Montag, 3. Oktober 2016

Der Pastor und der Nazi: Freiheit über alles


Eigentlich hatte ich geplant, anlässlich des heutigen Tages der Annexion der DDR exemplarisch einen kleinen Text zu schreiben, der sich mit den jüngsten Aktivitäten des Bundespräsipredigers Gauck befasst, der sich bekannter und gelogener Maßen nach wie vor als DDR-"Widerstandskämpfer" feiern lässt. Nun ist mir Thorsten aber schon zuvorgekommen und hat alles Notwendige dazu geschrieben. Ein Auszug:

Der Gipfel der Perversion wurde aber jetzt in Barby Jar erreicht, wo der Bundes-Selbstdarsteller an der Seite des Swoboda-Nazis Andrej Parubij den Opfern des Massakers an ukrainischen Juden vor 75 Jahren gedachte. / Was für eine üble Realsatire: Ein Nazi, ein Angehöriger jener Partei, die sich in der Tradition der Bandera-Bande sieht, die damals mit jenen Schlächtern, die für dieses Massaker verantwortlich war, kollaborierte bzw. tatkräftig dabei half (viele SS-Angehörige dort waren Ukrainer), und [welche] diese Leute als "Helden" verehrt, ist bei so einer Gedenk-Veranstaltung dabei! Welche Verhöhnung der Opfer! Und ein deutscher Bundespräsident stellt sich noch daneben und lässt sich mit dem fotografieren.

So ist das eben in diesem korrupten System: Wer im Kapitalinteresse handelt, gehört automatisch zu den "Guten" - ganz egal, ob es sich um Nazis (Swoboda), Terroristen ("gemäßigte Rebellen") oder auch eine feudalistische Gewaltherrschaft (Saudi Arabien) handelt. Der Pastor ist zur Stelle, schwingt wahlweise scheinheilige Betroffenheits- oder dämliche Freiheitsreden und wird wohlwollend und kritiklos von der Systempresse begleitet.

Zum 3. Oktober bleibt nun noch die mantraartig beschworene "Freiheit", die tatsächlich nichts weiter als ein weiterer Begriff des neoliberalen Neusprechs ist: Auch in der ehemaligen, rechtswidrig von der BRD annektierten DDR gab es keine so überbordende und stetig zunehmende staatliche Überwachung wie das heute der Fall ist, und die vielgerühmte "Reisefreiheit" gibt es selbstverständlich nur gegen Bezahlung: Wer sich das Reisen nicht leisten kann - und das sind immer größere Anteile der zwangsverarmten, ausgebeuteten Bevölkerung - muss weiterhin brav zuhause bleiben.

Die kapitalistische "Freiheit" endet freilich unverzüglich, falls ein Mensch obdachlos wird: Die "Freiheit", sein Lager unter der Brücke, im Wald oder sonstwo aufzuschlagen, existiert in diesem System selbstredend nicht. Wer das tut bzw. tun muss, wird sofort polizeilich oder "ordnungsamtlich" verfolgt und kriminalisiert, sobald er entdeckt bzw. denunziert wird. Es darf schließlich nicht sein, dass jemand einfach so existiert, ohne dafür zu bezahlen.

Wenn heute wieder überall die lächerlichen schwarz-rot-uringelben Fahnen geschwenkt werden, sollte man das zum Anlass nehmen, eindringlich darüber nachzudenken, welche wahrlich historische, in absehbarer Zeit nicht mehr wiederkehrende Chance in der ehemaligen DDR und im gesamten Osteuropa vertan wurde.

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Die Stille nach dem Schuss



(Spielfilm von Volker Schlöndorff aus dem Jahr 2000. - Mit aktiviertem VPN lässt sich das Video auch hier abspielen.)

8 Kommentare:

altautonomer hat gesagt…

Während in Babi Jar der Opfer gedacht wird, trifft man sich jedes Jahr in Mittenwald (Bay.) auf dem Brendten vor einem Ehrenmal, um den "gefallenen" Kameraden (Klarname "Täter")zu gedenken. Seit 1952 treffen sich alljährlich zu Pfingsten Veteranen der Wehrmachtseinheiten im Schulterschluss mit aktiven Bundeswehrsoldaten in Mittenwald, um eine der größten soldatischen Feiern Deutschlands zu begehen. Unterstützt von der Bundeswehr, gehuldigt durch Kranzniederlegungen des Verteidigungsministeriums und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung.

