporter undercover, bitte selbst Dr. Google fragen). :-P

Ansonsten stimme ich Dir aber voll zu. Mir geht's ja ähnlich, da ich solche Shows nicht schaue, sondern allenfalls das nutze, was in den Mediatheken ist - und eben nur das, was ich anschauen will (und da ist das, was Du beschrieben hast, keinesfalls mit dabei). Obwohl ich Holger K. vom FKTV in seiner Art oft auch unerträglich finde, sehe ich das auch ab und an - und dann überkommt es mich ebenfalls: Dieses Gefühl wie ein Außerirdischer auf solche Sendungen zu schauen und sich zu fragen "Hä? Gibt's das wirklich? Sind wir schon soweit? Hatten die mal übehraupt sowas wie Kultur?".

Positiv kannst Du dem vielleicht noch abgewinnen, dass der Mensch dort ganz offen und ungeniert verdinglicht wird. (Während in anderen Shows offenbar ein symbolischer Wert für die 50.000 Euro steht - Plattenvertrag, Fotoshootings usw.) Da wissen wir, woran wir sind. Auf der anderen Seite lässt dieser Umstand einem aber auch Angst und Bange werden. Was kommt als nächstes? Entscheiden wir dann per Jury, wer hier Asyl bekommt?

By the way: Diese Juries, die über den Wert eines Menschen urteilen, die haben wir ja schon länger, allerdings weniger medial aufgebauscht. Ich sage nur Troika. Das ist nichts anderes. Der Grieche kostet zu viel, also noch mehr sparen, bis es so wenig Griechen sind, die mensch sich leisten kann. Malthus, ick hör Dir trapsen...

Aber zurück zu der Sendung: Ich frage mich hier echt, wer wer sowas schaut. Was denken sich die Fernsehfritzen eigentlich, wer das schauen soll? Ist das Zynismus, Dummheit? Was sagt das über das Menschenbild? Kann mensch da überhaupt noch etwas machen? Wie darf ich mir da die Resozialisierung vorstellen?

Troptard hat gesagt…

Das wäre doch mal eine gute Nachricht, wenn der Bürger in einer parlamentarischen Demokratie auch etwas zu entscheiden hätte.

Wenn er sich zum Volk aufplustert, " Wir sind das Volk", so bringt er damit letztendlich nur zum Ausdruck, dass er eben nichts zu entscheiden hat und die Verhältnisse auf den Kopf stellen will, als wenn er es ist, der im Staate die Entscheidungen trifft.

Ich habe jedenfalls noch nie erlebt, dass der mündige Bürger darüber entscheiden kann, wie hoch denn z.B. die Mehrwertsteuer ausfallen darf oder wann er in Rente gehen will, wann für ihn eine Arbeit zumutbar ist und ob er Zwangsarbeit leisten will.

Aber wählen darf er selbstverständlich. Und weil ihm seine Wahl nichts nützt, ausser sich vielleicht mit seiner Herrschaft gemein zu machen, sich als deren Sprachrohr zu verlängern, die eigene gesellschaftliche Ohnmacht gegen andere auszuspielen, gegen faule Südländer und anderes arbeitsscheues Gesindel, was er mit durchfüttern muss,
deshalb erfüllen solche Sendungen auch ihren Zweck.

Da dürfen dann Menschen Entscheidungen treffen, die ich von ihrem Reflektionsniveau für ziemlich minderbemittelt halte. Für mich sind das über die Medien vermittelte gesellschaftliche Einübungen, die auf ein bereits vorhandenes Bewusstsein treffen und dieses festigen sollen.

Was eignet sich nicht besser, als durch eine "scheinbar unverdächtige" Unterhaltungssendung vermittelt zu werden.

Anonym hat gesagt…

Ob die Reichweite der angesprochenen Sendung ausreicht,das kapitalistische System am Leben zuerhalten?!
Mal die Einschaltquoten ZDF neo angekuckt...
Auf neo kann man ein isserl Geld versenken,etwas aus testen, was man dem Standard Örf-Gucker nicht zumuten kann...
Und von den"Zwangsgebühren" wird eher die Verwaltung und Bundesliga finanziert als alles andere!
Und Deutschland ohne frei empfangbare Bundesliga,
das würde Aufstände produzieren,genau wie Bierpreise auf Schwedischen Niveau ;-)

Charlie hat gesagt…

@ Arbo: Über Wallraffs RTL-Aktivitäten habe ich mich bereits an anderer Stelle ausgelassen. Letztlich hat das aber mit der hier vorgestellten Sendung gar nichts zu tun. ;-)

Liebe Grüße!

