Montag, 9. März 2015

Jens Berger an der "Einwanderungsrampe": Über Verwertungsschutz und Vorteilssteuerung


Jens Berger hat einen Kommentar zum Entwurf eines neuen Einwanderungsgesetzes der SPD geschrieben - doch was hat dieser Entwurf mit Verkehrsberuhigung zu tun?

Ein Gastbeitrag von Altautonomer.

Bergers Beitrag erscheint auf den ersten Blick sachlich. Man kann über alles reden, ohne Tabus; so sachlich, wie über die Blechlawinen in den Städten geredet werden kann, so sachlich lässt es sich auch über die Zuwanderungs"ströme" diskutieren ...? - Nein. Er denkt dabei nicht an die autofreie Stadt. Er ist kein Autofeind und auch kein Ausländerhasser, denn er weiß, der Kapitalismus braucht sowohl das Auto als auch die Ausländer, um die Mär vom fleißigen Inländer noch ein Weilchen am Leben zu erhalten.

Doch zuviele Autos verstopfen die Straßen, vergiften das Klima, erhöhen das Unfallrisiko und stressen einen Großteil der Bevölkerung ungemein. Wenn man wie Berger sachlich bleibt, bieten sich die Lösungen in der Zuwanderungsfrage förmlich analog an. Verkehrsleitsysteme und Verfahrensbeschleunigung, Parkberechtigungsscheine und Visapflicht, Anwohnerparkplatz und Aufenthaltsrecht, Park & Ride und Außenstellen der Einwanderungsbehörden in Asien, Afrika und Osteuropa, Zufahrtsregelung durch Ampeln auf Autobahnzufahrten und Einwanderungsquoten. [Da fehlt bloß noch die Maut im SPD-Einwanderungskatalog. Anm.d.Kap.]

Erinnern wir uns: Im Sommer 2004 verteidigte Lafontaine (damals WASG) die Pläne von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), in Nordafrika Lager für Flüchtlinge einzurichten, damit diese nicht mehr versuchen, in Booten die italienische Küste zu erreichen. Diese Abschottung gegen Flüchtlinge, für deren Durchsetzung SPD-Politiker wie Dieter Wiefelspütz sogar den Einsatz der NATO forderten, wurde damals von allen Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert.

Der sich heute als Journalist bezeichnende ehemalige Pressereferent eines Versorgungsunternehmens mit BWL-Studium, Jens Berger, leitet seinen Text mit der Formulierung ein, das Thema Einwanderung "offen" diskutieren zu wollen. "Offen" heißt also, dass auch Abschottung, Ausweisung, Abschiebung und befristete Aufenthalte dabei herauskommen können; oder, anders formuliert: Alles ist möglich. Damit will er vermutlich seinen "liberalen und toleranten Diskussionsstil" unterstreichen.

Was er unter Einwanderung und Zuwanderung versteht, differenziert er nicht weiter. Politisch Verfolgte? Kriegsflüchtlinge? Abgelehnte, jedoch "geduldete Asylbewerber" mit "Abschiebungshindernissen"? "Armutsflüchtlinge"? EU-Bürger (die er lediglich in einem anderen Kontext anführt)? Arbeitsimmigranten? - Ebenfalls nicht erwähnt wird die schnöde Tatsache, dass Asylbewerber in den ersten drei Monaten ihres (legalen, also "bewilligten") Aufenthaltes in Deutschland gar nicht arbeiten dürfen und auch danach nur dann einen Arbeitsplatz annehmen können, wenn es keinen "deutschen Bewerber" gibt.

Sodann versucht Berger mit der Argumentationslogik der Verwertungsideologen und Wohlstands-Chauvinisten die Widersprüche aus dem Inneren des kapitalistischen Hamsterrades dahingehend aufzuzeigen, dass eine "Vorteilssteuerung", wie sie die SPD beabsichtigt, aus ökonomischen Gründen nicht funktieren kann. Die Nützlichkeit eines Menschen wird auch nach Bergers Überzeugung zur Rechtfertigung seines Aufenthaltes in Deutschland - nur eben nicht so, wie sich die SPD das vorstellt. Da hat er effizientere Vorstellungen. Das hat zwangsläufig jedoch immer unmittelbar zur Folge, dass sich der militante Rassismus noch stärker auf diejenigen konzentriert, die als "unnütze Menschen" und Einwanderer durch das Netz der "Fachkräfteauswahl" fallen und in Flüchtlingsheimen zusammengepfercht werden. An ihnen entlädt sich dann erst recht die ganze Wut der vermeintlich zu kurz Gekommenen.

Er stellt nur als Randnotiz den Utilitarismus (als Form eines linken Rassismus) in Frage, weist ihn aber dabei einzig "der Wirtschaft" zu. Am Ende ist auch Berger für "Bereicherung statt Bedrohung": "Und schlussendlich müssen auch Markt und Gesellschaft wieder ins Lot gebracht werden", schreibt er. Wo es dem deutschen Markt mit seinen absurden Exportüberschüssen doch so schlecht geht. Es ist die klassische Linie der SPD-Ausländerpolitik, die Lafontaine im Kopf hatte, der 2005 in Chemnitz sagte, dass der Staat dazu verpflichtet sei zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnähmen. Die NPD wirbt übrigens mit einem ähnlichen Spruch: "Fremdarbeiter stoppen! Arbeit für Deutsche!"

Berger schreibt: "Es ist erstaunlich, dass die Apologeten vom Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage nicht einsehen wollen, dass man die vermeintlichen Personalengpässe in der Kranken- und Altenpflege ohne Probleme beheben könnte, wenn man dafür sorgt, dass die Jobs in diesem Sektor ordentlich bezahlt werden." Auch dieses Argument, das wie gewohnt den kapitalistischen Tellerrand nicht zu überwinden vermag, läuft letztendlich darauf hinaus, die "Wohlstandsinsel Germany" gegen jedwede Konkurrenz abzuschotten: Standortnationalismus anstelle einer so dringend notwendigen internationalen Solidarität.

Zum Schluss läuft der Selektionsexperte zur Höchstform auf: "Wer die Frage des Lebensunterhalts komplett ausblendet, sorgt schlussendlich nur dafür, dass Armut einwandert und die Gesellschaft mit den Kosten für diese Armut alleine gelassen wird. Dieser Punkt darf nicht ignoriert werden, sonst spielt man ohne es zu wollen den Rechtspopulisten in die Hände." - Mir fehlen die Worte. [Mir auch. Anm.d.Kap.] - Falsch, Herr Berger: Den Rechten spielt man in die Hände, wenn der Kalauer der "staatlich gewünschten Fachkräfte aus dem Ausland, die deutschen Arbeitern Arbeitsplätze und Wohnungen wegnehmen" (der Klassiker neben der "Vergewaltigung deutscher Frauen durch Neger") wieder eine Renaissance erlebt! Oder soll damit gar ausgedrückt werden, dass die Flüchtlinge "selbst schuld" am Verfolgungswahn des Mobs seien?

Natürlich würde sich an einen legalen Daueraufenthalt der Fachkräfte zum Zwecke der Wohlstandsbewahrung des deutsche Volkes zwangsläufig auch die Forderung nach der Integrationsbereitschaft der Einwanderer anschließen. Berger erwähnt aber nicht, dass erfahrungsgemäß auch hier rechtsradikale Ressentiments wie "Gefahr der Durchrassung und Rassenvermischung" bedient werden.


6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wer liest denn schon Jens Berger und nimmt den auch noch Ernst? :) Soviel Liebesmüh für einen Luftikus der "sozialen Marktwirtschaft", das ist doch vergeutete Energie..

Charlie hat gesagt…

@ Anonym: Ich fürchte, Du unterschätzt die Reichweite der Nachdenkseiten maßlos.

jakebaby hat gesagt…

Was ein gewohnt, ekelhaft leidiges Thema.
Wann ging das nochmal nahtlos weiter? ... ach genau, nach '45 und wohlbehalten, gehuetet und gepflegt bis heute, verschissene Tendenz stetig eskalierend ...

Mir liefen '79 die ersten Skins vor die Knoechel, welche meine deutsche, wohl ein wenig zu sonnengebrauent-dunkelhaarige Freundin Tittengrabschten ... '85 haette ich gerne saemtliche Republikaner fuer ihre rassistischen++ Ausscheidungen geknoechelt, und allerlei Leute verstanden so gar nicht, warum ich nicht auch dafuer sei, einem Deutschen Wohnung/Arbeitsstelle bevorzugt zu gewaeheren ... etc.

Paar Jahre spaeter brannten Asylanten/Heime ... etc. blabla ..

usw. usf. .... und Heute ist noch lange nicht genug deutsches Morgen. ...

Diesbezueglich sind die Nachdenkseiten, im Vergleich zu durchgehend politisch/industriel/religioes/etc.-Scheisse, nicht mal ein Urinfleck in der Unterhose ... und die sind realliberal Links ...

