Mittwoch, 16. Mai 2012

Armut in Deutschland: “Wir müssen leider draußen bleiben”

In "Wir müssen leider draußen bleiben" hat Kathrin Hartmann viele Mosaiksteine eines verschärften Klassenkampfs von oben zusammengetragen. Rasant geschrieben berichtet sie über ein Land, in dem das Mitgefühl für Arme und Arm-Gemachte verschwunden ist.

Dieses Buch ist eine grandiose Philippika, die zweite der Journalistin Kathrin Hartmann. In "Ende der Märchenstunde" (2009) hatte sie sich die "politisch korrekt konsumierende" neue Mittelschicht vorgeknöpft und enttarnt, dass die "Lohas" (Kürzel für Lifestyle of Health and Sustainability) weder zur Gesundheit noch zur Nachhaltigkeit beitragen. Im Gegenteil.

Jetzt legt sie nach. Es geht um Armut in unserer modernen Gesellschaft. Neu, wie der Untertitel sagt, ist die nicht, und sie findet auch nicht nur in Konsumgefilden statt. Aber sie hat schärfere Züge bekommen. In ein Bild gefasst: Wenn man sich Armut und Wohlstand als zwei tektonische Platten vorstellt, wirkt die Globalisierung wie eine seismische Verwerfung, die die eine Platte nach oben reißt und die andere brachial weiter nach unten presst. Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist inzwischen gefährlich steil für Frieden, Demokratie und all die schönen Dinge des menschlichen Lebens auf diesem Planeten.

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Anmerkung: Über das verrohte Bürgertum und dessen gefährliche, asoziale Verachtung der Armut, die in der inzwischen recht bekannten Studie des Soziologen Wilhelm Heitmeyer ("Deutsche Zustände") beschrieben werden, habe ich schon mehrfach berichtet (z.B. hier). Hartmanns sehr lesenswertes Buch illustriert nun noch einmal in aller Deutlichkeit, dass diese an Faschismus grenzenden Zustände sich keineswegs verbessert haben - gamz im Gegenteil: Der angeblich alternativlose Zerstörungskurs der neoliberalen schwarz-gelb-rot-grünen Bande wird unvermindert fortgesetzt und verfehlt seine Wirkung bei vielen Bürgern der Mittelschicht und vielen Wohlhabenden nicht. Ein Ende dieses neoliberalen Terrors ist nicht absehbar.

Klar absehbar hingegen ist die Tatsache, dass sich dadurch die Armut und Zwangsverarmung weiter massiv ausbreiten wird - mitten hinein in genau die Kreise, die heute noch voller Verachtung, Arroganz und Abscheu auf die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft herabblicken. Auch weitere Feindbilder sind schon klar erkennbar: Waren es früher Juden sowie Sinti und Roma, sind es heute Muslime und generell "die Ausländer", die nur zu gerne als Sündenböcke instrumentalisiert werden. Sehr beliebt ist auch ein neidvolles Schimpfen auf die "Privilegien der Beamten", das in Deutschland eine ebenso weit zurückreichende Tradition hat wie der Faschismus. Die Initiatoren und einzigen Nutznießer der erneuten globalen neoliberalen Zerstörungsorgie - die Superreichen - kommen in der Gedanken- und Vorstellungswelt der meisten Menschen dagegen gar nicht vor - da leisten die Propagandainstitutionen in der Politik und den Medien ganze Arbeit.

Gerade in den "besseren Kreisen" der deutschen Mittel- und Oberschicht sollte das Buch Hartmanns zur Pflichtlektüre werden, damit der eine oder die andere aus dem lethargischen Tiefschlaf geweckt und die dümmliche neoliberale Propagandablase in Bezug auf Armut zum Platzen gebracht werden kann.

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Ärztlicher Trost


"Appetitlosigkeit? Gute Frau, betrachten Sie dieses Übel als ein Geschenk des Himmels in dieser knappen Zeit."

(Zeichnung von Fritz Schaefler [1888-1954], in "Simplicissimus", Heft 21 vom 18.08.1920)

5 Kommentare:

Anabelle hat gesagt…

Wenn man nach den jüngsten Wahlergebnissen geht, gibt´s keine Armut in Deutschland. Die Menschen hierzulande sind schon extrem seltsam.

Sehr spannend sind auch Werk und Biografie des Malers Fritz Schaefler, vielen Dank für diesen Hinweis! Siehe hier: http://www.schaefler.de/museum/fritz/index.html

Darkmoon hat gesagt…

Anabelle: Die Armen gehen meist wohl gar nicht mehr wählen weil sie der Meinung sind daß es sowieso nix bringt. Was die überwältigende Mehrheit der zur Wahl stehenden Parteien betrifft, haben sie ja auch durchaus Recht.

Anabelle hat gesagt…

@ Darkmoon:

Nicht-Waählen verändert aber erst recht nichts. Durch einen Wahlboykott stärkt man doch sogar die ohnehin stärksten Parteien und erreicht damit das Gegenteil dessen, was man eigentlich will. Deshalb schrieb ich ja: Die Menschen hierzulande sind schon extrem seltsam.

Ich würde ja auch gerne noch auf die erwähnten nur allzu oft geneideten "Privilegien der Beamten" eingehen, davon kann ich ein Lied singen. Aber ich hoffe bzw. rege an, dass Charlie das noch irgendwann mal tut.

Charlie hat gesagt…

Anabelle, das Thema ist schwierig, aber ich habe es nicht vergessen. Beim letzten Familientreffen habe ich schon wieder ein solches Beamten-Bashing erleben müssen, das geradezu beispielhaft war. Ich weiß nicht, woher dieser Hass und dieser Neid kommt und wieso die Wut sich nicht auf das elitäre Gesindel der Superreichen richtet, wo sie doch eigentlich hingehört.

Danke jedenfalls für Deine ausführliche Mail, die mich noch einmal daran erinnert hat, dass das Thema nicht unbeachtet bleiben darf.

Anonym hat gesagt…

charles: Natürlich sind Beamte privilegiert, es mag bei Kernaufgaben einen Grund geben, aber Leugnen ist Dennis82-Niveau. sorry!!Wieso Beamte in der Sozialversicherung?Angriffe auf das Volk, welches uns am Leben hält- peinlich!