Die Taten, die hier gelobt werden, lesen sich folgendermaßen:
"In Kommeno (Nordgriechenland) fuhren Soldaten der 12. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 98 am 16. August 1943 zum Morden "feldmarschmäßig" mit Maultieren und dem Küchenwagen vor und erschossen 317 Frauen Männer und Kinder. Die unter dem Kommando des späteren Bundeswehroberstleutnants Reinhold Klebe stehenden Soldaten ermordeten nicht nur Zivilisten, sondern schändeten Frauenleichen und gaben das Dorf zum privaten Raubzug frei. Dieses bestialische Massaker blieb kein Einzelfall. Im September 1943 beteiligten sich Soldaten der 1. Gebirgsdivision an der Entwaffnung der italienischen Armee in Griechenland und erschossen ca. 4.000 gefangengenommene Soldaten auf der Insel Kephalonia. Die Mörder zogen weiter. In Joannina. unterstützte die 1. Gebirgsdivision die Geheime Feldpolizei bei der Ghettoisierung und Deportation der griechischen Jüdinnen und Juden. Jüdische Partisanen wurden hingerichtet. Griechische ZivilistInnen, die die Massaker überlebten, wurden als Geiseln festgehalten oder nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt."

Quelle: http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/hearing_angreifbare_tradpflege.htm

Nun schließt sich der Kreis: Über mehrere Jahre lang war Edmund Stoiber Ehrenmitglied dieses Kameradenkreises und hielt dort auch schon mal eine Rede. Stoiber war in der Vergangenheit MinPräs. von Bayern, CSU-Parteivorsitzender, wiederholt vorgeschlagen als Kanddat für das Bundespräsidialamt (nach Rau, nach Köhler) und auch aktuell wieder von der CSU als Bundespräser vorgeschlagen.

Diese politisch-personelle Kontinuität der Nazizeit reicht nahtlos bis in die heutige Zeit hineien. Ich erinnere nur an Günter Oettingers Grabrede zum Tod von Hans-Geord Filbinger "„Anders als in einigen Nachrufen zu lesen, gilt es festzuhalten: Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes."

Oder an die Behauptungen von Erika Steinbach, das die Nazis auch links-sozialistisch gewesen seien und die Polen den 2. Welt-Krieg begonnen hätten. Nicht vergessen ist die Martin Hohmann-Affaire. Hohmann war BuPrä-Kandidat der CDU. 2016 zog er über die AfD-Midgliedschaft in den Hessener Landtag.

Der Grundgesetzkommentar von Dürig, Herzog (ja der BuPrä) und Maunz ist heute immer noch neben dem "Staudinger" das Standardwerk für die Juristenausbildung. Der Mitverfasser und ehemalige Nazijurist Maunz (92*) hat bis Anfang der 90er Jahre die rechtsextreme Partei DVU juristisch unterstützt. Theodor Maunz, wie man ihn nun endlich sieht, wird immer daran erinnern, daß die Bundesrepublik sich allenfalls der NS-Täter mit blutigen Händen angenommen hat; daß sie jedoch den Ideologen kein Haar krümmte und sie weiter richten, lehren, kommentieren und Minister sein ließ.

In meiner Berufsausbildung (Studium 1978) wurde der Kommentar des Verwaltungsrechtlers Forsthoff (NSDAP-Eintritt 1937) als Standardwerk empfohlen. Forsthoffs Name wird in dem Buch "Furchtbare Juristen" erwähnt.

Eine derartige Liste läßt sich noch durch viele Personalien ergänzen. Würde aber den Rahmen dieses Themas sprengen.





Charlie hat gesagt…

Über die widerliche nationalsozialistische Kontinuität im westlichen Nachkriegsdeutschland lässt sich in der Tat sehr vieles sagen und belegen. Ergänzend will ich hier nur an die "Organisation Gehlen" erinnern:

"In einer Vorgängerorganisation des Bundesnachrichtendienstes (BND) hat es nach Angaben einer Forscherkommission in den fünfziger Jahren Nazi-Netzwerke gegeben. Es sei zu einem 'ungeplanten Wildwuchs' in der Einstellung von Personal gekommen, sagte der Historiker Gerhard Sälter. Er stellte in Berlin Zwischenergebnisse der Wissenschaftler vor, die die Anfangsgeschichte des BND aufarbeiten sollen.

