Donnerstag, 3. Oktober 2013

Zitat des "Tages der deutschen Einheit": Die Fahrt nach der Irrenanstalt


Auf lauten Linien fallen fette Bahnen
Vorbei an Häusern, die wie Särge sind.
An Ecken kauern Karren mit Bananen.
Nur wenig Mist erfreut ein hartes Kind.

Die Menschenbiester gleiten ganz verloren
Im Bild der Straße, elend grau und grell.
Arbeiter fließen von verkommnen Toren.
Ein müder Mensch geht still in ein Rondell.

Ein Leichenwagen kriecht, voran zwei Rappen,
Weich wie ein Wurm und schwach die Straße hin.
Und über allem hängt ein alter Lappen –
Der Himmel ... heidenhaft und ohne Sinn.

(Alfred Lichtenstein [1889-1914], in "Die Aktion", Heft 7, 2. Jahrgang, 1912; auch in: "Die Dämmerung. Gedichte", 1913)


(Bild: "Alfred Lichtenstein" von S. Tebbutt)

2 Kommentare:

undeutscher hat gesagt…

was für ein gedicht, was für ein bild. wahrscheinlich versteht fast niemand wieso du das ausgerechnet heute gepostet hast. geist ist ein künstlich verknapptes gut in dieser untergangsszone.

Charlie hat gesagt…

@ Undeutscher: Ich gehe davon aus, dass die meisten der hier Mitlesenden sehr wohl verstanden haben, was ich mit diesem Posting bezweckt habe. ;-) Dass niemand etwas dazu geschrieben hat, solltest Du nicht als Indiz für Unverständnis werten.

Davon abgesehen teile ich Deine Bewunderung für das Gedicht und das Bild - sonst hätte ich beides ja auch nicht ausgewählt.

Liebe Grüße!