Donnerstag, 25. September 2014

Irrsinn des Tages: "Es geht den Deutschen so gut"


Es geht den Deutschen so gut, dass sie bereits bei einer geringfügigen Veränderung des Status quo Krisengefühle entwickeln und dafür Ventile suchen. Die große Mehrheit erlebt die Gegenwart als eine Zeit großen Wohlstandes und großer Stabilität.

(Kurt Biedenkopf in einem zuckersüßen Gute-Laune-"Interview" der Kuhjournaille "Die Zeit")

Zu diesem weltfremden Auswurf Biedenkopfs, der anlässlich des absurden Wahltheaters in Sachsen bezüglich der "AfD" gefallen ist, muss ich wohl nicht allzu viel schreiben. Natürlich beleidigt der Mann damit unverhohlen Millionen von Menschen in diesem Land, denen es alles andere als "gut" geht; natürlich verharmlost er im weiteren Verlauf des "Interviews" den eklatanten Rechtsruck des gesamten poltischen Spektrums; und ebenso natürlich "erklärt" er wieder einmal, dass NPD- und "AfD"-Wähler größtenteils nur "Protestwähler" seien, die man nicht weiter ernst nehmen müsse - zumal gerade die "AfD" ja auch gar nicht schlimm sei. Die CDU bereitet sich offensichtlich auf einen neuen, willfährigen Koalitionspartnerzwerg vor, der zukünftig die schäbige Rolle der verwesten FDP am äußeren rechten Rand einnehmen soll.

Der ganze Text, den Biedenkopf hier absondert, ist ein Paradebeispiel für propagandistischen, klar erkennbaren Zielen verpflichteten Schwachsinn, und die "Journalisten", die ihn dabei unkritisch und devot begleiten, die diesen Quatsch auch noch in die Zeitung bringen und damit nicht nur die dumme Propaganda, sondern auch ihr eigenes journalistisches Waterloo in die Welt erbrechen, markieren einmal mehr den post-orwellschen Zustand dieses furchtbaren Staates.

Dennoch geht es mir hier ganz besonders um die Dreistigkeit Biedenkopfs, Merkels widerliche Lüge ("Deutschland geht es gut") zur weiteren Etablierung in der "öffentlichen" (also manipulierten) Wahrnehmung einmal mehr zu reproduzieren und ihr sogar noch ein perverses Krönchen auszusetzen, indem er aus "Deutschland" frank und frei "die Deutschen" macht. Wenn das Merkelmonster von "Deutschland" spricht, ist zumindest für aufgeklärte Zeitgenossen sofort klar, dass damit lediglich große Unternehmen und insbesondere Konzerne sowie deren oft anonymen Eigner gemeint sind - Biedenkopf erweitert die Lüge durch seine Wortwahl aber noch und benennt ausdrücklich die BürgerInnen dieses verkommenen Staates.

Ich persönlich kann mich allmorgendlich gar nicht entscheiden, ob ich zuerst drei Stunden Jubeltänze zu Ehren der korrupten Bande und des Kapitalismus' auf dem örtlichen Marktplatz aufführen soll, weil es mir so verdammt "gut" in diesem Staat geht, oder ob ich nicht doch besser dafür Sorge trage, dass ich abends noch ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und womöglich sogar eine Krankenversicherung habe. Nichts davon ist mehr selbstverständlich in diesem Land. Genau das sind der "Wohlstand" und die "Stabilität" für etwa 12,2 Millionen Menschen in Deutschland, wenn man nur die - natürlich gefälschten geschönten - Zahlen des "3. Armutsberichtes" zugrunde legt. Die tatsächliche Zahl dürfte weit darüber liegen.

Wie soll und kann man einer solchen massiven Propaganda, die über die orwellsche Dystopie ("Die Schokoladenration wurde [von vormals 30 Gramm] auf 20 Gramm erhöht.") hinausgeht, überhaupt noch begegnen? Ich bin da inzwischen völlig ratlos. Abwarten und auf das Ende der kapitalistischen Katastrophe warten - das kann doch nicht die Lösung sein ... wir wissen doch, was dann womöglich (oder gar unweigerlich?) folgt!

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[Die neoliberalen Erfolge]


"Der Patient scheint gar nicht zu merken, dass unsere Wunderkur gelungen ist. Das Fieber steigt immer weiter!"

