Montag, 8. Februar 2016

Fasching in Zeiten des (Prä-)Faschismus


Ein Gastbeitrag des Altautonomen

Mitten in der Hochphase des kalendarischen Humordiktats flippen die sich immer gern zu Tode amüsierenden Anhänger einer Schwachsinnskultur namens Karneval völlig aus. Alkoholisierte, grölende Massen auf Elferratssitzungen und Rosenmontagsumzügen, peinliche Witze und alberne Kostüme bestimmen für wenige Tage in wenigen Regionen des Landes das öffentliche Bild.

Zum Zwang, gut drauf zu sein, gab es bei feynsinn im März 2015 unter dem Titel "Los, sei lustig" einen guten Text, in dem es unter anderem heißt:

Ich hingegen verlange eine Aufnahme der Stimmungsautisten, Depressiven und Entnervten ins Antidiskriminierungsgesetz. Fortan soll, wer anderer Menschen Stimmung aufzuhellen versucht oder sie gar selbst dazu auffordert, ihre Stimmung zu wechseln, sanktioniert werden wie jeder andere miese Stalker.

Das Vergnügungskollektiv duldet nun mal keine Abweichler. Wer beim Ententanz oder beim Schunkeln der "Jecken" (übersetzt: "Verrückten") nicht mitmacht, ist verdächtig. Die besinnungslosen und anlasslos ausgelassenen Massen ahnen nämlich ihre eigene Blödheit und fühlen sich durch Menschen, die nicht teilnehmen möchten, beobachtet. Beobachtung aber entblößt.

Damit Flüchtlinge durch derartigen Zinnober nicht irritiert werden, hat das Festkommitee der Organisatoren des Kölner Karnevals einen Infoflyer in verschiedenen Sprachen herausgegeben. Was darin als Tradition bezeichnet wird, ist heute die Lizenz zum Komasaufen, Fremdgehen und zu sexuellen Übergriffigkeiten. Flüchtlingen wird dieses beschönigende Aufklärungsflugblatt nicht viel sagen, hat es doch mit der Realität nur wenig zu tun. Denn die sieht in der Regel so aus, wie es ein Screenshot aus der WDR-Regionalsendung "Lokalzeit Dortmund" vom 4.2.2016 beispielhaft zeigt:



Für Menschen, die sich zwangsweise - aus völlig anderen Kulturkreisen kommend - in Deutschland aufhalten müssen, ist dies wohl eher ein derber Kulturschock, der auf sie sehr verstörend oder verängstigend wirken kann. Hier und heute entlarvt sich das Gerede von der "Leitkultur" und der "Integration in das deusche Wertesystem" als inhaltsleeres Geschwätz.

Und für so einen reaktionären Unsinn ist natürlich auch Geld vorhanden. Bisher kostete allein der Rosenmontagszug in Köln den Steuerzahler jährlich 1,7 Mio Euro. Durch den Einsatz von mehr Sicherheitspersonal wird dieser Betrag in diesem Jahr mit Sicherheit höher ausfallen.

"Konfetti! Kamelle! De Zoch kütt!"

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Anmerkung von Charlie: Eigentlich hatte ich vor, zu diesem Gastbeitrag eine ergänzende Doku zum Thema "Karneval in der NS-Zeit" einzufügen. Es gibt tatsächlich auch einige Filme dazu (meist vom WDR produziert bzw. ausgestrahlt), allerdings sind diese allesamt so grottenschlecht, da sie jedwede Distanz und erst recht jeden kritischen Blick auf den Karneval an sich rigoros vermeiden, so dass ich kein einziges Video gefunden habe, das ich mit gutem Gewissen hätte empfehlen können.

Daher steuere ich nur etwas bitteren Endzeithumor aus dem Jahr 1933 bei und verkrieche mich ansonsten vor dem bierseligen Stumpfsinn:

Eventueller Ausweg

In Adolfs Fass beginnt's zu gären.
Was wird dasselbige gebären?
Wenn wir uns lauschend drüber neigen,
vernehmen wir ein Blasen-Steigen.
Und Kenner, die es ernst beklopfen,
erwarten einen guten Tropfen.
Wogegen andere gehässig
auf Schlempe raten oder Essig.
Ja, manche sind geneigt zu glauben,
die Gärung sprenge bald die Dauben.

Gesetzt, es würde wirklich krachen
- was sollten wir mit Adolf machen?

Höchst einfach: allerwärts stehn Throne,
geeignet, dass er sie bewohne;
denn Stadt und Land und Berg und Tal
braucht einen Prinzen Karneval.

