Samstag, 6. Februar 2016

Realitätsflucht (29): Lucius 2


Der heutige Exkurs in die Realitätsflucht ist nur etwas für psychisch Kranke, Sadisten und hartgesottene Freunde des tiefschwarzen Humors. Es geht um das Adventure Lucius 2: The Prophecy des kleinen finnischen Entwicklerstudios Shiver Games aus dem Jahr 2015. Es handelt sich um die direkte Fortsetzung des ersten Teils (2012), der in Deutschland allerdings aus nicht nachvollziehbaren Gründen indiziert und damit nicht erhältlich ist.

Das macht allerdings nichts, denn am Beginn des Spieles wird man ausführlich über die Ereignisse aus dem ersten Teil informiert, so dass man diesen zweiten Teil problemlos spielen kann, ohne den ersten zu kennen. Auch Lucius 2 ist übrigens, obwohl bereits im Februar 2015 erschienen, in Deutschland bislang nicht veröffentlicht worden, so dass man das Spiel lediglich über die Steam-Krake oder als Import-DVD erwerben kann. Ich habe mich vor einem halben Jahr für die zweite Variante entschieden und die DVD direkt in Finnland - damals übrigens für weniger als zwei Euro - bestellt. Den furchtbaren Steam-Zwang wird man dadurch allerdings nicht los.



Spoilerwarnung

Zur Story gibt es nicht viel zu sagen: Wie schon im ersten Teil schlüpft man hier in die Rolle des achtjährigen [!] Lucius, der selbstverständlich kein gewöhnliches Kind, sondern der leibhaftige Sohn des Teufels ist. In dieser Funktion muss der Spieler für die Rückkehr Satans auf Erden wirken - und diese Aufgabe besteht einzig und allein darin, auf dem Weg durch die detailreich gestaltete Spielwelt möglichst viele Leute ins Jenseits zu befördern. Man tut also nichts anderes als in Gestalt eines kleinen, harmlos aussehenden Jungen durch die verschiedenen Regionen zu laufen (oder wahlweise mit dem Dreirad zu fahren) und dabei wahllos zu töten - und zwar auf höchst unterschiedliche Arten. Ich kann und will hier nicht alle Möglichkeiten auflisten, sondern nur eine kleine Auswahl nennen. Man kann unter anderem die folgenden Tötungsvarianten benutzen:

  • vergiftete Sandwiches verteilen
  • Benzin verschütten und ein Feuerzeug werfen
  • Gift in die Kaffeemaschine füllen
  • Wasserleitungen unter Strom setzen (für den Toilettengang oder das Händewaschen)
  • selbstgebastelte Bomben platzieren
  • Gasbehälter, Heizungsanlagen oder Hydranten zur Explosion bringen
  • einen Defibrillator oder ein Narkosegerät an Schlafenden benutzen
  • eine Nagelpistole abfeuern
  • einen Kran bewegen, dessen schwingender Haken tödliches Unheil anrichtet u.v.m.

Dies ist, wie gesagt, nur eine kleine Auswahl. Anfangs gestaltet sich diese Aufgabe noch recht einfach und hat so manche urkomische Szene zur Folge - im weiteren Verlauf wird das aber immer schwieriger, zumal die (auf der Spielkarte rot eingefärbten) Bereiche, in denen der kleine Lucius sich nicht aufhalten darf und bei Entdeckung ziemlich schnell geschnappt wird, immer zahlreicher werden. Und wenn er geschnappt wird, bedeutet das einen Verlust von Lebens- und Erfahrungspunkten oder gar - wenn es zu oft geschieht - das Ende des Spiels.