(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 18 vom 31.07.1932)

2 Kommentare:

Dennis82 hat gesagt…

"Den Deutschen" geht es doch auch gut. Zumindest aus der Perspektive des Michels. Wie oft habe ich es in politischen Gesprächen erlebt, dass erst lange lamentiert, geschimpft, der Kritik zugestimmt wurde - aber je mehr man sich des Pudels Kern näherte, um die grundsätzlichen Probleme des neoliberalen Systems, um so eher kam dann das Abwiegeln. Angst vor dem Ungewissen. Eben Jenes dem Michel eben durch solche Meldungen eingetrichterte "ach, uns geht's doch eigentlich ganz gut". Es ist quasi ne eingebaute "Sicherung". Zur Not vergleicht man halt die Situation mit den Afrikanern (und nicht mit den Multi-Milliardären)...

"Gut gehen" ist nun einmal relativ. Die meisten belügen sich da schon selbst - allein aus Betrachtung der zeitlichen Komponente geht es kaum einem "besser" als früher. Aber auch dies wird geleugnet.

Bzgl. der K"V" - Irrtum; du wirst immer eine haben, dafür hat die soziale Ulla Schmidt und GroKo Merkel I gesorgt. Es gibt eine KV-Pflicht, d. h. auch wenn du kein Geld mehr verdienst, vollsanktioniert wurdest oder Obdachlos bist - dein willkürlich festgesetzter Kopfbeitrag (mind. 160 Euro, inkl. Zinsen) läuft einfach weiter... Solltest du je wieder auf die Beine kommen, musst du erst mal Tausende Euro an KV-Beitragsschulden begleichen...

Charlie hat gesagt…

@ Dennis: Du benutzt ja dieselbe hanebüchene Schimäre wie Biedenkopf und der Rest der Bande: Es gibt doch gar keinen "Michel" - die Bevölkerung dieses Landes ist streng in mehrere Klassen unterteilt, die nicht sonderlich viel miteineinder gemeinsam haben und deren Interessen politisch in perfider Weise gegeneinander ausgespielt werden.

Deswegen "verroht die Mittelschicht" (bis sie sich in Bälde auflöst), deswegen hetzen manche Arme munter gegen Flüchtlinge und "Ausländer", und deswegen leben wir in einem so perversen, kalten Land, in dem Besitzstandwahrung um jeden Preis mit totaler sozialer Entsolidarisierung einhergeht. Das ist politisch gewollt und keineswegs ein Zufall.

Du hast allerdings nach meiner Auffassung durchaus recht mit der Einschätzung, dass "die meisten" (ich würde sagen: "viele") sich selbst belügen, was den eigenen Stand, den eigenen Reichtum, die eigene "Klasse" und letztlich das eigene Wohlbefinden betrifft. Emprische Daten habe ich dazu auch nicht, kann das aber gleich haufenweise aus eigenen Erlebnissen aus dem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis bestätigen.

Was die Krankenversicherung im Hartz-Terror betrifft, ist das keineswegs so einfach, wie Du es darstellst: Wenn ein Betroffener zu 100 Prozent sanktioniert wird, zahlt das Amt für die Dauer der Sanktion auch keine Beiträge an die Krankenversicherung mehr. Als Folge flatterte dem Betroffenen dann ein Schreiben von der Versicherung ins Haus, in welchem ihm Betroffenen mitgeteilt wird, dass das Amt ihn "abgemeldet" habe - gleichzeitig wird ein Formular mitgeschickt, mit dem ein "Antrag auf freiwillige Weiterversicherung" gestellt werden kann. Diese ist aber natürlich kostenpflichtig (mindestens 160 Euro pro Monat - Stand 2012), und nur die wenigsten Betroffenen dürften wissen, dass sie diesen Antrag auf jeden Fall ausfüllen und abschicken müssen, wenn sie weiter versichert bleiben möchten. Damit häufen sich dann allerdings, wie Du geschrieben hast, Beitragsschulden an, denn wie sollte ein zwangsverarmter Mensch, dem noch dazu sämtliche Leistungen einschließlich Miete gestrichen wurden, solche Beträge auch bezahlen können?

Und falls dieser Antrag vom Betroffenen nicht an die Krankenkasse geschickt wird (was in vielen Fällen aus Unkenntnis und aus dem Wissen heraus, die fälligen Beiträge sowieso nicht bezahlen zu können, durchaus nachvollziehbar ist), verliert er seinen Versicherungsschutz nach fünf Wochen vollständig.

Wie auch immer: Die Nebelkerzen der Bande, dass es "uns" ja so gut gehe, werden wir noch sehr häufig bestaunen können - mit zunehmender Verarmung immer breiterer Schichten dürfte die Häufigkeit dieser Lügen ebenfalls zunehmen.

Liebe Grüße!