Noch 1957 sei etwa ein führender und erheblich belasteter Nazi mit einem Empfehlungsschreiben eines Exkameraden eingestellt worden, der in der Hitler-Zeit dessen Vorgesetzter war. In dem 'Organisation Gehlen' genannten Geheimdienst habe es für die Beurteilung ausgereicht, wenn ein ehemaliger Kollege die Schuldfreiheit des Verhaltens im Dritten Reich garantierte. 'Die Leitung des BND machte somit die im Nationalsozialismus entstandene Kameradschaft zur Grundlage ihrer Personalpolitik', sagte Historiker Sälter."


Die Liste ist aber in der Tat endlos und reicht selbstverständlich bis ins Jahr 2016. Der Satiriker Hagen Rether bemerkte sinngemäß in seinem jüngsten Programm (kein wörtliches Zitat): "Der Verfassungsschutz hat Linke seit Jahrzehnten 'beobachtet' und Rechte finanziert - und da wundern wir uns noch über das Ergebnis?"

Die braune Gülle war nie weg.

jakebaby hat gesagt…

Hat da jemand Nazi gesagt? ... die Nazukeule ausgepackt? ... in Deutschland?? .. oder sonstwo in Europa oder So?

Der Nazifeind wurde seit '45 beseitigt. Hoch lebe der Kommi, Linke, Soze ...

Von der Dorfverwaltung ueber hoechste Politik, Industrie, Diplomatie, Kirche, Militaer/Geheimdienst, Justiz, ... glitt der deutsche Gesamtnazi, von der 'Handvoll Nuernberger absehend, locker und behuetet in die BRD.
http://jakester-express.blogspot.com/2010/11/schwarzbraun-ist-die-haselnuss-vor-33.html
http://jakester-express.blogspot.com/2008/03/das-eiserne-kreuz.html

Wohl kaum erwaehnenswert, dass dies und dessen fortschreitende Entwicklung kein dummverklemmtdeutsches Arschloch jemals wirklich tangierte. Im Gegenteil und bis heute zunehmend pronazi populaer. Und keiner weis von Nix, von all den zunehmenden Nazieigenschaften dieser laengst vergessen, fuerchterlichen Vergangenheit.
Stell doch bitte keine solche Vergleiche, das ist heute doch was ganz anderes mit diesen boesen fremden Eidringlingen, Kulturen, Traditionen, Schwulen, Rassen, Linken,Sozn, Religionen, notwendigen Kriegen, Sicherheit/Freiheit/Frieden, Humanitaet, Equalitaet, ... sonstig Ueblem ... etc. ..

"Die Liste ist aber in der Tat endlos und reicht selbstverständlich bis ins Jahr 2016." ....
Die Liste ist auesserst erfolgreich ...

Gruss
Jake

altautonomer hat gesagt…

jake und charlie:
Neben der Kontinuität des Hitlerfaschismus zieht ja auch seit den 70er Jahren der Operdiskurs durch die Köpf der deutschen Dumpfbrazen und unkritischen Medienkonsumenten. Damit will ich meine These stützen, dass rechtes Gedankengut in staatichem Interesse verbreitet wird und zu rassistischen Haltungen führt. Arbeitslosigkeit und das Fehlen jeglicher Zukunftsperspektive mögen dieses Phänomen begünstigen, ist aber nicht kausal dafür verantwortlich, denn sonst müßten viele Flüchtlinge ja in einen regelrechten Blutrausch verfallen.

Dazu hat Lars Distelhorst einen hervorragenden Text veröffentlicht:

http://jungle-world.com/artikel/2011/06/42620.html

(evtl. ausdrucken und aufm Klo lesen)

In den 70er Jahren entstand bereits der Mythos von den Trümmerfrauen, die sich aber fragen lassen müßten, wann denn für sie das Grauen begann, genauso wie die nach dem Kriegsende angeblich hunderttausendfach vergewaltigten "arischen" Frauen durch Soldaten der Roten Armee (Film von 1992 "Befreier und Befreite" von Helke Sander).

Ingrid Strobl schreibt dazu in ihrer Kritik an dem fehlenden Kontext in konkret 8/92: "Schwangere Frauen in Belorußland wurden von den deutschen Besatzern mit allen anderen in die Scheune getrieben und lebendigen Leibes verbrannt. Jüdischen Frauen wurden die Säuglinge von der SS aus dem Arm gerissen, und dann wurden die Kinder vor den Augen der Mütter so lange mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen, bis nur noch ein Brei aus Blut und Gehirnmasse übrig war. Die Rotarmisten taten im eroberten Deutschland nichts dergleichen. Sie ermordeten keine Säuglinge, sie verbrannten nicht Menschen lebendigen Leibes, sie legten nicht systematisch Dörfer und Städte in Schutt und Asche, sie vernichteten nicht gezielt die Ernte und das Vieh der deutschen Bauern, und so weiter und so fort."




jakebaby hat gesagt…

" Die Gründe für den Holocaust aufzuarbeiten und die daraus resultierende Verantwortung festzuschreiben, wird das Geschäft von professionellen Historikern sein und den Großteil der Bevölkerung noch weniger tangieren als heute. Was damit vor allem entfallen wird, ist die Frage nach der historischen Kontinuität." "Und das könnte fatale Folgen haben."
Noe wirklich ...

