Montag, 1. Oktober 2012

Zitat des Tages: Rachegelüst


Wenn die Menschen dumpf sich nicht getraun,
Wenn sie feig und heuchlerisch sich fügen
Und ihr Glück auf ihre Schlauheit baun,
Redliches bedrücken und betrügen.

Wenn sie schleichen, flüstern und sich ducken,
Andrerseits aus Würde sich geniern, --
O dann müsste etwas explodiern.
Und ein Riese müsste sich erheben

Über sie und sie nicht etwa töten,
Sondern saftig, kräftig sie bespucken,
Um sie für ihr weitres Leben
Als verschleimte, fette Warzenkröten
In ein Glashaus einzusperrn.
Und ich würde durch die Scheiben gucken
Und sie grüßen: "Hochverehrte Herrn!"

(Joachim Ringelnatz alias Hans Gustav Bötticher [1883-1934], in "Simplicissimus", Heft 49 vom 07.03.1927)

15 Kommentare:

darkmoon hat gesagt…

Die "hochverehrten Herren" /und heute auch Damen) haben sich offensichtlich in den letzten 80 Jahren nicht verändert. Gesindel bleibt Gesindel.

Charlie hat gesagt…

Darkmoon, ich glaube, Ringelnatz meinte weniger die "Elite", als er dieses hübsche Gedicht geschrieben hat, sondern vielmehr die abgestumpften "Normalbürger", die damalige "Mittelschicht" bzw. das "Bürgertum".

Ansonsten hast Du natürlich recht - das verrohende Bürgertum, das fleißig kuscht, mitmacht und sich willfährig entsolidarisiert, erleben wir heute wieder. Sollen die Armen, Kranken, Schwachen, Behinderten, Alten, Asylanten (...) doch sehen, wo sie bleiben - Hauptsache, der eigene kleine Wohlstand wird nicht allzu sehr angetastet. Dann ist er glücklich, der "Wohlstandsbürger", und hat auch nichts gegen Pogrome oder KZs.

Anabelle hat gesagt…

Wieder mal ein grandioses Gedicht, vielen Dank! So etwas hätte ich Ringelnatz gar nicht zugetraut. Wie kommt es überhaupt, dass die politischen/kritischen Texte so vieler Autoren größtenteils vergessen sind?

Auch bezüglich Ringelnatz behauptet zB Wikipedia, er sei ein "unpolitischer Autor" gewesen. Angesichts dieses Gedichts eine lächerliche Behauptung.

jakebaby hat gesagt…

".... Sondern saftig, kräftig sie bespucken, ..."

Darauf kippe ich doch gerne ein paar Kurze mit meinem Namensbruder.

Das Bespucken habe ich allerdings entschaerfend alterniert.
Mitte 80ger hatte ich halbwegs jungfreulich meine Metallkneipe eroeffnet, und musste/durfte unter einig anderem feststellen, dass das Anpissen von 'Posern/Unsympathischen' ein durchaus gebrauechliches Argument verk..fluessigte.

Im Gegensatz zum Bespucken ist Anpissen nicht ganz so unverzueglich offensiv/aggressiv, da zumeist aus seitlichen Winkeln und Huefthoehe operiert wird und natuerlichst der Empfang von Feuchtigkeit und Waerme verzoegert und somit etabliert wahrgenommen wird.
Die Reaktion darauf ist auch zumeist erst unglauebige Ueberraschung, like "What the Fuck", wobei man hie und da durchaus auf etwas harschere Rektionen gefasst sein sollte. ... :-) aber bei weitem nicht so unumgaenglich wie beim Bespucken!!

Anpissen ist wesentlich cooler und durch die damalige Anregung hab ich das dann bei einer mir unangenehmen Person getaetigt. Im Gegensatz zu den Gewohnheits-Profianpissern war ich durchaus nervoes als auch stoned und kicherte schon beim 'Auspacken und erst recht ueber das fassungslose Gesicht des Angepissten .....

Bespucken ist Verachtung, Schuhe/Eier/etc. schmeissen auch, etc. ... Anpissen ist mein Favorit!! ..

