Dienstag, 17. März 2015

Unsere schöne Glitzerwelt: Die "Jobcenter", die Armut und die Unterhaltung


Warum lässt sich ein Mensch wie Günter Wallraff vom Gossen-Sender RTL für oberflächlichen Krawall und pseudokritische Berichterstattung einspannen?

Diesmal hat es das "Team Wallraff" für die gleichnamige RTL-"Doku" in die Niederungen der "Jobcenter" verschlagen. Wer sich mit diesem Thema auskennt, womöglich selber direkt oder indirekt davon betroffen ist und seine Informationen in der Regel aus dem kritischen Teil des Internet bezieht, konnte angesichts dieses Machwerkes aber nicht einmal müde lächeln. Da wurden gar sensationelle Ergebnisse "enthüllt": Es verschwinden "manchmal" Dokumente oder ganze Akten! SachbearbeiterInnen der "Jobcenter" werden oft nur befristet angestellt! Es herrscht künstlich erzeugter Personalmangel! Die Arbeitslosenstatistik wird auch durch sinnfreie "Maßnahmen", für die Millionen von Steuergeldern verschleudert werden, bewusst und gewollt massiv gefälscht! Sanktionen werden "manchmal" rein willkürlich ausgesprochen! Es gibt absurde "Vermittlungsquoten" in den Ämtern! Etc. - Nein, wer hätte denn das alles auch erahnen können?!?

Ich gebe zu, dass ich mir diesen Mist - ganz entgegen meiner sonstigen strikten TV-Abstinenz - angetan habe, und meine schlimmsten Ahnungen wurden leider nicht enttäuscht: Die Sendung war noch schlechter als ich das im Vorfeld befürchtet habe. Alles, aber wirklich alles, was in dieser "Enthüllungsstory" aufgedeckt wurde, war vorher schon seit Langem hinlänglich bekannt. Es war ein müder, billiger, lauwarmer Aufguss, der in schöner RTL-Manier äußerst dramatisch und reißerisch in den Pausen zwischen den noch dämlicheren Reklameblöcken präsentiert wurde. Dabei blieb tiefere Kritik einigen wenigen vernuschelten Nebensätzen vorbehalten, während das "Interview" mit dem "Vorstand Arbeitsmarkt" der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, gar zur grotesken Farce und reinen neoliberalen Propagandaveranstaltung geriet, wie sie peinlicher kaum hätte ausfallen können.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Hartz-Terror - wie beispielsweise den grundgesetzwidrigen Sanktionen, der massenhaften Zwangsverarmung, Entmündigung und Schikanierung von Millionen von Menschen, der existenziellen Not und sozialen sowie kulturellen Verelendung, in die sie gewollt getrieben werden, oder der ebenfalls grundgesetzwidrigen Zwangsarbeit - fand nicht statt. Es wurden weder Fragen gestellt, die nach den ideologischen Hintergründen dieses perversen Systems - inmitten des explodierenden Reichtums der Superreichen - forschten, noch solche, die überhaupt den Sinn und Zweck einer solchen faschistoiden Behörde in unserer heutigen Zeit zum Inhalt hatten. Auch das systemimmanente Symptom der allgegenwärtigen Korruption wurde mit keinem Wort erwähnt. Alle "aufgedeckten" Skandale wurden stattdessen, wie üblich, als - wenn auch öfter vorkommende - "Einzelfälle" dargestellt, die aber nicht das Geringste mit dem System an sich zu tun hätten.

Als Fazit der Sendung lässt sich formulieren: Man müsste nach dieser verzerrten Darstellung lediglich die Behörden und deren MitarbeiterInnen ein wenig "reformieren" bzw. "auf Kurs bringen" - und schon wäre das Hartz-System in bester Ordnung und das Paradies in greifbarer Nähe. Wie zynisch, geradezu menschenverachtend das ist, muss ich niemandem erklären, der mit dieser bürokratischen Perversion schon einmal Kontakt hatte oder immer noch haben muss.

Wieso tut Wallraff das? Braucht er dringend Geld? Ist er senil und merkt nicht mehr, wessen böses Lied er da anstimmt? Oder habe ich ihn einfach falsch eingeschätzt und in einer Ecke verortet, in der er sich nie aufgehalten hat? - Unsere Kuhmedien gehen mit dieser Sendung jedenfalls genau so um, wie sie es verdient hat: Bei n-tv beispielsweise ist der - ebenso oberflächlich-dümmliche - Bericht darüber exakt in dem Ressort erschienen, in das er gehört - nämlich in der Sparte "Unterhaltung".