(Ratatöskr alias Hans Erich Blaich [1873-1945], in "Simplicissimus", Heft 44 vom 29.01.1933)

6 Kommentare:

altautonomer hat gesagt…

Freunde des anspruchsvollen Humors in Pfaffenhofen/Bay.
https://twitter.com/MatthiasMeisner/status/696403987554291713?lang=de

epikur hat gesagt…

In Berlin gibt es zu Ostern wenigstens den "Karneval der Kulturen". Da sieht jeder verkappte Mittelschichts-Rassist wie bereichernd es ist, verschiedene Kulturen im Land zu haben. Leider wurde auch diese Veranstaltung von Jahr zu Jahr immer größer und dient somit mittlerweile auch nur noch der Geldmacherei. Alle Zwei Meter gibt es Fress- und Saufbuden.

Ein Glück wohne ich nicht in NRW ;-)

Charlie hat gesagt…

Kleine Ergänzung: Unter der Überschrift "Rechte Wagen bei Umzügen - #besorgtejecken zeigen zweifelhafte Motive" berichtet n-tv:

Dargestellt wurde eine riesige Lokomotive, auf der die Worte "Balkan-Express" und "Die Ploach kömmt" (Die Plage kommt) zu lesen war. Um den Wagen herum liefen als grüne Heuschrecken verkleidete Narren.

altautonomer hat gesagt…

Auf dem Blog "Hirnfick" sieht der Betreiber die Botschaft der fragwürdigen Wagen aus der satirischen Perspektive:

"Die Botschaft hinter dem Wagen wie auch hinter vielen ähnlichen – Mario Sixtus, der vom Charliesein nichts hält, verteilte erstaunlich wenig wortreich Inflektive darüber – ist offensichtlich eine Satire auf die gegenwärtige Entwicklung hin zu einer restriktiveren Asylpolitik. Das hätte Mario Sixtus und den Ermittlungsbehörden natürlich mal jemand sagen können, dass Karnevalsumzüge oftmals bissige Kritik an der Politik des Landes thematisieren und nicht nur allenfalls für sehr betrunkene Menschen gerade noch mittellustige Furzwitzfeiern sind."

Kritik an der Landespolitik ist üblich, aber bissig? Wer noch mehr Beispiele möchte:
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/rassistischer-panzer-motivwagen-karnevalsverein-entschuldigt-sich-a-1076242.html

Stand hinter der Absicht, derartige Themen der jubelnden Rezipienten zu präsentieren, die Bedienung rassistischer Stereotype oder die Gewissheit, dass dies schon als Satire erkannt wird? Haben die Verantwortlichen die 5. Jahreszeit dazu benutzt, mal so richtig die rassistische Sau raus zu lassen oder wollten sie nur grenzüberschreitend auf übertriebene und angesichts des Publikums naive Art humorvoll sein? Aber warum dann nicht eine Beschriftung wie "AfD-Panzer" oder so?
Die Botschaft war meines Erachtens eindeutig, nämlich als eines von vielen Beispielen (siehe SPON) nicht satirisch gemeint.

In eine ähnliche Richtung geht die Performance des Comedian Michael Mittermaier anläßlich der Verleihung der Goldenen Kamera 2016 in Hamburg am 07.2.2016. Er meinte, dass die Forderung der AfD-Frauen Petry und Storch nach einem Schießbefehl auch auf Frauen (und Kinder) ein Akt der Gleichberechtigung sei.



jakebaby hat gesagt…

Die deutsche Leid/Kultur, Traditionen und Werte.
Dazu wurde gestern auf dem Flagschiff deutscher Patrioten -Publizistische Inzucht- ein Video des genialen Filmemacher Roland Dellago (Urgrossneffe eines Schwagers von Hitlers Blondie) reingestellt.

Wie auch ansonsten setzte Dellago auch hierzu kurz&buendig alle Fakten compakt in Scene um die schuetzenswerte deutsche Kultur hervorzuheben. http://jakester-express.blogspot.com/2016/02/schutz-der-deutschen-kultur.html

Charlie hat gesagt…

@ Jake: Was verlinkst Du denn da für einen Jauchegrubeninhalt? ;-) Ich habe mir das nicht bis zum Ende ansehen können - diese Flachwichse ist ja unerträglich (und natürlich deutsche Realität, ich weiß).

Es ist fatal, dass eine vergleichbare Scheiße in nahezu sämtlichen westlichen "Kulturen" stattfindet - da ist Dunkeldeutschland leider (!!) keine Ausnahme.

Ein kleines Beispiel, das ein paar wenige europäische und US-amerikanische Krebsgeschwüre beleuchtet, findest Du hier. Das ist selbstredend bloß die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges, der längst wieder in der "Mitte" der kapitalistischen Gesellschaften angekommen ist und dort die Steinzeit beschwört.

Liebe Grüße!