Samstag, 6. Oktober 2012

Griechenland: Sparen, bis der Faschismus kommt


In Griechenland droht eine humanitäre Katastrophe. Immer mehr Menschen verarmen, das Gesundheitssystem bricht zusammen.

Während über einen neuen Schuldenschnitt für Griechenland spekuliert wird, trifft die Verelendung immer breitere Schichten der Bevölkerung. Ursache ist nicht nur die rasant steigende Arbeitslosigkeit, sondern auch der Kollaps des Gesundheitssystems, der eine humanitäre Krise auslöst. Viele Griechinnen und Griechen können sich ärztliche Untersuchungen und Medikamente nicht mehr leisten. (...)

Dieses Problem wird sich verschlimmern, weil die Zahl der Verarmten schnell wächst. Mit einem Brief an das Webportal Newsit hat ein 45jähriger aus Thessaloniki an seine Mitbürger appelliert: "Ich bin seit drei Jahren arbeitslos. Meine Familie lebt seit einem Jahr ohne Strom, weil wir die Stromrechnungen nicht bezahlen konnten. Wir haben seit sechs Tagen nichts gegessen. Ich will kein Geld, weil ich es nicht zurückgeben kann, sondern eine Arbeit. Egal, was für eine." (...)

Die Zahl der Selbstmorde nimmt rasant zu. In den vergangenen drei Jahren stiegen die Selbstmordversuche um 22,5 Prozent. (...)

Die dramatische Wirtschaftskrise und die steigende Kriminalität machen viele Bürger anfällig für die faschistische Propaganda. Die Neonazi-Partei Chrysi Avgi hat Umfragen zufolge immer mehr Zulauf. Alexandra D., eine 35jährige Beamtin, erzählt schockiert, dass viele ihrer Kollegen und Kolleginnen mit der Chrysi Avgi sympathisieren und die neonazistische Ideologie kaum noch Anstoß erregt: "Ein Kollege von mir hört alte Nazi-Lieder am Arbeitsplatz, ohne dass jemand darauf reagiert." Der griechische Schriftsteller und Blogger Giannis Makridakis warnt: "In diesem Winter wird Griechenland einem Land des subsaharischen Afrika ähneln, mit einer Gesellschaft, die zum Faschismus tendiert und auf eine faschistische Regierung wartet, die diese Gesellschaft repräsentieren wird."

(Weiterlesen - dringend empfohlen)

Anmerkung: Es kommt, wie es kommen musste - alle in diesem erschütternden Bericht genannten Katastrophen waren vorhergesagt und absehbar. Man kann daraus eigentlich nur den Schluss ziehen, dass die furchtbare Entwicklung in Griechenland genauso verläuft, wie sie offenbar geplant war - und die treibende Kraft dahinter ist die neoliberale Bande aus Deutschland mit Merkel an der Spitze.

In Spanien, Portugal und Italien wird es in Kürze nicht besser aussehen. Ich weiß nicht, wie es anderen geht - aber mir drängt sich hier fast der Verdacht auf, dass diese bewussten und offensichtlich gewollten Zerstörungen in ganz Europa dafür sorgen sollen, dass ein extrem instabiles Konstrukt entsteht, welches durch kleinste Anlässe in einen erneuten Krieg oder kriegsähnliche Zustände versetzt werden kann. Dazu passen auch wunderbar die trotz der Krise nicht nur in Griechenland explodierenden Staatsausgaben für das Militär. Oder fällt jemandem eine andere Erklärung für das beharrliche, an Idiotie grenzende Festklammern am "Sparkurs" (der in Wahrheit ein direkter Zerstörungskurs ist) bei gleichzeitig steigenden Rüstungsbudgets ein?

Derweil finden in Ungarn unter dem Beifall ganzer Bevölkerungsgruppen Pogrome gegen Sinti und Roma statt; der direkte Nachbar Griechenlands - die Türkei - droht Syrien ganz offen mit Krieg; und auch in Deutschland steigt die Zahl der Haushalte ohne Strom immer weiter und wird sicher bald die Millionengrenze überschreiten. Und der deutsche Kriegsminister fordert zeitgleich (extrem teure) bewaffnete Kampfdrohnen für die Bundeswehr und nennt diese "ethisch neutral" und "unverzichtbar". Kein Science-Fiction-Autor hätte sich im vergangenen Jahrhundert getraut, den totalen Irrsinn des realen Europas im Jahre 2012 so zu zeichnen - er wäre schallend ausgelacht worden.