(Screenshot: n-tv. "Let's amuse ourselves to death.")

9 Kommentare:

altautonomer hat gesagt…

Charlie: Du hast immer noch eine "hohe" Meinung über Wallraff? Der war doch schon immer ein Pseudoschriftsteller und Placebojournalist. Wenn Du Dir bitte einmal diesen Text durchlesen möchtest, siehst Du ihn vielleicht genau so wie ich.

http://www.konkret-magazin.de/425/articles/von-konkret-941.html

"Günter Wallraff, schreibt die Illustrierte »Spiegel«, »wird nun auch mit Fragen nach seiner journalistischen Redlichkeit konfrontiert: Wie viel von dem, was unter seinem Namen in den letzten Jahren veröffentlicht wurde, hat er selbst geschrieben, wie viel hat er schreiben lassen … Der Publizist Hermann Gremliza sagte schon vor Jahren, in Wahrheit habe er und nicht Wallraff das Buch Der Aufmacher über die Methoden bei ›Bild‹ geschrieben.«

...Aufsätze, Rezensionen und Reden haben andere geschrieben. Ich sage die Wahrheit und Wallraff lügt nicht: Keins seiner Werke hat er geschrieben und alle stammen von ihm. Denn der »weltberühmte Schriftsteller«, der nicht schreiben kann, hat es vermocht, die verschiedenartigsten Autoren, deren Hilfe er sich versicherte, auf jenen einheitlichen Ton zu stimmen, der den echten Wallraff verbürgt....."

Übrigens auch eine Ikone, die deshalb schon vor Jahrzehnten vom Sockel fiel. Wobei wir den Kreis zu RTL und F. Küppersbusch wieder schließen.

Charlie hat gesagt…

@ altauto: Ich muss konstatieren, dass ich Wallraff offensichtlich völlig falsch eingeschätzt habe. Zu meiner Entlastung muss ich aber auch anmerken, dass ich den Mann seit den Anti-BLÖD-Büchern aus den 80ern völlig aus den Augen verloren hatte und erst kürzlich (durch den besagten fernsehkritik-tv-Beitrag) bemerkt habe, dass er immer noch oder wieder aktiv ist. Das war auch der Grund, weshalb ich mir das überhaupt angesehen habe.

Die TV-Kiste bleibt zukünftig - wie schon seit längerer Zeit - aus. Im Rahmen dieses Falles habe ich wieder einmal mitbekommen, dass der Großteil des Programmes - abgesehen von Reklame, Propaganda und dummer Einlullung - nur noch aus dem immer gleichen Krimi-Quatsch besteht. Laut Fernsehprogramm gibt es offensichtlich nichts anderes mehr als dumpfen Konsum, Ja-Sagerei und immer und immer wieder nur Mord, Totschlag und perverse Serienkiller auf allen Kanälen.

Es ist faszinierend, wie schnell die Gesellschaft in Richtung Ursuppe degeneriert, wenn sie entsprechend "angeleitet" wird.

Liebe Grüße!

epikur hat gesagt…

Wie ich schon im Mai 2013 schrieb: "Personalisierung ist Entpolitisierung". Unsere bürgerlichen Massenmedien reduzieren sämtliche Inhalte, Konflikte und Themen auf Personen, damit es "menschelt" und weil das beim Zuschauer ankommt. Das haben die alle in ihren tollen Journalistenschulen und Volontariaten gelernt.

Der hübsche Nebeneffekt ist dann der typische Diskurs vom "Einzelfall" und der "Eigenverantwortung". So gibt und wird es nie eine Systemdebatte oder eine Analyse über strukturelle Ungerechtigkeiten geben. Und genau das ist politisch und wirtschaftlich wohl mehr als gewollt. Denn deren Interesse ist nur der Erhalt von Pöstchen und Profitraten.

Dennis82 hat gesagt…

"Nein, wer hätte denn das alles auch erahnen können?!?"

