Dienstag, 9. Januar 2018

Weshalb es "uns" so gut wie nie zuvor geht


Die Verlautbarungen kennen wir inzischen schon auswendig: Aus den kapitalistischen Propagandamedien schallt der geneigten Leserschaft in regelmäßigen, gefühlt immer kürzer werdenden Abständen die Jubelmeldung entgegen, dass es "uns" oder wahlweise "den Deutschen" von Monat zu Monat immer besser gehe, da der obszöne Reichtum stetig wächst. Da reibt sich so mancher Leser angesichts der gähnenden Leere in der eigenen Geldbörse verwundert die Augen und wähnt sich in einem dystopischen Paralleluniversum.

Ende Dezember haben die elitären Herrschaften aber endlich verraten, was hinter diesen bizarren Anpreisungen aus dem religiösen Takatukaland steckt – von allein wäre im bildungsfernen Kapitalistan wohl niemand darauf gekommen. Bei n-tv hieß es beispielsweise am 2. Weihnachtstag:

1,25 Billionen Euro Umsatz: Deutsche Konzerne erleben Rekordjahr / Die 100 größten an der Börse notierten deutschen Unternehmen haben laut einer Studie gemeinsam einen Rekordumsatz erzielt.

Ah ja. Die Reichen werden also immer reicher, während beim überwältigenden Rest der Bevölkerung so gut wie nichts davon ankommt, sondern der "Wohlstand" dort sogar rapide schrumpft: Wer hätte denn so etwas auch ahnen können angesichts dieses irrsinnigen Wirtschafts- bzw. Katastrophensystemes, das dennoch weiterhin wie von Sinnen als der Weisheit letzter Schluss angepriesen wird. – Nun ist der Umsatz eines Konzerns ja bekanntlich nicht mit dem Gewinn gleichzusetzen – aber auch hier klärte die Kuhpresse, diesmal auf Zeit Online, ganz behutsam und weihnachtlich verklärt auf:

2017 war ein erfolgreiches Jahr für die globale Finanzelite. Deren Vermögen vermehrte sich viermal so stark wie im vergangenen Jahr. / Das Vermögen der 500 wohlhabendsten Menschen der Welt ist in diesem Jahr um knapp eine Billion US-Dollar gewachsen. Insgesamt besitzen sie derzeit 5,3 Billionen US-Dollar (etwa 4,5 Billionen Euro).

Dann ist ja alles gut. Die Arschlöcher wussten zwar schon vergangenes Jahr nicht, was sie mit ihren vielen gehorteten Millionen und Milliarden anstellen sollen, aber es ist für die Schafherde doch ein sehr beruhigendes Omen, dass sich die Geldspeicher der "Elite" rapide weiter füllen. – Ich frage mich seit langem, was einen Menschen dazu treibt, mehr Geld anzuhäufen, als er – auch langfristig und möglicherweise familiär gesehen – benötigt. Angesichts solcher – völlig wahnwitziger – Summen versagt mein intellektuelles Verständnis aber komplett: Was zur Hölle macht es für einen Unterschied, ob irgendein Hanswurst nun 100 Millionen, 150 Millionen oder 500 Millionen Euro "besitzt"? Welche destruktiven, suizidalen Triebe sind verantwortlich für diese völlig unsinnige, zerstörerische Habgier? Ich habe keine Erklärung dafür.

Jedenfalls wissen "wir" nun, weshalb regelmäßig angsterfüllte Schweißausbrüche zu bewältigen sind, wenn beispielsweise die Waschmaschine den Geist aufgibt, der TÜV neue Bremsbeläge am Auto verlangt oder – was für viele Millionen von Menschen in Kapitalistan längst Alltag ist – schlicht neue Schuhe, eine neue Brille, Zahnersatz oder ein Medikament vonnöten sind: Weil es "uns" eben so gut geht wie niemals zuvor.

Wie absurd muss dieses bizarre Szenario eigentlich noch werden, bis irgendjemand endlich, endlich, endlich die STOP-Taste drückt und die verkommene Bande aus dem Land jagt?

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Der Herr der Welt


"Der rüstet nicht ab!"

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 26 vom 22.09.1924)

4 Kommentare:

Eike Brünig hat gesagt…

Wie absurd das noch werden wird? Komplett ad absurdum, da die Masse das so klasse findet und sich auch nichts Anderes vermag vorzutellen.


schadensmeldung hat gesagt…

Ja Charlie, wofür benötigt das Einprozent soviel Reichtum; wahrscheinlich eine Art Religion, Allmachtsfantasien, Selbstbefriedigung, Teufelsanbetung oder Schlimmeres.
Ich kann Dir freudig mitteilen, dass ich nach zwölf Jahren Grundsicherung den Reißverschluß meiner Outdoorjacke ersetzen konnte (35 Euro) – ein Weihnachtsgeschenk eines netten Menschen.
Klar, den Betrag hätte ich ansparen müssen, verstehe die Gebrauchsanweisung meines Warenkorbs allerdings nicht, der mich doch nährt, damit es mir gut geht. Ist schon ein beschissen-gutes Gefühl, mit 35 Euro Wirtschaftsleistung zu einem Ganzen beitragen zu dürfen, in der Hoffnung, dass der Reißverschluß noch lange hält, bevor ich mich, mit beiden Beinen voran, aus dem Warenkorb verabschieden darf – welch eine Freude.
Sie nennen mich Schmarotzer –
Volker

promenadenmischung hat gesagt…

Seit heute ist bekannt, dass der Obergeier des Amazon-Konzerns mit 105 mal 10^9 $ Privatvermögen weltreichstes Exemplar unserer Spezies geworden ist. Ob seine Mitarbeiter in den Amazon-Arbeits- bzw. Versandlagern deshalb Grund zur Freude haben, bleibt mir schleierhaft.

Als lebten wir wieder in der Antike, wo des Crassus unzählige Sklaven gewiss keinen Grund zur Freude am Reichtum ihres Besitzers (zu dem sie als Besitzobjekte per se gehörten) gehabt haben dürften …

Charlie hat gesagt…

@ Schadensmeldung: Mir fällt dazu ganz ernsthaft keine rationale oder auch nur ansatzweise nachvollziehbare Erklärung ein. Ich halte Menschen, die derartig irrsinnige Geldsummen anhäufen und stets weiter vermehren wollen, daher schlichtweg für verrückt.

Dummerweise beruht aber das Weltwirtschaftssystem, in dem nahezu der ganze Globus feststeckt wie in einer Rattenfalle, auf diesem intelligenzfeindlichen Prinzip, weshalb es natürlich einmal mehr bis zum Äußersten gefahren wird.

Eine wärmende Winterjacke habe ich indes vom Altautonomen geschenkt bekommen - ansonsten liefe auch ich weiterhin in dem alten, kaputten Jäckchen herum, denn ein neues hätte ich mir nicht ohne weiteres leisten können.

Solidarische Grüße!