Es war nach 1945 nie so wichtig in Europa wie heute, die Fahne der Solidarität hochzuhalten und der Bande der neoliberalen Zerstörer und Kriegstreiber ein überdeutliches "Nein!!!" entgegen zu schleudern - in einer Form, die sie nicht überhören oder missverstehen können.

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Berlin am Sonntag


"Ist der Mann unters Auto gekommen?" - "Nein, unter Nationalsozialisten!"

(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 16 vom 18.07.1927)

3 Kommentare:

darkmoon (ärgerlich) hat gesagt…

Ha ha, soll ich jetzt Verständnis für das Nazipack heucheln oder wie sind diese Erklrärungen zu verstehn? Sorry aber ich werde auch nicht zum Nazi wenn Merkel und Ko. meine Lebensgrundlage zerstören (und das tut sie ja!)! Ich habe dafür NULL Verständnis.

Wenn Leute so unfaßbar dämlich sind und sich (schwächere) Ersatzfeindbilder suchen die nix mit dem eignen Elend zu tun haben, anstatt diejenigen zum Teufel zu schicken die verantwortlich sind, ist mein Maß an Wiederholungen die ich ertrage voll.

MENSCHEN, ihr seid so dermaßen verblödet und bescheuert, daß ich nicht weiß ob es sich überhaupt lohnt, diese Spezies zu retten.

darkmoon hat gesagt…

Sorry ich hab mir grad vorher diesen Song da oben angehört, über die Kinder von Izieu, ich bin grad ETWAS empfindlich.

Charlie hat gesagt…

Kein Problem, darkmoon - ärgerlich zu sein ist nicht nur "erlaubt", sondern geradezu erwünscht.

Ich denke indes nicht, dass die Jungle World mit diesem Artikel für Verständnis für Nazis wirbt. Vielmehr soll wohl einmal mehr deutlich gemacht werden, dass Verarmung und soziale Verelendung fast zwangsläufig auch einen rasanten Anstieg faschistischer "Ideen" zur Folge haben. Es gibt massenhaft Belege dafür in der Menschheitsgeschichte, Griechenland bildet da schlicht keine Ausnahme.

Außerdem kann man daran gut erkennen, dass die Dummheit unter den Menschen heute mindestens noch genauso verbreitet ist wie vor 100, wie vor 200, wie vor 300 Jahren. Von einer "Weiterentwicklung" oder gar einem "Bewusstseinssprung" ist da nicht das geringste zu spüren. Ich erkenne da vielmehr eine stetige Rückentwicklung - eine De-Evolution.

Was glaubst Du wohl, was in Deutschland passieren wird, wenn es den Menschen hier genauso dreckig geht wie momentan den Menschen in Griechenland? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass die Massen sich hierzulande dann vor den Villen der Superreichen, vor den glitzernden Bankpalästen oder vor den Konzernzentralen versammeln werden? Die neoliberale Propagandamaschinerie hat doch nicht umsonst in jahrzehntelanger Kleinarbeit die Feindbilder aufgebaut, die vom Pöbel gefälligst anzugreifen sind: Muslime, Asylbewerber, "Sozialschmarotzer", Behinderte, Kranke, Alte etc. In Griechenland sehen wir momentan exemplarisch, dass der üble Plan wieder einmal aufgeht und dass nicht mehr die Verursacher des Elends die Angriffsziele sind. Es ist dasselbe perfide Spiel, das sich nun zum x-ten Male wiederholt.

Deine Wut und Empörung sollen sich freilich auch gegen die Faschisten richten, keine Frage - aber die wirklichen Urheber und Nutznießer des ganzen Schlamassels sitzen größtenteils nicht in rechtsradikalen Parteien und Gruppierungen. Vergiss das nicht.