Fluchtwagenfahrer hat gesagt…

Moin,
nicht das du/ihr unrecht mit deiner/eurer Analyse hättet, aaaaabber
manchmal kommt es mir so vor, als wenn ihr euch vor Entsetzen die Augen zu haltet, zwischen den Fingern durch guckt, mit einem leichtem (wohligem)Schauer von Ekel und Entsetzten.
Ich weiß nicht ob diese Art von Masochismus gesund ist, da mach ich lieber die Augen zu bzw. schau erst gar nicht hin. Bin halt nicht die gesuchte Zuschauergruppe.
Und ich denke es gibt wichtigere Themen, diese Art von Erziehung ist ja nur ein winziges Puzzlesteinchen in der Indoktrinierung / Konditionierung von Verbrauchern.
Menschsein, Menschlichkeit stand nie auf der Agenda.

Charlie hat gesagt…

@ Fluchtwagenfahrer: Ja, was denn nun - soll ich mir "die Augen zuhalten" oder doch eher "die Augen zumachen"? ;-)

Sicherlich ist auch diese Sendung nur ein kleines Puzzleteilchen - gerade deswegen gehört es aber doch hierher. Wo soll man denn ansetzen, wenn nicht an diesen Stellen, die allzu oft ungefragt und unkritisiert in den Äther der Gesellschaft erbrochen werden?

Liebe Grüße!

Fluchtwagenfahrer hat gesagt…

Moin Charles,
touchée. Die Wahlen stehen vor der Tür, Landtag und Bundestag.
Was hälst du denn davon Steckbriefe der zur Wahl stehenden Protagonisten zu fertigen.
Für Hein Blöd nochmal zur Erinnerung wer für was steht und verantwortlich zeigte.
Halte ich für effektiver,dringlicher als veggi oder RTL/ZDF Aktivitäten zu kommentieren. Kriegst auch nen Kugelschreiber und Luftballon.
LG
p.s. kann ja auch ne Gemeinschaftsarbeit sein, nicht wahr altauto:)

Charlie hat gesagt…

@ Fluchtwagenfahrer: Von "Bestrafung" halte ich generell nichts. Wir wollen ja nicht in Kapitalistan leben, gelle. ;-)

Liebe Grüße!

Fluchtwagenfahrer hat gesagt…

Moin Charles,
Strafe muss sein, sonst keine Verhaltensänderung (Uraltthese)
Aber ich meinte eher so was wie ein Exposé, so eine Art Zusammenstellung von Fakten über die einzelne Person(en).
Überschrift: Wanted or not? (hihihi) Steckbrief!
Wer ist er/sie, welcher Wahlkreis, Abhängigkeiten?, Lobby?
Was hat er/sie positives (neutral & objektiv) für die Bürger getan.
Welche Sauereien? usw. usw. mögl. kurz, knapp, präzise.
Viele hier könnten dazu beitragen aus den einzelnen B-Ländern, alle 2-3 Tage erscheint so ein Steckbrief bei dir. Könnte man weiterverlinken, ausdrucken?
Idee? Lust
LG

altautonomer hat gesagt…

Fluchtwagenfahrer: Das Angebot an Charlie, einen gemeinsamen bzw. zweieiligen Text zu Martin Schulz zu schreiben, steht.

Diese Trash- und Script-Reality-Formate gibt es bei den Privaten ja zur Genüge. Unter dem Gullydeckel stecken so Serien wie "Bauer sucht Frau", "Schwiegertochter gesucht", "Traumfrau gesucht", "KissBangLove", Hochzeit auf den ersten Blick" und "Adam sucht Eva". Darunter nicht wenige Formate, bei denen die Laiendarsteller dem Publikum regelrecht vorgeführt werden, ohne es selber mitzubekommen. Aber im Grunde ist das alles menschenverachtend.

