Montag, 12. August 2013

Die Sehnsucht nach dem traumlosen Land des Schlafes, oder: Die neoliberal verordnete Wahlenthaltung der nicht ganz so dummen Schafe


Ich bin momentan so träge, was das Schreiben von Blogtexten betrifft. Ich habe hier einen längeren Text vor mir, der die Anbiederungsversuche der Linken an SPD und Grüne zum Inhalt hat, um den ich mich seit Tagen immer wieder drücke ... es kommt mir alles so sinnlos vor, ich habe starke Fluchttendenzen zur Zeit und würde mich am liebsten aus dem politischen Geschehen vollkommen ausklinken, auch wenn das gar nicht geht und es zudem grundfalsch ist, wie ich weiß, wenn ich das Gehirn wieder anwerfe. Woher soll bloß die Motivation kommen, wenn das gesamte Ausgangsbild so dermaßen falsch, grotesk und verzerrt ist und unaufhaltsam weiter in die falsche Richtung driftet?

Ich weiß, gerade bei denjenigen, die hier mitlesen, renne ich damit offene Türen ein ... aber ich brauche mich nur mit "normalen BürgerInnen" zu unterhalten, wie ich das am Sonntag wieder getan habe, um zu wissen, dass der Zug längst an der Eisenwand zerschellt ist. Da ist nichts zu machen, die erkennen und wissen es nicht, und wenn entgegen jeder Vermutung tatsächlich der völlig absurde "Erdrutsch" stattfindet und der Steinbrück im September Kanzler wird, wird sich dennoch nichts verändern. Den wirklichen Erdrutsch, der stattfinden müsste, begreifen die allermeisten Menschen in diesem Land gar nicht. Denen könnte ich genauso etwas vom Aluhut, vom fliegenden Spaghettimonster oder von dem überaus schäbigen Volk der Ferengi erzählen - das hat exakt denselben Stellen- und Relevanzwert.

Den Vogel abgeschossen hat dann am Sonntagabend eine Passage im "Tatort", den ich aufgrund meines komatösen Zustandes laufen hatte, während ich (vergeblich) versucht habe, endlich ins traumlose Land des Schlafes zu wechseln: Da brüllte irgendein aufgebrachter, von der Kündigung bedrohter Mensch in die Kamera, dass Menschen, denen man "die Arbeit nehmen" wolle, ja alles (mit mindenstens drei Ausrufungszeichen) täten, um das zu verhindern. Das ist ein Paradebeispiel für die groteske und zutiefst verinnerlichte Perversion des Kapitalismus. Was diese Filmfigur wirklich meinte, war natürlich, dass ein Mensch selbstverständlich auf die Barrikaden geht, wenn man ihn der materiellen Existenzgrundlage beraubt. Soweit hatte er recht. Aber die Gleichsetzung von "Existenzgrundlage" und "Arbeit" ist so weit fortgeschritten in dieser Alptraumgesellschaft, dass es niemandem mehr einfällt, ein "gutes Leben" jenseits der Arbeit einzufordern. Und niemand stellt mehr das kapitalistische, abgrundtief perverse Grundprinzip in Frage, das da lautet: Ich muss mich, in welcher Form auch immer, prostituieren (also "arbeiten" bzw. meine Arbeitskraft ausbeuten lassen), um überhaupt erst ein Recht auf ein halbwegs angemessenes Leben zu erwerben. Das ist ein Kernelement der kritisch angestrichenen Sonntagabendunterhaltung im öffentlich-rechtlichen TV heute - untermalt von viel Gewalt, Polizeiunrecht und dem üblichen Bild des generalverdächtigen Bürgers, der sich der Obrigkeit selbstverständlich rund um die Uhr zur Verfügung zu halten hat und auch nichts dagegen unternehmen kann (bzw. soll), dass sich die Polizei zu jeder Zeit und in jeder Form Zutritt zur Wohnung und zum intimsten Umfeld verschaffen kann.

Danach hatte ich keine Lust mehr auf Opposition. Das ist nicht nur ein Kampf gegen Windmühlen, sondern ein Kampf gegen einen gewaltigen, dermaßen widerwärtigen und übermächtigen Strom, der schlicht niemals zu gewinnen ist. Die alberne Geschichte von "David gegen Goliath" steht ja nicht zufällig gerade in dem Verdummungsbuch Nr. 1 der abendländischen Welt - nämlich in der Bibel, der wir ja unter Anderem auch entnehmen dürfen, dass Jesus etwas gegen "Händler im Tempel", gegen Zinshaie und Superreiche, die niemals "ins Himmelreich gelangen", und gegen Gewalt gegen wirkliche oder vermeintliche "Sünder" hatte. Angesichts der Gesellschafts- und Kirchengeschichte kann man darüber nicht einmal mehr müde lächeln - besteht sie doch im Wesentlichen aus eben diesen Elementen, die angeblich zu bekämpfen seien.

