Sonntag, 11. März 2012

Zeitdokument: Die rasante Fahrt des Kapitalismus in den Abgrund - Berlin in den 20er Jahren




Anmerkung: Den oft völlig unkritischen Filmkommentar, der sich augenscheinlich einer imaginären "demokratischen Mitte" verpflichtet fühlt und mit der die Zeit des scheinbar regulierten Kapitalismus der Nachkriegszeit nur allzu gern (und ganz bewusst) verwechselt wird, kann man ausblenden. Die vielen historischen Filmaufnahmen und Zitate von Zeitzeugen entschädigen dafür umso mehr und vermitteln ein recht anschauliches Bild der damaligen Zeit, die unserer in vielerlei Hinsicht so sehr ähnelt. Ganz besonders hinweisen möchte ch dabei auf die Kapitel Ablenkungs- bzw. Vergnügungssucht und Sport. Diese Konsumelemente waren offenbar schon immer sehr erfolgreich, wenn es darum ging, die Sorgen, Ängste, Gefühle und Handlungen der Menschen zu manipulieren.

Insbesondere der Schluss der Dokumentation ist dann aber nur noch peinlich, wenn der Aufstieg des Nazi-Terrors, der vorher im Film nahezu nicht thematisiert wird, in wenigen Minuten abgehandelt und als reine Folge der Weltwirtschaftskrise und der "gelungenen Propaganda" der Nazis dargestellt wird. Das ist hanebüchener Unsinn, wie er blödsinniger kaum sein könnte. Die Filmemacherin - Irmgard von zur Mühlen - sollte als mehrfach ausgezeichnete Preisträgerin in ihrem Metier auch 1986, als die Doku entstand, schon gewusst haben, dass die NSDAP vom Großkapital unterstützt und allein deshalb überhaupt in die Lage versetzt wurde, irgendwelche nennenswerten Wahlerfolge zu feiern. Die verhängnisvolle Weigerung der damaligen SPD, eine "Einheitsfront" mit allen Linken gegen die rechte Gefahr zu bilden, wird zwar erwähnt, aber auch nicht weiter bewertet. Und die eigentliche Ursache der ganzen Katastrophe - nämlich der rapide an Fahrt aufnehmende Kapitalismus samt aller grotesken Begleiterscheinungen - wird zwar mehr oder weniger korrekt beschrieben, aber eben nicht als Ursache benannt.

Trotz aller offensichtlicher Mängel dieses Filmes empfehle ich ihn - zur Not drehe man den Ton ab, wenn der Sprecher seinen scheinbar neutralen Senf dazu gibt und beschränke sich auf die (ausschließlich historischen) Filmaufnahmen und die mannigfaltigen (und oft ebenfalls diskussionswürdigen) Zitate aus jener Zeit. In einem wilden, wahnsinnigen, schrillen Tanz ging damals die Welt schreiend unter - und wir stehen an eben dieser Schwelle heute erneut. Die Parallelen sind nicht nur offensichtlich, sondern sehr schmerzhaft ins Auge springend.

Passend dazu ein Gedicht aus eben dieser Zeit - von einem, der auch im Film zitiert wird und der ganz genau wusste, worüber er schrieb:

Misanthropologie

Schöne Dinge gibt es dutzendfach.
Aber keines ist so schön wie diese:
Eine ausgesprochen grüne Wiese
und paar Meter veilchenblauer Bach.

Und man kneift sich. Doch das ist kein Traum.
Mit der edlen Absicht, sich zu läutern,
kniet man zwischen Blumen, Gras und Kräutern.
Und der Bach schlägt einen Purzelbaum.

Also das, denkt man, ist die Natur?
Man beschließt, in Anbetracht des Schönen,
mit der Welt sich endlich zu versöhnen.
Und ist froh, dass man ins Grüne fuhr.

Doch man bleibt nicht lange so naiv.
Plötzlich tauchen Menschen auf und schreien
und schon wieder ist die Welt zum Speien.
Und das Gras legt sich vor Abscheu schief.

Eben war die Landschaft noch so stumm.
Und der Wiesenteppich war so samten.
Und schon trampeln diese gottverdammten
Menschen wie in Sauerkraut herum.

Und man kommt, geschult durch das Erlebnis,
wieder mal zu folgendem Ergebnis:
Diese Menschheit ist nichts weiter als
eine Hautkrankheit des Erdenballs.

(Erich Kästner [1899-1974], in "Simplicissimus", Heft 21 vom 19.08.1929)

4 Kommentare:

Anabelle hat gesagt…

So, ich habe mir den Film mal angeschaut. Das ist wirklich hochinteressant! Ich teile deine Skepsis in bezug auf den gesprochenen Kommentar, aber die Einblicke in die damalige Zeit sprechen tatsächlich für sich selbst.