... aber wann kriegt man schon mal jemanden vor die Roehre, der dieser Art harmlosester, zutiefster und ehrlichster Verachtung gebuehrt?

Gruss
Jake


Charlie hat gesagt…

@ Jake:

Eine so detailreiche Beschreibung des "Anpissens" wäre gar nicht nötig gewesen, Jake ... ich glaube, wir haben alle genug Fantasie, um uns das selbst ausmalen zu können. ;-)

Im Übrigen tut die "Elite" das ja dauerhaft mit geschätzten 99 Prozent der Weltbevölkerung - so ungewöhnlich ist das also gar nicht.

@ Anabelle:

Es ist doch keine sonderlich neue Erkenntnis, dass üblicherweise nur solche Texte in den Lehrplänen, Lesebüchern und Anthologien landen, die möglichst unpolitisch sind (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Preisfrage: Welche Bücher, Texte oder Gedichte fallen Dir ein, wenn Du an Hermann Hesse, Erich Kästner oder Max Frisch denkst? - Wahrscheinliche Antwort: Es werden nicht die politisch wichtigen sein. Ringelnatz stellt da keine Ausnahme dar - der ist heute vornehmlich noch wegen seiner lustigen Nonsens-Reime bekannt, die er auch geschrieben hat. Aber sein Werk erschöpft sich darin natürlich nicht.

jakebaby hat gesagt…

"Im Übrigen tut die "Elite" das ja dauerhaft mit geschätzten 99 Prozent der Weltbevölkerung - ..."

Siehst du, die muessen nicht von Fantasien zehren ... die leben sie. :-( ... und werden dafuer noch gewaehlt, wiedergewaehlt und bezahlt ...
Ach wie Schoen!!

Gruss
Jake

darkmoon hat gesagt…

jakebaby: Ja so sind sie, unsere lieben "Leistungsträger". Ich hab dazu gerade in einem andren Blog etwas gelesen das ich dir und allen anderen gern mitteile:

"Weshalb lassen sich denn die dummen Teufel das gefallen! Ja weshalb? Weil sie grösstenteils dermaßen vernagelt sind, dass sie den Raub gar nicht bemerken. Weil ihre Gehirne bis zur Unzurechnungsfähigkeit durch Pfaffen, Schulmeister, Zeitungsschmierer und andere Schädelverpester systematisch gelähmt wurden, so dass sie nicht mehr die Fähigkeit besitzen, allen jenen Schlichen zu folgen, vermöge welchen ihnen die reichen Spitzbuben die Früchte ihrer Arbeit verschleppen."
"Die Menschheit ist trotz allem Bildungsgefackel über ihre Vergangenheit im Grossen und Ganzen so unaufgeklärt, dass die Meisten gar keine Ahnung davon haben, wie das Kapital, welches heutzutage die Welt beherrscht, ursprünglich entstanden ist. Ebenso wenig kennt die grosse Masse des Volkes die ökonomischen Gesetze, resp. die Spitzbuben-Maximen, auf Grund welcher gegenwärtig neue Kapitalien auf alte Reichtümer getürmt werden. Und doch ist lediglich ein Fünkchen gesunder Menschenverstand nötig, um diese Dinge zu ergründen, ein Beweis, dass es an diesem Minimum von Vernunft weit und breit mangelt, was auf epidemischen Idiotismus schliessen lässt."
"Die heutige sogenannte »Ordnung« ist begründet auf Ausbeutung der Besitzlosen durch die Besitzenden."

Starke Worte, gelle. Und wenn man dann noch bedenkt daß das im Jahre 1876 geschrieben wurde, und zwar von einem Sozialdemokraten (der die SPD dann aber verlassen hat), nämlich Johann Most, wird wohl auch dem Letzten langsam bewußt daß sich heute etwas wiederholt, das schon sehr sehr alt ist.

Hier zum Nachlesen: http://hinter-der-fichte.blogspot.de/2012/09/warum-begreifen-die-menschen-deine.html

jakebaby hat gesagt…

Some Things never change!

Thanks Darkmoon,
", ... wird wohl auch dem Letzten langsam bewußt daß sich heute etwas wiederholt, das schon sehr sehr alt ist."