Hier hat Charlie eine Sendung vorgestellt, für die wir alle Gebühren zahlen. Das ist etwas anderes.

Arbo hat gesagt…

@altautonomer:

>>Hier hat Charlie eine Sendung vorgestellt, für die wir alle Gebühren zahlen. Das ist etwas anderes.<<

Nicht nur das. Ich trau' mir das ja fast nicht zu schreiben, weil ich jeden Moment einen Satz heiße Ohren erwarte: Aber eigentlich wird ja kolportiert, die ÖR stünden in gesellschaftlicher Verantwortung und hätten einen Bildungsauftrag - was als Begründung für die Zwangsgebühreneintreibung herhält.

Was ich halt nicht verstehe oder vielleicht liege ich da auch falsch: Mein Eindruck ist, dass es früher zwar widerliche stramm anti-kommunistische Agitationsonkel und -tanten gab, aber das 'wenigstens' so konservativ war, dass so ein Dreck hätte auch nicht gesendet werden können. 'Privat' galt ja mal auch als weniger schmeichelhaftes Prädikat für einen Mix aus Möpsen, Gewalt und all so Unsinn der Privaten. Was ist da nur geschehen, dass das nun doch auch ins ÖR schwappt? Mit Kapitalismus alleine kann ich mir das nicht erklären...

LG
Arbo

jakebaby hat gesagt…

"Mit Kapitalismus alleine kann ich mir das nicht erklären..." Richtig!

Bis vor rund 27/anfaenglich Tourist,(seit 21Jahren wohne ich in US) Jahren war ich mir nicht insbesondere bewusst, wie total beschissen deutsches Fernsehen denn wirklich ist. In laufe dessen (ich war das letzte mal '13 in Deutschland) wurde mir staendig und extrem brechreiziger klarer, dass dies, viel Verbloedender,(was man locker auch der volksverbloedenden Intention des Kapitalismus unterstellen darf) kaum mehr geht. Wobei ich natuerlich andere TV-Laender in aehnlicher Totalverbloedung einschliesse.

Hier gibts auch ne Menge TVscheisse, aber was die politische Aufklaerung als auch sonstig, dutzendfache bildungsmaessige Info angeht, ist die Auswahl im Vergleich zu Deutschland absolut unvergleichbar. ... Inwiefern dies einen Unterschied macht, moege man durchaus real bezweifeln, da gerade ein Trump&fucking Co. existiert.

Womit i have to rest my fuckin' Case ...

Gruss Jake


Troptard hat gesagt…

Hallo jakebaby,

es ist sicherlich zu berücksichtigen, dass diejenigen, die ausschliesslich auf ihrer eigenen Scholle leben (müssen), sich ihre Lebensverhältnisse nur als die Lebensverhältnisse vorstellen wollen/können, die sich von ihren eigenen nicht unterscheiden, dass schafft ja auch dieses Terrain, um sich die eigene Scheisse noch erträglich zu gestalten.

Ich will das nicht grossartig ausweiten: Nur ein Beispiel! In unserem Haushalt gibt es keinen Fernseher. Bei uns zieht sich die Medienscheisse niemand rein. Und weil wir für französische Verhältnisse als Familie zu arm sind, müssen wir auch keine Fernsehgebühren bezahlen.

Ist das nicht ein Skandal, der in Allemagne so durchsetzbar ist, dass derjenige der nichts hat, z.B ein Hartz IV-Empfänger, trotzdem die Fernsehgebühr bezahlen muss?

Es tut mir nicht leid! Ausdrücklich nicht! Ich habe nicht den Eindruck, trotz der wirklich kritischen Texte, sehr interessant zu lesen und auch wirklich fundiert, ändern wird es in Allemagne und wahrscheinlich auch anderswo nur in sofern, dass Rechts mehr geht, als Links das Bein zum Pinkeln anheben kann.




Arbo hat gesagt…

@troptard:

>>Nur ein Beispiel! In unserem Haushalt gibt es keinen Fernseher. Bei uns zieht sich die Medienscheisse niemand rein.<<

Meine Erfahrung ist, dass Du trotzdem zum Teil mit dem Mist konfrontiert bist - über Zeitungen, diese Kostenlos-Schmierblätter im öffentlichen Nahverkehr, Werbung usw. Wenn Du im Internet unterwegs bist, wirst Du auch oft von den Schlagzeilen verfolgt, wenn mal wieder was total hip ist. Charlies Beitrag hier liefert ein beredtes Beispiel davon (wenngleich er sich auf einen kritischen Beitrag bezieht, aber Du bekommst halt trotzdem den Mist mit).

