Samstag, 17. Dezember 2011

Der Putsch in Europa

Es fiel kein Schuss, keine Soldaten marschierten, kein Parlament wurde von Panzern belagert. Für den weichen Staatsstreich, der jüngst in Griechenland und Italien stattgefunden hat, war nichts dergleichen notwendig. Die Finanzmärkte haben mithilfe der Parlamente geputscht. (...)

Die schnell installierten Regierungen der nationalen Einheit in Griechenland und in Italien sind deshalb ein weicher Staatsstreich, weil in der Hülle der Experten und Technokraten jetzt Statthalter der Euro-Finanzmärkte, des Bank- und Industriekapitals direkt die Macht übernommen haben. (...)

Es ist befremdlich: Nach der Finanzkrise 2008 hatte man erwartet, dass die Banken reguliert und ihre Macht eingeschränkt würde. Keine drei Jahre später haben die Banker in Italien und Griechenland die politische Macht übernommen. (...)

Die Weimarer Republik ging unter anderem deshalb unter, weil sie der Wirtschaftskrise nicht Herr werden konnte, aber vor allem wegen ihrer eigenen demokratischen Degeneration. Die Kabinette der Experten sind kein Weg aus der Krise, sondern ihr Kennzeichen. Bereits im Jahr 1925 bildete Hans Luther eine Regierung der Fachleute. Luther stand rechts, seine explizite Parteilosigkeit wertete der Historiker Heinrich-August Winkler bereits als "Symptom der Krise" des Parteienstaats.

Heute fehlt es nicht an parlamentarischen Mehrheiten wie zu Weimarer Zeiten. Die Notverordnungen, mit denen später Heinrich Brüning die Republik zu seinen drastischen Sparprogrammen zwang, werden heute über die postdemokratische Finanzkratie, die Herrschaft der Banken und der Euro-Elite, durchgesetzt. Aber die zentrifugalen Kräfte fehlender Legitimation für die Regierungspolitik haben Europa bereits jetzt an den Abgrund geführt. In Krisenzeiten werden die wahren Machtverhältnisse offengelegt. Die Kabinette der Technokraten sind die Regierungen der 1 Prozent.

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Anmerkung: Dass die taz einen solchen Gastkommentar veröffentlicht, ist bemerkenswert - auch wenn der Autor an der Oberfläche bleibt und seine Kritik zu sehr auf griechische und italienische Verhältnisse beschränkt. Die "Kabinette der Technokraten" haben mitnichten nur in diesen beiden Ländern das Ruder übernommen - auch die Regierungen Schröder und Merkel sowie die Führungsmarionetten der übrigen Euro-Staaten waren bzw. sind ein Teil dieses umfassenden Putsches der "Elite". Der einzige Unterschied zu Griechenland und Italien besteht eigentlich nur noch in dem flatternden, zerrissenen Mäntelchen der Scheindemokratie, das man in jenen beiden Staaten inzwischen abgelegt hat.

Die Interessen der Menschen haben für keine Regierung Europas mehr eine maßgebliche Bedeutung (ganz besonders gilt das für Deutschland, Frankreich und Britannien). Statt dessen gilt alles staatliche Handeln in erster Linie dem Ziel, den Reichtum der "Elite" nicht nur zu erhalten, sondern seine fortdauernde exponentielle Vermehrung zu gewährleisten - koste es, was es wolle. Mit Demokratie hat das schon lange, lange nichts mehr zu tun.

Nachtweys Vergleich der heutigen Situation mit dem Ende der Weimarer Republik trifft indes wieder des Pudels Kern (siehe dazu auch das letzte Zitat des Tages). Wäre dieses Szenario nicht so bedrohlich konkret, würde ich es als surreal empfinden - als Teil eines eher mittelmäßigen, aus dem Ruder laufenden dystopischen Romans, der die Ereignisse aus der Weimarer Zeit des Untergangs der Demokratie einfach in unsere Gegenwart verlegt. Aber das ist kein Roman - wir erleben jenen Untergang sehenden Auges - sozusagen live - mit.

Ganze Regierungen werden da von diesen Finanz-"Eliten" mit fleißiger Unterstützung der "demokratisch legitimierten" Hampelfrauen und -männer weggeputscht und durch eigene Puppen ersetzt - und unsere Medien tun größtenteils so, als sei nichts passiert und das demokratische Gefüge Europas sei nach wie vor vollkommen intakt. Es ist nicht nur "befremdlich", wie Nachtwey schreibt - das ist vollkommen wahnsinnig und ein nicht enden wollender Albtraum, der unsere nahe Zukunft in eine schwarze, extrem bedrohliche Wolke hüllt.

"So we're all going together." (Voltaire: This Ship's Going Down, 2008)


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