Deutschland enttauescht mich nicht, Es bestaetigt nur ausschliesslich, nachdruecklich und weiterhin meine uebelsten Schwarzmalereien aus knapp 4 Jahrzehnten.
Wenn "Schlimmer geht Immer" zur real bestaendigen Gewohnheit wird, bleibt einem wenigstens das Privileg, sich ueber Nichts mehr wundern zu muessen:) ...

..

Charlie hat gesagt…

@ Jake: Bei aller völlig berechtigter Kritik an der latenten Ausländerfeindlichkeit in Deutschland, die mich ebenso wie Dich seit Jahrzehnten zum stetigen Erbrechen bringt, muss man allerdings auch fragen, wo um alles in der Welt es in dieser Hinsicht denn besser aussieht? Der Horror des Kapitalismus ist längst global und produziert (medial und politisch befeuert) überall dieselben vorhersehbaren Ressentiments und Katastrophen.

Dass der Altautonome mit seiner Kritik an Berger auch nur auf inländische Punkte eingeht, ergibt sich ja aus dem Thema.

Die Nachdenkseiten möchte ich allerdings nicht als "realliberal links" bezeichnen. Die Herausgeber Müller und Lieb sowie die weiteren Autoren Berger & Co. gehören zu der wunderlichen Spezies, die am kapitalistischen System krampfhaft festhalten wollen, es aber "staatlich bändigen" möchten. Diese Leute hängen dem absonderlichen Glauben an, es habe irgendwann einmal einen "guten Kapitalismus" gegeben (genannt wird da als Beispiel gerne das Jahrzehnt der 70er Jahre), und diesen Zustand möchten sie wieder herbeiführen.

Wie hanebüchen dieses infantile Wunschdenken ist, das an allen bösen Realitäten auch der damaligen Zeit stramm vorbeigeht, muss ich Dir wohl nicht erklären. Wer den Kapitalismus "bändigen" will, verschreibt einem Krebspatienten auch Globuli oder ein Tarotkartenset als Allheilmittel und verhält sich ansonsten wie die drei berühmten Affen: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Die tumben Skins, die Du erwähnst, haben nicht begriffen, wer ihr Feind war und ist - nämlich die selbsternannte "Elite" der Superreichen. Auf Berger und den Rest der NDS-Autoren trifft das allerdings gleichermaßen zu. So etwas kann man beim besten Willen nicht mehr "links" nennen.

Liebe Grüße!

jakebaby hat gesagt…

Die Bezeichnung -realliberal Links- stammt auch nicht aus meiner Feder/Ueberzeugung.

Dass es woanders auch nicht besser aussieht, ist nun mal schlichtweg halt auch einfach SO! ... so richtig blicken tut das aber kaum jemand.

Wer der wirkliche Feind ist wird von Links (ok, sogenannt:) bis hin zum Nazi nicht wirklich wahrgenommen und man laesst sich gemeinsam/gegeneinander vor den Karren spannen ... als waeren unsere/andere Politiker nicht schon primitiv'korrumpiert und un'beabsichtigt beschissen genug.
Und diese Penner werden auch noch aus allen Richtungen gehuldigt und sind selbst so dermassen verbloedet, dass sie nicht mal annaehernd wissen warum und fuer welche Zukunft sie sich ueber dieses noch verbloedetere Voelkchen ins Fauestchen lachen.

Wie gesagt ist umfangreich Schlimmer geht Immer meine einzige Realisierung der letzten Jahrzehnte und das wird auch weiterhin immer 'besser.
Abschaffen wirst du den Kapitalismus&Co nicht. Davor schafft er den Planeten ab. Und den Versuch des Baendigen, nimmt er dir ebenso uebel.

I can change everything, but not Human Nature .. D. Manhattan ...

Gruss
Jake

Charlie hat gesagt…

@ Jake: In fast allen Punkten stimme ich Dir zu - allerdings lenkst Du den Blick mit dem Hinweis auf die angeblich "menschliche Natur", die das krebszellenartige Verhalten der wenigen "Elite"-Menschen beschreiben soll, wiederum von den wahren Verursachern des Elends ab und verallgemeinerst es so in einer nach meinem Dafürhalten unzulässigen, geradezu fatalistischen Weise, wie sie ja gerade von der neoliberalen Propagandafront immer wieder verbreitet wird.

Es gibt nach meiner Wahrnehmung schlichtweg keine einheitliche, generell gültige "menschliche Natur" - und erst recht keine so perverse und auf den reinen Eigennutz gerichtete, wie die Ideologen des Kapitalismus es nicht müde werden zu behaupten. - Aber das ist natürlich eine andere Diskussion, ich weiß.