Ich empfinde das als öffentliche Belästigung, wenn ich ungefragt mit dem Mist konfrontiert werde. Eigentlich müsste mensch in schön kapitalistischer Manier auf Schmerzensgeld klagen. Aber leider gibt es die Paragraphen noch nicht bzw. gibt es die nur für staatstragende Präsidenten (und damit meine ich nicht Erdogan, sondern den Bundespräsidenten in DE).

>>Ist das nicht ein Skandal, der in Allemagne so durchsetzbar ist, dass derjenige der nichts hat, z.B ein Hartz IV-Empfänger, trotzdem die Fernsehgebühr bezahlen muss?<<<

Nö, das dürfte wie in FR sein: Als Hartz-IV-Empfänger kannst Du Dich befreien lassen. Musst Du aber rechtzeitig - bei Antragstellung ALG II - tun. Da ist mensch in DE unerbittlich...

LG
Arbo

Charlie hat gesagt…

@ Arbo: Du hast freilich recht, wenn Du schreibst, dass ein Hartz-Terror-Opfer sich von den Zwangsgebühren befreien lassen kann - allerdings gilt das schon dann nicht mehr, wenn ein Betroffener oder gar eine "Bedarfsgemeinschaft" auch nur ein paar Cent mehr zur Verfügung hat und somit "oberhalb des Existenzminimums" liegt. Dann steht ganz fix der Gerichtsvollzieher vor der Tür, sofern nicht gezahlt wird bzw. werden kann. Das habe ich im verlinkten Beitrag ja beschrieben.

Zum Thema "Mit Kapitalismus allein kann ich mir das nicht erklären": Zum Einen ist es kein Zufall gewesen, dass Kohl und seine korrupten Freunde aus CDU, CSU und FDP die Geißel des "Privatfernsehens" gegen alle Widerstände durchgeboxt haben - selbstverständlich war diesen GesellInnen klar, dass damit eine boulevardeske Spirale in Richtung Niveaulosigkeit, Kapitalergebenheit und damit auch Systempropaganda in Gang gesetzt wird, die selbstverständlich auch vor den "Öffentlich-Rechtlichen" nicht Halt machen wird. Trotz der immensen Zwangsgebühren bekommt die Reklame auch in diesen "Staatsmedien" immer mehr Raum und finanzielles Gewicht, und auch unabhängig davon ist "die Quote" auch dort das goldene Kalb, um das sich alles dreht.

Je dümmer die Bevölkerung, desto zufriedener die Herrschaft - an diesem Prinzip hat sich seit Jahrhunderten nichts verändert. Deshalb bestehen geschätzt 90 Prozent des TV-Programms auch von ARD und ZDF heute aus Hein-Blöd-Sendungen wie Fußball, Shows, Boulevard, dem ewigen Krimi-Gedöns, Serienbrei für Hirnamputierte, Konsumhilfesendungen etc.

Was sollte da anderes als Ursache benannt werden können als der Kapitalismus? ARD und ZDF "verdienen" möglicherweise kein Geld für den Staat - aber sie leisten dennoch unschätzbare Dienste zur Systemerhaltung, die noch dazu zum größten Teil von der Bevölkerung selbst bezahlt werden müssen und "den Staat" daher nichts kosten. Dass dabei auch reichlich gutbezahlte Pöstchen für allerlei schmierige Figuren anfallen, ist bloß ein - sicher nicht unerwünschter - Nebeneffekt.

Wäre ich ein kapitalistischer Propagandist, würde ich ein solches von der Bevölkerung zwangsfinanzierte System wie ARD und ZDF sofort einführen - wie kann man denn noch geschickter die allzu brüchige Fassade der "freiheitlichen Demokratie" bunt anmalen und grell blinkend beleuchten, während gleichzeitig das Gegenteil geschieht, ohne dass sonderlich viele Menschen das mitbekommen (wollen)?