Kontinuitaet! ... egal welche Zeit, das gleiche Spiel, die selben Charaktaere nur andere Gesichter ...

Gruss
Jake

Anabelle hat gesagt…

Lieber darkmoon, danke für diesen Link! Dem kann man nichts hinzufügen. Die Antwort müsste (endlich, nach all der Zeit) eine Revolution sein - oder Selbstmord.

Beides findet nicht statt, so dass der epidemischen Idiotie meine Unterschrift gewiss ist.

Charlie hat gesagt…

@ darkmoon:

In der Tat, das sind interessante Fundstücke, mit denen ich mich mal etwas näher befassen muss! Vielen Dank! Besonders der "epidemische Idiotismus" hat's mir ja angetan. Guter Mann, dieser Most, der laut Wikipedia allerdings nur kurzzeitig in der SPD war (die im 19. Jahrhundert zudem noch eine andere Partei war als heute) und heute eher als Anarchist gilt.

dani hat gesagt…

@ jake

ich habe mir bei deiner virtuellen performance echt auf die schenkel geklopft!!!!! *GG*

an alle:
solange wir hier alle nur rumsitzen und uns unseren frust von der seele schreiben wird freilich nix passieren!!!
also: was ist zu tun?

solidarische grüße
dani

Charlie hat gesagt…

@ dani:

Du bist lustig. ;-) Es ist doch klar, was passieren muss: Wir müssen die Revolution ausrufen, die Massen auf die Straße bringen, das elitäre Gesindel aus dem Land jagen und mit einem neuen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Geldsystem neu beginnen, nachdem wir die vorhandenen Reichtümer fair und gerecht neu verteilt haben. Und einen Bewusstseinssprung hin zu einem sozialen, empathischen, solidarischen Menschen initiieren wir dann auch gleich.

Nein, im Ernst - die Frage ist doch nicht, was zu tun ist, sondern wie wir das erreichen können, was zu tun ist. Und da muss ich passen: Angesichts der neoliberalen Übermacht, der allgegenwärtigen Propaganda und der umfassend verbreiteten Unkenntnis in der Bevölkerung sehe ich keine realistische Chance für eine tatsächliche, systemische Veränderung.

Um uns herum regieren Dummheit, Habgier und Egoismus die Welt. Da hilft wohl nur noch Galgenhumor.

Liebe Grüße!
Charlie

dani hat gesagt…

@ charlie

du willst dich also wissentlich - genauso wie beim pianisten - auf die schlachtbank führen lassen?!?!?!
da wähle ich doch lieber die revolution!!!!!!!
und stehe auf und sage meine meinung - egal wer da kommt!
duckmäuser hatten und haben wir genug. das ist die eine seite - aufrechte menschengab und gibt es immer wieder - und mit denen muß man sich verbinden!

grüßle
dani


dani hat gesagt…

@ charlie

nachtrag:

zum gewaltfreien widerstand fällt mir da gerade von gandhi "handeln aus dem geist" ein. und als filmtip übers ego und gewalt und krieg (denn der entsteht zuerst im kopf)
"revolver" - vom genialen guy richtie

beides absolut empfehlenswert!!!!


Charlie hat gesagt…

@ dani:

Ich habe nicht vor, mich zur Schlachtbank führen zu lassen. ;-) "Der Pianist" ist übrigens ein wichtiger und guter Filmtipp - es ist einer meiner Lieblingsfilme, falls man bei einem solchen Thema so ein Wort wie "Lieblings-" überhaupt benutzen kann. - Den anderen Film, den Du erwähnst, kenne ich leider nicht.

Sicherlich gibt es auch heute noch immer aufrechte, gute Menschen - aber es sind doch leider viel zu wenige und sie befinden sich in aller Regel auch nicht in Machtpositionen.

Ich fürchte, dass Erich Kästner den Nagel auf den Kopf getroffen hat, als er in seinem Gedicht "Ansprache an Millionäre" schrieb:

"Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig.
Ihr sollt euch keine Flügel anheften.
Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig.
Wir sprechen von Geschäften."

Falls es sich zeigen sollte, dass diese Einschätzung falsch ist, bin ich der Erste, der sie mit großer Freude revidieren wird.

Liebe Grüße!