Wenn ich irgendwo dieses erbärmliche Schauspiel miterleben muss, wie sich CDU, SPD, Grüne und FDP in so dermaßen peinlichen Wahlkampfallüren in hochalbernen Minidetails gegeneinander auspielen, während doch für jedermann offenkundig sichtbar und nicht im Entferntesten bezweifelbar ist, dass diese "Wahlkämpfer" eben "Wahlkämpfer" sind und unterm Strich alle dasselbe stinkende kapitalistische Kloakedepot anstreben ... dann bleibt mir nicht mehr viel übrig, was außer multiplen Kotzanfällen und eine sich fast zwangsläufig anschließenden Flucht in den Boykott - oder besser noch: in die geistige Ausklinkung aus diesem Theater für Irrsinnige und Dummgehaltene - noch bleibt.

Es ist nur gut, dass es den einen oder anderen lieben Menschen in meinem Umfeld gibt, der mich vor diesem fatalen, kontraproduktiven Ausstieg doch immer wieder bewahrt - tausend Dank an M. in diesem Falle. Der - keineswegs einzige, aber durchschlagendste - Grund dafür ist dieser:

"Also werde ich – auch wenn ich die Faust balle in der Tasche – zur Wahl gehen. Ich werde eine kleine Partei wählen, die wirklich links ist und das herrschende System überwinden will. Vielleicht scheitert auch sie an der 5-Prozent-Hürde. Sie ist ja auch schon unter Kohl gescheitert. Hauptsache, Rechtskonservative und Rechtsextreme bleiben unter den magischen 5 Prozent. Wenn 10 Millionen Leute wählen gehen, liegt die Hürde bei 500.000 Wahlzetteln. Wenn aber 20 Millionen Zettel abgegeben werden, liegt die Hürde bei einer Million Zetteln! Hohe Hürde für die Rechtsextremen!"

Ich höre meine innere Stimme schon wieder, die mir angesichts dieser Aussage erzählt, dass CDU, SPD, FDP und Grüne ja nichts anderes als faschistische Parteien sind bzw. dass sie ein entsprechendes faschistisches System, das sie ja längst geschaffen haben, betonieren wollen und dass sie die NPD, AfD, PdV oder wie sich die braunen Vasallen des Kapitals auch immer nennen mögen, gar nicht brauchen, aber ...

... was zum Teufel sollen Wahlboykotte oder ungültige Stimmen an dieser Totalkatastrophe denn ändern? - Wählt die MLPD, wenn es sein muss, oder "Die Partei" - das wäre ein Zeichen, das diese Schlips-Borg zur Kenntnis nähmen. Alles andere juckt sie nicht und macht ihre Schlipse und ihre Habgier nur noch geschmeidiger.

5 Kommentare:

DirtyDickDaddy hat gesagt…

Ja, man verzweifelt & resigniert, weil der Pilz der Verderbnis schon durch alle Schichten der Gesellschaft gefressen hat. Und es sind keine hirnlosen Monster, die diese Gesellschaft von innen heraus zerfressen - es ist der menschliche Abschaum, dessen aufdoktrinierter Selbsterhaltungstrieb allen Opportunismus rechtfertigt. Die wissen, was sie tun - und sie tun es unter Vorsatz. Sie wissen, dass sie mit ihrem Handeln nur Leid & Elend bei Dritten (Unschuldigen) verursachen, und sie nehmen es in Kauf. Weil nichts mehr zählt & der Einzelne keinen Wert mehr hat. Man kann im Zeitraffer beobachten, wie jegliche Sozialstrukturen innerhalb der Gesellschaft auseinanderbrechen, niemand kann ernsthaft behaupten, er wisse nicht, welches dreckige Spiel da läuft - außer er ignoriert die Realität beharrlich & in diesem Falle wäre es auch gelogen. Man kann die Fallbeispiele nicht mehr zählen: Gesundheitssystem, Rechtsstaat, Solidarität (insb. Asyl), Bildung, Pressefreiheit, Überwachung, Armut, Arbeit, Umwelt, ... - egal wohin man blickt, welchen Part man auch herauspickt: überall sind Skandale, Betrug & Verbrechen an der Tagesordnung. Die Perversion ist zum Normalfall mutiert & der "normale Mensch" ist zur Seltenheit verkommen. Ich hab da keine Hoffnung mehr & ich habe auch kein Mitleid mehr. Diese verkommene Rasse, die sich als "Intelligente Lebensform" tituliert & mit vorgeblichen "Verstand" schmückt, hat es nicht besser verdient. Wer so mit sich, seiner Umwelt & seinen Mitgeschöpfen/-menschen umgeht, der soll seine Strafe bekommen. Es wird viele Unschuldige treffen - okay, tut mir leid! -, aber die Arschlöcher werden auch in ihrer selbstgemachten Scheißwelt dahinvegetieren müssen. Und sie werden bereuen, das schwör ich! :)

