Montag, 31. Januar 2011

Schulbildung in neoliberalen Zeiten - "Was für ein Verbrechen an unserer Jugend"

(...) Immer mehr Schulklassen werden zu Opfern von Schulversuchen mit "modernen" Lehrmitteln, die angeblich zu angenehmerem und leichterem Lernen Hand bieten sollen (...). In Wirklichkeit werden unsere Kinder als Experimentiermasse für neoliberale Programme aus Übersee missbraucht, die für den deutschen Sprachraum durch Bertelsmann & Co präpariert und von Konzernen gesponsert werden – vermutlich nicht nur aus Nächstenliebe. Wer schon gefördert in die Schule kommt, lernt trotzdem etwas und ist für die kleine Elite auserkoren, die später an unseren Bologna-Hochschulen für die Bedürfnisse der globalen Großkonzerne weiter zurechtgeschliffen werden soll. Die große Mehrzahl der Schüler jedoch bleibt auf der Strecke. Was für ein Verbrechen an unserer Jugend!

In der Tagespresse liest man immer häufiger von üblen Experimenten wie dem folgenden: "Versammeln sich die 17 Schülerinnen und Schüler bei Klassenlehrer C.N., um Französisch zu sprechen oder Kopfrechnen zu üben, holt niemand ein Buch hervor. Statt dessen stöpseln sich die Elfjährigen einen Kopfhörer ins Ohr und legen ihr Apple iPhone 3G aufs Pult, jenes Gerät, das ihnen die Schule für einen zweijährigen Versuch zur Verfügung stellt. Das Projekt wird von der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz durchgeführt und soll herausfinden, ob Jugendliche das iPhone in Unterricht und Freizeit gewinnbringend einsetzen. Auf dem Smartphone befinden sich Audiodateien der Lehrmittel, ein Vokabeltrainer, der Duden und ein Kopfrechnungsprogramm, daneben benutzen es die Kids zum Lesen, Schreiben, Zeichnen, Kommunizieren und Surfen. Zudem umfasst das Projekt ein neuartiges Sponsoring: Die Swisscom stellt die iPhones gratis zur Verfügung und übernimmt alle Verbindungskosten." So weit der Bericht aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 8. November 2010. Die Kinder – eine sechste Klasse, die im nächsten Sommer den Übertritt in die Sekundarstufe bewältigen sollte! – werden also sich selbst und ihrem elektronischen Gerät überlassen. Jeder Lehrer, dem es mit seinem Berufsauftrag ernst ist und der es ehrlich meint, weiß sehr genau, dass eine größere Anzahl seiner Schüler auf diese Weise nicht viel lernen wird.

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Anmerkung: Dieses Beispiel aus der Schweiz ist natürlich nur eines von vielen - der Bertelsmann-Konzern und andere neoliberale Gruppierungen nehmen in großem Stil Einfluss auf das staatliche Bildungssystem (der so genannte Bologna-Prozess, den man eher als Zerstörungswerk bezeichnen muss, ist hinlänglich bekannt) inklusive der Lerninhalte und -formen.

Was für eine Generation soll da bloß herangezüchtet werden? Was soll aus Kindern werden, die schon in der Schule nachhaltig eingetrichtert bekommen, dass Egoismus und Konkurrenz die wichtigen Werte seien, während Solidarität, Empathie, Kritikfähigkeit oder Mitgefühl keinen "Zugewinn" bringen? Es ist nur allzu konsequent, wenn eine Ideologie, in der betriebswirtschaftlich-kapitalistisches Denken im Mittelpunkt steht, auch die Menschen nach ihrem Weltbild "umzuformen" versucht. Schließlich steht in dieser Ideologie nicht der Mensch und sein Wohl, sondern eine "Elite" und das Geld im Zentrum.

Die Zerstörung der Hochschullandschaft ist bereits in vollem Gange - doch auch das System der Grund- und weiterführenden Schulen wird alsbald nicht mehr wiederzuerkennen sein, wenn da nicht endlich die Reißleine gezogen wird.

Ich habe während meiner Schulzeit einst gelernt, dass es richtig und wichtig ist, für eigene Überzeugungen und das eigene Gerechtigkeitsempfinden aufzustehen, auch wenn Gegenwind herrscht, und dass Solidarität mit Schwächeren die Grundvoraussetzung für ein menschliches Miteinander darstellt. Nichts davon scheint heute mehr eine bedeutende Rolle an unseren Schulen zu spielen - ich habe vielmehr den Eindruck, dass die damalige Außenseiter- und Minderheitsgruppe der aktenkoffertragenden Egozentriker, die schon im Alter von 14 Jahren "wussten" (sprich: eingebläut bekommen hatten), dass sie BWL studieren würden, heute den Ton angibt und ihr perfides Modell des rücksichtslosen Ellbogenwettbewerbes auf alle Menschen übertragen will.

Man kann sich nur noch gruseln bei solchen Gedanken. Wenn ich mir vorstelle, in welcher eiskalten Zukunft meine Kinder werden leben müssen, wenn diese irrsinnige Ideologie nicht endlich gestoppt wird, überkommt mich das blanke Entsetzen.

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