Genau da liegt der wesentliche Denkfehler. Nur weil DU bereits Kenntnis darüber hast, bedeutet dies nicht, dass dies bei der großen Masse ebenfalls so ist. Die große Masse besteht aus ignoranten, leichtgläubigen, naiven, authoritätshörigen Vollhonks, die in der Regel nichts wissen wollen! Die große Masse glaubt genau dass; dass dort alles seine Richtigkeit und Gesetzmäßigkeit hat. Dass wir "Aufschwung" haben und so wenige Arbeitlose wie schon ewig nicht mehr. Dass Hartz IV ein paradiesisches Leben ermöglicht... "Die Regierung könnte uns doch nicht einfach anlügen". "Dass könnten die doch nicht einfach so machen."

Wallraff hat zu seiner Tätigkeit bei RTL schon Stellung genommen. Er erreicht dort Menschen, die er bei einer Sendung um 23 Uhr in der ARD nicht erreicht. Vielleicht ja auch ein generelles Problem der Linken - sich immer nur in den eigenen Zirkeln zu bewegen - und sich dann zu wundern, warum sie niemanden erreichen...!?

Die Neoliberalen hocken überall, "unterwandern" jede, auch kritische Institution, nutzen deren Netzwerke, um Ihre Botschaften (vorwiegend auch unterschwellig) zu verbreiten... Vielleicht sollten einige Linke auch mal überlegen, ob es nicht auch nützlich sein könnte, die Infrastruktur des "Feindes" zu nutzen!?

Anstatt mal wieder rumzumaulen und sich gegenseitig zu denunzieren?!

altautonomer hat gesagt…

Dennis82: Das muss ich erst mal ganz ohne Alkohol langsam sickern lassen:
Bei RTL erreicht man also die Masse des toleranten, aufgeschlossenen wissbegierigen und vorurteilsfreien Publikums. Hmmmm.

Mit der Logik der "Unterwanderung" sollten wir doch alle in die CDU oder SPD eintreten und den Laden von innen aufmischen oder?

Anonym hat gesagt…

Ich habe es nicht gesehen.

Was mir auf fällt ist die zunehmende Umdeutung des Begriffs Arbeitslosigkeit.
Ich gewinne den Eindruck das Bezieher von ALGII in den Medien bereits nicht mehr zu den Arbeitslosen hinzu gezählt werden.
Es gibt also nach offizieller Berichtserstattung derzeit ca. 3 Millionen Arbeitslose, die ALGII- Empfänger werden verschwiegen.
"Die Guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpfchen".

Grüße flurdab

Charlie hat gesagt…

@ Dennis: Dein Kommentar geht an meiner (inhaltlichen) Kritik leider vorbei. Es ist nach meiner Auffassung eher kontraproduktiv, das RTL-Publikum mit solchen verzerrten Pseudoinformationen und "Einzelfall"-Skandalen bar aller Hintergründe zu versorgen, da diese an der generellen systemkonformen Haltung der "ignoranten, leichtgläubigen, naiven, autoritätshörigen Vollhonks" nicht das Geringste verändern können (und wohl auch sollen).

Außerdem sollte es doch gerade Dir bekannt sein, dass ausnahmslos alles, was in dieser furchtbaren Sendung skandalisiert wurde, schon seit langem (in derselben oberflächlichen, auswirkungslosen Weise) immer wieder auch in den Mainstreammedien thematisiert wird, und zwar nicht nur in der Zeit oder der FAZ.

Davon abgesehen kann ich jedem, der wirklich etwas zum Positiven verändern möchte, nur tunlichst davon abraten, dieselben schmutzigen Tricks oder gar kriminellen Machenschaften wie die neoliberale Bande anwenden zu wollen - das kann nur böse nach hinten losgehen.

Wer einer "Unterwanderung" nicht mit Aufklärung, sondern seinerseits mit einer "Gegen-Unterwanderung" begegnen will, begibt sich unweigerlich auf dasselbe unterirdische Niveau und verliert damit jeden Anspruch auf Glaubwürdigkeit.

Ich verstehe meine Kritik im Übrigen nicht als "Rumgemaule" und erst recht nicht als "Denunziation". Es ist ein starkes Stück, dass Du solche diffamierende Begriffe benutzt.

Viele Grüße!

altautonomer hat gesagt…

@all:

http://www.elbpresse.de/deutschland-welt/122-skandal-guenter-wallraff-spionierte-in-wahrheit-jahre-lang-rtl-aus

Charlie hat gesagt…

@ altauto: Welch ein schönes Resümee. Danke. :-)