Donnerstag, 9. Juni 2011

Krank und arm in Deutschland - das Ticket in den Behandlungsabbruch

Deprimiert schaut mich die Patientin an. Ich habe ihr gerade eine weitere Serie Krankengymnastik verordnet. Im Winter hatte sie sich das Sprunggelenk gebrochen. Sie wurde operiert, acht Tage Krankenhaus. Die Fraktur heilte, die Operation verursachte keine Komplikationen. Sie brauchte Schmerzmittel, ein Magenschutzpräparat dazu. Sie brauchte auch Krankengymnastik, denn das Sprunggelenk war durch Fraktur und Operation zunächst steif, das Gehen war mühsam. Dummerweise wohnte sie auch noch im vierten Stock. Die bisherige Krankengymnastik hatte noch keine ausreichenden Fortschritte bewirkt. Kein Grund, deprimiert zu sein, sage ich zu ihr. Trotzdem gibt sie mir das Rezept zurück. Sie habe inzwischen schon über 400 Euro bezahlt: Zehn Euro für jeden Tag im Krankenhaus, zehn Euro Praxisgebühr für jedes Quartal der Behandlung (inzwischen schon drei), über 60 Euro für die Medikamente, 30 Euro für Physiotherapie – und mit der Straßenbahn habe sie lange nicht fahren können: fast 200 Euro Fahrtkosten. Sie könne sich die Behandlung nicht mehr leisten. Krank und arm in Deutschland.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Muss man dazu noch viel sagen? Wer arm ist in diesem Land und krank wird, kann sich die notwendigen Behandlungen inklusive der Medikation über kurz oder lang nicht mehr leisten - dem neoliberalen Irrsinn sei's gedankt.

Genau dieser Weg wird weiter stramm beschritten - es ist nirgends eine Rückkehr zum Solidarprinzip zu verorten, ganz im Gegenteil. Der Marsch geht schroff und stur in die Richtung der "Privatisierung" der Kosten. Schon jetzt können sich Arme notwendige Behandlungen nicht mehr leisten - und das wird weiter zunehmen, wenn die neoliberale Bande der schwarz-gelb-rot-grünen Einheitspartei weiter am Ruder bleibt. Alle Weichen sind gestellt. Und derweil titelt n-tv beispielhaft: "Mehr Millionäre als in Saudi Arabien - Deutschlands Superreiche".

Eine kleine Frage an die verbliebenen Reste der ehemals mächtigen "bürgerlichen Mittelschicht", die gegenwärtig von genau dieser Bande zugunsten der Superreichen aufgelöst wird: Können Sie es tatsächlich mit ihrem Gewissen vereinbaren, dass Sie, wenn Sie krank werden, ärztlich besser und umfassender behandelt werden als die alleinerziehende Mutter samt ihrer Kinder von nebenan? Ist das Ihre Vorstellung von einer gerechten Gesellschaft, in der Sie leben wollen? Ist eine "Rationierung" der medizinischen Leistungen, die sich am Geldbeutel der Menschen orientiert, wie sie u.a. von Herrn Rösler (FDP) angekündigt wurde, wirklich das, was Sie als gesellschaftliche Realität bevorzugen?

Wer kein Geld hat, soll auch nicht behandelt werden - oder eben nur minderwertig?

Der Faschismus steht herausgeputzt lärmend vor der Tür und klingelt stürmisch. Es ist allein an uns, ihm die Tür zu öffnen - oder das zu unterbinden.

Keine Kommentare: