Es wird Frühling. Jenseits der in der Natur zu beobachtenden Hinweise gibt es jedes Jahr aufs Neue untrügliche Indizien für diesen Umstand, und auch diesmal hat mich die geballte Beweiskraft an einem Samstagmorgen, den ich mir zum erfrischenden, langen Ausschlafen auserkoren hatte, wüst getroffen.
Es ist kurz nach 8 Uhr morgens - ich liege zu diesem Zeitpunkt gerade seit knapp vier Stunden im Bett und fröne in totaler Entspannung dem seligen Tiefschlaf -, als ich brutal und unvermittelt aus meinen kuscheligen Träumen gerissen werde. Kaum steigt das Thermometer im März knapp über 5 Grad, hält es die hiesigen Dorfbewohner (und es handelt sich meist um Männer) nicht mehr in ihren Behausungen - sie werden von einem zwanghaften, quasi teuflischen Wahn erfüllt, die Keller, Garagen und Gartenschuppen zu stürmen und die seit Monaten brachliegenden Folterinstrumente endlich wieder hervorzukramen. Und dann bricht der fröhliche Frühlingsreigen los: Von rechts ertönt das satte Kreischen einer Kreissäge, das nur in den Pausen vom durchdringenden Summen eines Schleifgerätes von links untermalt wird, das mein Bett zum Vibrieren bringt, während hinten jemand wie von Sinnen Löcher in etwas zu bohren versucht, das nur aus Stahlbeton, Granit oder Diamant bestehen kann. Zwischendurch mäht jemand - tatsächlich im März und morgens um 8 Uhr! - den Rasen und benutzt dazu natürlich ein Gerät, das eher an die Geräuschkulisse eines Presslufthammers erinnert. Aus der Ferne dringt in den wenigen Pausen Gehämmer an mein Ohr - mich dünkt, jemand habe mein um Gnade flehendes Gebet, auf dem Dorfplatz unverzüglich eine Reihe von Galgen für Lärmterroristen zu errichten, aus meinem schläfrigen Hirn geklaut.
In solchen Momenten frage ich mich jedes Mal wieder, wieso ich eigentlich vor vielen Jahren aus der Großstadt in die grüne, stille Naturidylle des Dorfes geflüchtet bin. - O holder Frühling auf dem Land in Deutschland, dein Name ist Lärm.
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Frühlingsnacht
Übern Garten durch die Lüfte
Hört' ich Presslufthämmer zieh'n,
Das bedeutet Frühlingsdüfte,
Unten fängt's schon an zu blüh'n.
Flehen möcht' ich, möchte weinen,
Ist mir's doch, als könnt's nicht sein!
Alte Qualen wieder scheinen
Mit dem Sägenklang herein.
Doch der Mond, die Sterne sagen's,
Und in Träumen rauscht's der Hain,
Und die Nachtigallen schlagen's:
Lärm ist deiner, er ist dein!
(frei nach Joseph von Eichendorff, 1837)
2 Kommentare:
Ich kann das sehr gut nachempfinden, wohne ebenfalls in einer ländlichen Gegend, eingekesselt von lärmenden Landwirten, dem Waffenarsenal der Nachbarn, Bahnstrecke und Autobahn.
Die Menschen mögen keine Ruhe mehr, kein Innehalten in der Stille. Sie sind geradezu süchtig näch Lärm.
Meine Vermieterin hatte sich doch tatsächlich einmal über den Gesang eines Vogels beschwert, dem ich gerne lauschte, da mir sein Gezwitscher völlig neu war. Sie sagte mir, sie wäre genervt. Sie fühlte sich ebenfalls genervt, wenn ich mich gelegendlich dem feeling meiner Bongo hingab.
Natur und Hausmusik gleich Lärm. Diese Irren sind geradezu stolz darauf, mit einem Laubbläser über ihr Grundstück zu toben und ihrem Rasen – viertägig – einen Einheitsschnitt zu verpassen.
Bezeichnend dazu ist, das solche Menschen alles ablehnen, was nur einen Hauch von Kritik erahnen lässt.
Und als Stadtbewohner nicht vergessen: Heut wird angegrillt, also Fenster zu, wenn nicht alles riechen soll wie geselcht!
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