Donnerstag, 15. Mai 2014

Song des Tages: Stumme Zeugen




(Goethes Erben: "Stumme Zeugen", aus der MC "Der Spiegel, dessen Weg durch stumme Zeugen zum Ende führt", 1990; wiederveröffentlicht auf dem Album "Erstes Kapitel", 1994)

Karge, kahle Stämme
werfen strenge Schatten,
schemenhaft und bedrohlich:
Stumme Zeugen der Grausamkeit,
die hier geschah.

Damals, der Mann mit dem starren Blick -
er hielt etwas in der Hand,
als er auf dem Auto sitzend
durch ein monotones Klopfen
ein junges Mädchen in einen Abgrund der Angst riss.

Seit Stunden wartete sie verzweifelt
auf ihren Freund, in diesem Wald ...
Nur der Mond war anwesend ...

Das Auto war stehen geblieben,
und er wollte Hilfe holen -
doch er kam nicht zurück,
nur dieser Mann,
und mit ihm dieses Klopfen:
Dumpf und bedrohlich -
Fleisch auf Blech - Fleisch auf Blech ...

Verkrustetes Blut
überzog das Gesicht ihres Freundes,
abgetrennt vom Rumpf, zum Klopfen missbraucht.
Schlag um Schlag
krachte der abgehackte Schädel auf das Blechdach -
im Takte der Angst ...

Nur die kahlen Stämme
waren die stummen Zeugen,
und auch wenn das Mädchen gerettet wurde:
So bleibt doch ein Fluch erhalten
auf diesem Wald -
dem Wald der stummen Zeugen.



Anmerkung: Man mag das heute kaum mehr glauben, aber es gab tatsächlich einmal eine recht gut funktionierende Independent-Musikkultur, die auf Musik-Cassetten und vom konzerngesteuerten Musikalienhandel völlig unabhängigen Vertriebswegen begründet war, und die auf diese Weise auch vor dem Zeitalter der CD und des Internets bereits "abweichende" Musik einem kleinen, interessierten Publikum zugänglich gemacht hat. Goethes Erben ist eine der Bands aus diesem Dunstkreis, die damals noch von jeder Plattenfirma rausgeschmissen worden wäre und es auf diesem Wege dann aber doch geschafft hat, in den Kreis der Besserverdiener aufzusteigen - womit auch ihr künstlerischer Niedergang eingeläutet war, aber das ist wieder ein anderes Thema.

Wenn im Kapitalismus das schnöde Geld lockt, ist es - von seltenen Ausnahmen abgesehen - aus mit jeder Innovation, jeder Kunst und jeder Kreativität. Diese Weisheit ist so alt wie der Kapitalismus selbst.

Ich erinnere mich noch heute allzu gerne an einen Auftritt dieser Band in einem Club irgendwo im Ruhrgebiet, bei dem die Musiker auf jedwede Beleuchtung aus elektrischen Quellen verzichtet haben und einzig auf hunderte von Kerzen vertrauten, die überall rund um die Bühne und darauf aufgestellt waren. Ein atmosphärisch dichteres Konzert habe ich seitdem nicht mehr erlebt.

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