DirtyDickDaddy hat gesagt…

... und um noch auf die "Wahl" einzugehen: Ich bin überzeugter Nichtwähler, hab aber eine Wählerkarriere (SPD-PDS-Die Linke-Die Partei) hinter mir. Ich wähle nicht, weil ich dem System meine Legitimation verweigere. Aber wer daran teilnimmt, kann die obig genannten Wahl-Empfehlungen guten Gewissens beherzigen & sollte dem korrumpierten Establishment seine Stimme verweigern - die haben nun wirklich oft genug bewiesen, wie sie drauf sind. :)

Charlie hat gesagt…

@ DirtyDaddy: Danke für Dein Statement, dem ich mich weitgehend anschließe - in Bezug auf das bevorstehende Wahltheater bleibe ich aber bei meinem Standpunkt, dass es immer noch besser ist, Kleinstparteien des linken Spektrums zu wählen, um damit einerseits die Hürde für die offenen Faschisten zu erhöhen und andererseits der neoliberalen Bande zumindest metaphorisch ans Bein zu pinkeln. Diesen "Stinkefinger" verstehen sie und nehmen ihn auch zur Kenntnis - alles andere, wie etwa die Wahlbeteiligung oder ungültige Wahlzettel, interessiert sie gar nicht.

Der Titel dieses Postings ist auch so gemeint: Ich halte es durchaus für ein realistisches Szenario, dass die neoliberale Bande gewisse (kritische) Teile der Bevölkerung bewusst und gewollt zu Nichtwählern machen will, denn davon profitiert sie ja schließlich.

Liebe Grüße!

Tini hat gesagt…

Frau Merkels Parteigenossen gehen wählen und die Stimmen reichen ihr zur Macht.
Manchmal bin ich auch mutlos, aber vielleicht hilft dieses Bild: Ein großer See hat eine Seerose die sich jeden Tag verdoppelt. Es dauert sehr lange bis der See halb bedeckt ist aber nur einen Tag bis er ganz bedeckt ist. Vielleicht müssen wir Geduld habe, bis sich die Erkenntnis noch mehr ausbreitet. Ich merke schon Veränderungen (insbesondere im Netz) , aber es geht nicht so schnell wie ich es mir wünsche.
Unserem lokalen Käseblatt habe ich neulich entnommen, dass ca. 12-13 % Wähler über 70 sind. Ich wette, diese gehen alle ordnungsgemäß wählen, so sie denn noch können.
Alle älteren Menschen sollten doch auch Enkel haben. Diese sollten ihre Großeltern aufklären und sie bitten doch an ihre Zukunft ( also, die der Enkel ) zu denken, denn die Alten, ich sag es jetzt mal salopp, haben nicht mehr soviel zu verlieren.
Erklärt euren Großeltern eure Ängste, vielleicht ist das eine Taktik.

Liebe Grüße Tini

Charlie hat gesagt…

@ Tini: Dein Optimismus in allen Ehren - ich glaube aber nicht, dass es etwas mit dem Alter zu tun hat, ob sich jemand systemkonform bzw. dumm verhält oder doch lieber das eigene Gehirn bemüht. Es gibt in jeder Altersklasse solche und solche.

Es mag stimmen, dass es vielleicht mehr Ältere gibt, die noch immer brav CDU, Grüne, FDP oder SPD wählen - das Problem wird sich aber keineswegs erledigen, wenn es diese "AltwählerInnen" nicht mehr gibt.

Die Hoffnung auf die "langsame Veränderung" (sprich: Verbesserung) ist indes eine sehr alte Begleiterin der Menschheit - darauf setzten progressive Menschen auch schon vor hundert Jahren, und vor zweihundert Jahren, und vor dreihundert Jahren ...

Durchgesetzt hat sich aber stets elitäre Macht- und Habgier, die eiskalt über Leichen geht und die überwältigende Mehrheit der Menschen ins Elend stürzt. Daran hat sich bis heute nichts geändert - und auch die wenigen kritischen Stimmen im Netz können an dieser Diagnose nichts ändern, denn auch die gab es in früheren Zeiten immer: All die Tucholskys, Kästners, Heines und wie sie alle hießen haben es nicht geschafft, den offensichtlichen Irrsinn zu stoppen oder gar umzukehren.

So schön ich Dein Seerosenbild persönlich auch finde - realistisch ist es leider, leider nicht. Wenn der See zu sehr mit diesen Pflanzen bedeckt ist, wird ihn das elitäre Gesindel stets mit Gewalt und - um im Bild zu bleiben - heftigsten Giften von diesem "Unkraut" befreien, um den eigenen Luxus und die eigenen Privilegien abzusichern - ganz egal auf wessen Kosten und zu welchem Preis.

Liebe Grüße!