Was Kontinuitaeten angeht, gibts zB. sogenannt neuintellektuelle (radikal/extreme) Rechte (was sowieso ausgeschlossen ist), welche Kontinuitaet auf ein neu?altes Level bringen. (Solcherlei Flachwichser drahtziehen schon seit vielen Jahren mit eigenen Verlagen, Veranstaltungen und exzellent inter/nationaler Vernetzung und sind seither wie auch gerade eben/AfD die Stichwortgeber fuer all die schaebigsten Populisten, Aktivisten, Politiker? ... der Neu/altzeitnazis)

Eins von Vielen: http://jakester-express.blogspot.com/2016/03/der-intergermanischegrossrassist-und.html
http://jakester-express.blogspot.com/2012/10/ob-das-polen-sind-russen-oder-auslaender.html

Gefaehrliche Arschloecher, von PolitikJustizMedien .. nahezu unangetastet. Narrenfreiheit fuer eine Scheisse im Schaedel, welche schonmal ausschliesslich gezieltes Grauen produzierte.
Was ein ueberbeklopptes Volk.

Gruss
Jake

jakebaby hat gesagt…

Natuerlich sind deutsche Werte und Kultur schuetzenswert.
http://jakester-express.blogspot.com/2016/02/schutz-der-deutschen-kultur.html

Wo man solche Schoenheiten findet? Bei all den tapferen Helden zur Erhaltung des deutschen Vaterlandes. (also all den Millionen, die anstatt eines Gehirn eine Niere im Schaedelbecken lagern) ...

Bberlina hat gesagt…

"...sollte man das zum Anlass nehmen, eindringlich darüber nachzudenken, welche wahrlich historische, in absehbarer Zeit nicht mehr wiederkehrende Chance in der ehemaligen DDR und im gesamten Osteuropa vertan wurde"

Starker Satz. Verwende ich seit 1990, obwohl dessen Bedeutung immer deutlicher sichtbar wird. Der Kapitalismus verändert zum Überleben sein Antlitz bis zur Selbstaufgabe, um sich später die Rendite um ein vielfaches brutal zurückzuholen. Nichts ist geschenkt, auch keine Bananen am 3.10.1090. Außerdem hat der Mensch eben auch andere, egoistische Interessen: Liebe, Hobbies, Familie, Reisen, Ausbildung, Beruf usw...
Trotzdem kein Grund zur Resignation. Man kann ja gesellschaftspolitisch so leben, "wie in der DDR": solidarisch, ehrenamtlich, engagiert, mit diskutieren, mitgestalten.
Und wenn dann die Deppen kommen und sagen, "wie in der DDR"?: ihr hattet ja nichts, spitzelte euch gegenseitig aus und konntet nicht reisen, dann weiß ich es besser. Weil es auf Erfahrungen beruht und nicht auf Artikel der BILD.

Charlie hat gesagt…

@ Bberlina: Eigentlich "darf" man heutzutage so einen Satz gar nicht mehr formulieren, wenn man noch ernstgenommen werden möchte. Man stelle sich nur einmal vor, irgendwer sonderte ihn im Bundestag oder in den Massenmedien ab - der empörte, diffamierende, vernichtende Shitstorm wäre unweigerlich vorprogrammiert.

Dieses kleine Detail illustriert schon wunderbar, in was für einer verkommenen, "alternativlosen" Periode der Geschichte wir leben. Wenn personenbezogene Diktaturen wie Nordkorea ganz selbstverständlich als "kommunistisch" und kapitalistische Dikaturen wie die USA ebenso selbstverständlich als "freiheitliche Demokratien" bezeichnet werden, ohne dass die Mehrheit der Menschen - hüben wie drüben - entsetzt aufsteht und sich irre schreiend die Haare rauft, weiß man schon, in welchem Albtraum man sich befindet.

Um Deinen Optimismus allerdings beneide ich Dich - ich wünschte, ich könnte ihn teilen.

Liebe Grüße!