Die Reise beginnt - wie sollte es auch anders sein - in einer Psychiatrie, durch die sich der kleine Junge auf seinem Weg nach draußen munter hindurchschnetzeln muss, um in den nächsten Bereich, das Dorf Ludlow, zu gelangen. In einem solchen Hospital ergeben sich natürlich unzählige Möglichkeiten, wie man Patienten, Besucher, Ärzte und Pflegepersonal mehr oder weniger diskret meucheln kann. Dabei gibt es einige kleine Quests zu erledigen, die zum Fortkommen wichtig sind - und je mehr Meuchelmorde man verübt, desto schneller steigt man auf und kann Erfahrungspunkte in drei verschiedene Spezialfertigkeiten investieren, die im weiteren Spielverlauf sehr wichtig werden. So kann man beispielsweise "Telekinese" erlernen, die es erlaubt, Gegenstände aus der Ferne zu benutzen; man kann die Fähigkeit erwerben, andere Personen mental zu "übernehmen" und sie so zu gewissen, meist todbringenden Handlungen veranlassen; oder man kann den Feuerzauber erlernen, um Leichen direkt nach dem Mord verschwinden zu lassen, damit andere NPCs, die ansonsten negativ darauf reagieren, nicht auf das schändliche Tun aufmerksam werden.

Es gibt im Spiel reichlich "Eastereggs", die auf bekannte Filme aus dem Horror-Genre verweisen - an einer Stelle muss der kleine Lucius beispielsweise auf der Säuglingsstation des Krankenhauses dafür sorgen, dass aus den Neugeborenen später so illustre Personen wie Freddy Krueger oder Michael Myers werden (von denen man zumindest einen im späteren Verlauf wiedersieht).

Außerdem gibt es mehrere "Geheimnisse" zu entdecken - so trifft Lucius im Krankenhaus beispielsweise in einer verschlossenen Toilette (deren Schlüssel man natürlich nur durch die Ermordung des in der Nähe herumlaufenden Pflegers erhält) auf ein munter kopulierendes homosexuelles Paar. Manche "Geheimnisse" haben sich mir beim ersten Durchspielen noch nicht erschlossen - ich weiß beispielsweise nicht, wozu der rosafarbene Dildo gut ist, den man an einer anderen Stelle des Spiels findet. Vielleicht will ich das auch gar nicht wissen.

Dieses überaus kranke, urkomische, tiefschwarzhumorige Spiel hat mir großen Spaß bereitet, weshalb ich die wenigen bisher erschienenen Rezensionen im deutschsprachigen Raum, die allesamt recht negativ ausgefallen sind, nicht nachvollziehen kann. Wer einen solchen (politisch natürlich gänzlich inkorrekten) Humor nicht besitzt, sollte ein solches Spiel nicht spielen - diese Binsenweisheit hat sich wohl noch nicht überall herumgesprochen. Wer hier mit "Ernst" an die Sache - also das Spiel - herangeht, kann nur verlieren und derbe enttäuscht werden.

Auf meinem Win7/64-System gab's keine Probleme - Abstürze kamen nicht vor und auch die (anfangs wohl noch recht umfangreichen) Bugs sind mit dem jüngsten Patch weitgehend ausgebügelt. Die Sprachausgabe (Englisch mit optionalen deutschen Untertiteln) ist zwar professionell, aber leider völlig matschig abgemischt, so dass man tatsächlich die Untertitel benötigt, um alles zu verstehen. Die Musik ist kein großer Wurf, aber dem Spiel völlig angemessen.

Wer also schon immer mal als kleines, unschuldiges Kind ein Krankenhaus und eine Kleinstadt entvölkern wollte, um danach im örtlichen Wasserwerk dafür zu sorgen, dass auch der Rest der Menschen in der Region ins Gras beißt, nur um danach die biblischen Plagen der Apokalypse für den Rest der Menschheit in die Wege zu leiten, um Satans Herrschaft den Weg zu ebnen, ist mit diesem herrlichen Indie-Spiel aus dem hohen Norden bestens bedient. - Wer sich jetzt hingegen verwundert am Kopf kratzt oder gar angewidert dreinschaut, sollte tunlichst die Finger davon lassen und stattdessen weiter Biene-Maja-Texte lesen - und sich eingehend darüber wundern, dass ein Pazifist allen Ernstes und natürlich ohne finanzielle Interessen ein solches Spiel bewirbt.


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