Ich frage mich angesichts solcher Zeugnisse der menschlichen Dummheit, ob es überhaupt einen Ausweg aus diesem katastrophalen Szenario gibt. Die Menschen scheinen unbelehrbar und stürmen offensichtlich immer wieder mit Begeisterung und leerem Kopf in den Untergang. Ein aktuelles Beispiel aus der Schweiz: http://www.fr-online.de/politik/schweizer-stimmen-klar-gegen-mehr-urlaub,1472596,11874594,view,asTicker.html

Wenn die Propaganda stark genug ist, wählen Menschen wohl immer wieder ihre eigenen Schlächter. Es hat sich nichts verändert. Ich verspüre den Drang mich aufzuhängen.

Charlie hat gesagt…

Das mit dem Aufhängen lass mal lieber sein, Anabelle - wenn das alle denkfähigen Menschen täten, blieben ja nur noch die Dummköpfe übrig. Und von denen gibt es so schon viel zu viele.

Das Beispiel aus der Schweiz, das Du heranziehst, zeigt einmal mehr aber sehr anschaulich, wie perfekt eine gut organisierte und mit reichhaltigen finanziellen Mitteln ausgestattete Propaganda wirkt. Da kann man den Menschen tatsächlich ins weiche Hirn pressen, dass es zu ihrem Nachteil wäre, wenn sie Vorteile für sich erkämpfen würden. Insbesondere sehen sich "die Menschen" in solchen Szenarien ja gar nicht als (solidarische) Einheit, sondern als egoistische Individuen, die in "Konkurrenz" zu den anderen Menschen stehen. Eine solche Sichtweise ist so dermaßen grotesk, dass es vollkommen rätselhaft bleibt, wie sie jemals zu einer solchen Popularität gelangen konnte.

Schon Affenhorden im Urwald führen uns eindrucksvoll vor, dass es nicht "individuelle Konkurrenz" ist, die das Überleben sichert (während es zugleich eine handvoll superreicher Luxusaffen gibt, die über 95 oder mehr Prozent alles Vorhandenen verfügen und die von dieser albernen Konkurrenz selbstredend ausgeschlossen oder vielmehr befreit sind). Affenhorden befinden sich auf dem sozialen und humanistischen Sektor evolutionär vor den kapitalistischen Menschen - von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen.

Eine Affenhorde, die sich so verhalten würde, wie es die Menschen im Kapitalismus tun, wäre innerhalb kürzester Zeit zerstört und verschwunden. Bei den Menschenhorden erleben wir dies auch immer wieder - und dennoch wird dieses System beibehalten und von den meisten Menschen nach wie vor für gut (oder "zumindst besser als alles andere") befunden. Wie kann das sein? Man muss nur lange genug seine Hand auf die glühende Herdplatte legen - irgendwann tut's dann nicht mehr weh?

Kästner hatte schon ganz recht, als er die Menschheit als "Hautkrankheit des Erdenballs" klassifizierte. Kann man als Mensch eigentlich auch zum Affen konvertieren? Ich würde gerne einen Antrag stellen.

Anabelle hat gesagt…

Dem kann ich fast nichts hinzufügen. Ich würde mich in einer Affenhorde auch besser aufgehoben fühlen als in einem kapitalistischen System wie dem unsrigen. Den Vergelich finde ich übrigens extrem treffend und verleihe Dir dafür einen Affenorden. :-)

Lediglich über die Rolle der Frau in der Affenhorde müssten wir dann nochmal diskutieren. Auf ein neues Patriarchat habe ich nun wirklich keine Lust ..... :-)

Charlie hat gesagt…

Liebe Anabelle, danke für den Orden, der bekommt einen Ehrenplatz. Ist damit auch ein Ehrensold verbunden? *g*

Was die Rolle der Frau betrifft: Solange Kostüm- und Schlips-Borg in der Welt das Sagen haben, macht es nicht den geringsten Unterschied, ob ein Schlips oder eine Knopfleiste am Ruder ist. Es ist für das gemeine Volk völlig einerlei, ob Marionetten wie Merkel und von der Leyen oder Hampelmänner wie Kauder und Uhl ihre menschenfeindlichen Sprechblasen absondern - der Inhalt und die katastrophalen Auswirkungen sind stets dieselben.

Der Vorteil der Männer dieser Bande liegt einzig darin, dass sie sich an ihren albernen Schlipsen schneller aufhängen könnten. Sie tun's nur leider nicht ...

Übrigens: Drei der reichsten und damit mächtigsten Personen in Deutschland sind weiblich: Liz Mohn, Friede Springer und Susanne Quandt. Ich fürchte also, ein Matriarchat ist keine sonderlich erstrebenswerte Alternative. ;-)