Montag, 3. Dezember 2012

Reklame überall: Die versteckten Folgen des Fernsehens


Was haben Sie eigentlich letztes Jahr für das Privatfernsehen bezahlt? / Das sehen Sie gar nicht? Macht nichts, Sie zahlen dennoch. / Sie haben gar keinen Fernseher und zahlen auch keine GEZ-Gebühr? Macht nichts, für das Privatfernsehen blechen Sie trotzdem, und nicht zu knapp.

8,3 Milliarden Euro erlösten die privaten Fernsehsender im Jahr 2006 mit Werbesendungen. Das Geld stammt letztlich aus den Geldbörsen derjenigen, welche die beworbenen Produkte kaufen. Vor allem bei neuen, "trendigen" Produkten übersteigt der im Verkaufspreis enthaltene Anteil für Werbung die Herstellungskosten oft um ein Vielfaches. Gutgläubige Rentner lassen sich ja manchmal auf Kaffeefahrten überteuerte Produkte aufschwatzen – ihren coolen Enkeln zuhause vor der Glotze geschieht genau das Gleiche, nur öfter.

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Anmerkung: Dieses Thema betrifft natürlich nicht nur das Privatfernsehen, denn auch viele öffentlich-rechtliche Sender belästigen ihre Zuschauer mit dämlicher Werbung und kassieren so neben der GEZ-Zwangsgebühr noch weitere hübsche Sümmchen. Dass diese wie bei den privaten Sendern auch größtenteils nicht in ein sinnvolles Programm investiert werden, sondern statt dessen auf den Konten völlig überbezahlter Millionäre wie Gottschalk oder Jauch landen oder in der Bürokratie samt den auch dort sich sammelnden Aufsichtsrats- und anderen sinnfreien, geldwerten Posten versickern, interessiert im auf reine Habgier und Eigennutz ausgerichteten Kapitalismus niemanden - egal, ob öffentlich-rechtlich oder privat.

Es ist nur ein logischer Treppenwitz im Rahmen dieses Systems, dass die GEZ-Gebühr in wenigen Wochen in eine Zwangsgebühr für jeden Haushalt umgewandelt wird - zahlbar von jedem, der ein Zimmer, eine Wohnung oder ein Haus in Deutschland bewohnt, und unabhängig von der Frage, ob es dort Fernseh- oder Radiogeräte gibt oder nicht. Ob diese, wenn vorhanden, auch für öffentlich-rechtliche Programme genutzt werden, ist ja schon heute keine Gebührenfrage mehr.

Derweil wird im Fernsehen und im Rest unserer Wahrnehmungswelt jeder letzte freie verbleibende Raum mit Reklame zugekleistert - dieser Seuche kann heute niemand mehr entkommen, der sich in unseren Städten bewegt, in seinen Briefkasten schaut, im Internet surft oder die Glotze oder das Radio einschaltet. Die Kosten, die dabei entstehen und nicht nur von allen Käufern der beworbenen Produkte, sondern von allen Kunden der werbenden Firmen bezahlt werden (auch wenn sie die betreffenden Produkte gar nicht kaufen), sind dabei nur eine Randerscheinung - viel schlimmer finde ich die absurde Dominanz dieser allgegenwärtigen Werbung und ihre fürchterlichen Auswirkungen. Schon Erich Fromm schrieb dazu in seinem sehr empfehlenswerten Buch "Haben oder Sein", erschienen 1976:

"Die in der Werbung und der politischen Propaganda angewandten hypnoseähnlichen Methoden stellen eine ernste Gefahr für die geistige und psychische Gesundheit, speziell für das klare und kritische Denkvermögen und die emotionale Unabhängigkeit dar. Ich bezweifle nicht, dass durch gründliche Untersuchungen nachzuweisen wäre, dass der durch Drogenabhängigkeit verursachte Schaden nur einen Bruchteil der Verheerungen ausmacht, die durch unsere Suggestivmethoden angerichtet werden, von unterschwelliger Beeinflussung bis zu solchen semihypnotischen Techniken wie ständige Wiederholung oder die Ausschaltung rationalen Denkens durch Appelle an den Sexualtrieb. Die Bombardierung durch rein suggestive Methoden in der Werbung, vor allem in Fernsehspots, ist volksverdummend. Dieser Untergrabung von Vernunft und Realitätssinn ist der einzelne tagtäglich und überall zu jeder Stunde ausgeliefert: viele Stunden lang vor dem Bildschirm, auf Autofahrten, in den Wahlreden politischer Kandidaten etc. Der eigentümliche Effekt dieser suggestiven Methoden ist ein Zustand der Halbwachheit, ein Verlust des Realitätsgefühls."

Ganz nebenbei will ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass die Werbung für ein 300-Euro-Handy, einen 700-Euro-Fernseher oder ein 10.000-Euro-Auto für jeden einzelnen der vielen Millionen Niedriglöhner und Hartz-Terror-Opfer in Deutschland nichts weiter als blanker Hohn ist - ganz abgesehen von den "Produkten" der auch in der bizarren Werbung versammelten Versicherungs- und Finanzbranche. Diese ausgesonderten Menschen spielen auch in der Reklameindustrie natürlich keine Rolle mehr - dabei ist es völlig unerheblich, dass dort mit Preisen geworben wird, die einem Verarmten in Deutschland das Überleben teils für viele Monate sichern könnten. Kurt Tucholsky schrieb dazu 1931:

"Wer soll sich denn das noch kaufen, was sie da herstellen? Ihre Angestellten, denen sie zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel geben, wenn sie sie nicht überhaupt auf die Straße setzen? Die kommen als Abnehmer kaum noch in Frage. Aber jene protzen noch: dass sie deutsche Werke seien, und dass sie deutsche Kaufleute und deutsche Ingenieure beschäftigen – und wozu das? 'Um den Weltmarkt zu erobern!' So schlau wie die deutschen Kaufleute sind ihre Kollegen jenseits der Grenzen noch alle Tage. Es setzt also überall jener blödsinnige Kampf ein, der darin besteht, einen Gegner niederzuknüppeln, der bei vernünftigem Wirtschaftssystem ein Bundesgenosse sein könnte. (...) Der unbeirrbare Stumpfsinn, mit dem diese Kapitalisten ihre törichte Geldpolitik fortsetzen, immer weiter, immer weiter, bis zur Ausblutung ihrer Werke und ihrer Kunden, ist bewundernswert. Alles, was sie seit etwa zwanzig Jahren treiben, ist von zwei fixen und absurden Ideen beherrscht: Druck auf die Arbeiter und Export. / Für diese Sorte sind Arbeiter und Angestellte, die sie heute mit einem euphemistischen und kostenlosen Schmeichelwort gern 'Mitarbeiter' zu titulieren pflegen, die natürlichen Feinde. Auf sie mit Gebrüll! Drücken, drücken: Die Löhne, die Sozialversicherung, das Selbstbewusstsein – drücken, drücken! Und dabei merken diese Dummköpfe nicht, was sie da zerstören. Sie zerstören sich den gesamten inneren Absatzmarkt."

Es dürfte regelmäßige Leser dieses Blogs sowieso nicht überraschen, dass auch diese Zuspitzung und groteske Dominanz der Reklame in der schrillen Endphase des sich auflösenden Kapitalismus kein neues Phänomen ist:

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Fortschritt


"Um die unerhört gestiegenen Unterhaltskosten der Friedhöfe aufzubringen, dürfen von jetzt ab gegen entsprechende Gebühren an den Grabmälern Reklametafeln angebracht werden."

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine, in "Simplicissimus", Heft 29 vom 12.10.1921)

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