Liebe Grüße!

Arbo hat gesagt…

@Charlie:

Betreffs Gebühr - deshalb hatte ich geschrieben, dass das beantragt werden muss. Ich hab's selbst jahrelang ganz vorsorglich gemacht, weil das so konstruiert ist, dass Du immer zahlen musst. Irgend etwas "Empfangsmäßiges" hat der Mensch immer in der Bude (und ich bin ja froh, dass bei der Eintreiber-Mentalität die Ossis nicht für 40 Jahre "Schwarz(west)fernsehen" zahlen müssen...) Jedenfalls scheint's mir auch noch bestimmte Pauschbeträge zu geben oder gegeben zu haben, weil ich damals - kurz nach dem Studium - auch immer mal noch kleine Nebenjobs hatte.

Aber gut, dass Du die Aufstocker erwähnst. Das macht die Sache nämlich wieder gehörig kompliziert (hier nicht als Vorwurf an Dich gemeint) und zeigt, dass der offene Hartz-Vollzug nicht nur auf die "Erwerbslosen", sondern alle Erwerbstätigen disziplinieren soll. Da ist "Arbeitslosengeld II" auch eine echt "gelungene" Dummführungsbezeichnung, weil es den Eindruck erweckt, es gehe um "Arbeitslose". Dass Du als Erwerbsfähiger auch einen Anspruch darauf haben kannst, womit wir bei den Aufstockern wären, scheint in den Medien nicht ganz soweit getragen zu werden (oder es wird in "Aufstocker" separiert, was vergessen lässt, dass die die gleichen Probleme wie "echte" Erwerbslose haben). Ein Schelm wer Böses dabei denkt: Mensch mag fast dem Eindruck erliegen, dahinter stehe Kalkül, um bedürftige Menschen davon abzuhalten, ihre Anspruche geltent zu machen. (Wobei es mir weniger um das freiwillige Eintreten in den Hartz-Vollzug geht, sondern eher um die allgemeine Abgewöhnung des Gedankens, es gäbe sowas wie Ansprüche an den Sozialstaat...) Aber ich schweife ab...

Was den Kapitalismus betrifft: Das war nicht ganz, worauf ich hinauswollte. Um das besser zu illustrieren... Ich stelle mir so die Typen z.B. beim Bayrischen Rundfunk vor, deren konservative Denke nicht nur in jeder sozialstaatlichen Leistung den Kommunismus anbrechen sieht, sondern der Blutdruck mitsamt Gesichtsfarbe steigt, wenn
- es um "Schwule" und Transgender geht
- Feminimsus adressiert wird bzw. Du als aus der Rolle fallenden Frau nicht gefälligst wieder in die traditionell Dir zugewiesene Rolle am Herd zurückkehrst
- Promiskurität u.ä. diskutiert wird, denn a) das gehört nicht in die Öffentlichkeit, b) wenn das jedeR tun würde (wo kämen wir da hin) und c) das sowieso nicht ins konservative Familienidyll passt
- Nackheit gezeigt ist
und, und, und.

Ich meine, klar, Kohl & Co. haben Schützenhilfe für's Privat-TV geleistet. Aber die konservativen Blockwarts hatten damals noch den ÖR, wo das noch ganz "gesittet" zuging. Beim ÖR heute dürften diese stock-konservativen Engeister aber heute gar nicht mehr ohne eine gehörige Portion Blutdrucksenker durch's Leben gehen können. Meinst Du, die haben sich freiwillig der kapitalistischen Quotenproduktion hingegeben? Sind das alles Masochisten? Ich meine, ein verkappter Faschistenlobbyist wird sich doch auch nicht bei kommunistischen Schmierblättern wohlfühlen, oder?

Also, wenn nicht: Wo sind denn die konservativen Choleriker alle hin? (So netz- und technikaffin halte ich die auch nicht, dass die jetzt ihre eigenen Sender gründen...)

LG
Arbo

Anonym hat gesagt…

Ahoi-Poloi brachte es gut auf den Punkt:
https://ahoipolloi.blogger.de/stories/2630238/

Gruß, no-Robot

Charlie hat gesagt…

@ No robot: Besser kann man das nicht zusammenfassen. Danke!