Montag, 18. August 2014

Kunst in Laienaugen: Versuch einer Bildinterpretation von George Grosz' "Der Überlebende"


Im vorletzten Posting habe ich ein Gemälde eines meiner Lieblingsmaler zur Illustration benutzt - nämlich das Ölgemälde "Der Überlebende" von George Grosz, das (je nach Quellenangabe) 1944 oder 1945 entstanden ist. Nach einigen irritierenden Rückmeldungen habe ich nun den Eindruck, das dieses Bild nicht von allen so verstanden wird, wie ich es auffasse - und möchte deshalb meine Gedanken dazu noch einmal gesondert mitteilen. Es handelt sich dabei um meine ganz persönliche, laienhafte Wahrnehmung - denn ich bin kein "Experte" in Sachen Malerei.



Zur Zeit der Entstehung dieses Bildes stand der Zweite Weltkrieg kurz vor seinem absehbaren Ende und der von den Nazis verfolgte deutsche Künstler Grosz befand sich längst im Exil in den USA.

Wir sehen hier im Hintergrund eine brennende, zerstörte, offensichtlich deformierte Welt, während im Vordergrund ein Schlammloch das Bild beherrscht. Die dominierende Hintergrundfarbe ist schwarz. In diesem Schlammloch sehen wir einen Menschen, der durch den Morast kriecht: Er hat schlohweiße Haare, obwohl es sich offensichtlich nicht um einen Greis handelt; er hat einen Gesichtsausdruck und einen Blick, den man bestenfalls als "irre" oder "psychopathisch" bezeichnen kann; er hat ein verrostetes oder blutverschmiertes, riesiges Messer zwischen den Zähnen; er klammert sich mit den Händen an eine offensichtliche Waffe, die vielleicht ein Flammenwerfer sein könnte - genau erkenne ich das nicht. Wer mag sich vorstellen, was dieser Mensch mitansehen und selbst tun musste, bis er in diese Lage kam?

Er trägt keine erkennbare Uniform, die irgendeiner der damaligen Kriegsparteien zuzuordnen wäre - es könnte sich also um einen deutschen, einen englischen, einen amerikanischen, einen russischen oder sonsteinen Soldaten handeln, ebenso könnte es aber auch ein Zivilist oder ein Flüchtling sein, der gar keiner Armee angehört(e). Das ist wichtig für das Verständnis dieses Bildes.

Wir haben nicht die geringste Ahnung, um was für einen Menschen es sich hier handelt: War er vor dem Krieg vielleicht ein Tischler, ein Lehrer, ein Kaufmann, ein Dieb, ein Vergewaltiger, vielleicht sogar ein Faschist? Das bleibt völlig offen und ist auch ohne Relevanz, denn hier sehen wir lediglich das, was ein Krieg aus einem Menschen zwangsläufig macht - ganz unabhängig davon, was er vorher gewesen sein und welche Ziele er verfolgt haben mag. Wer ein solches Grauen, wie es Kriege immer für die Beteiligten - seien es nun Soldaten oder Zivilisten - darstellen, durchleben muss, ist danach niemals derselbe Mensch, der er vorher gewesen ist. Grosz zeigt uns das hier exemplarisch und in einer, wie ich finde, äußerst nachdrücklichen und aufrüttelnden Form.

Möchte dieser irrsinnigen, äußerst bedauernswerten und kranken Gestalt, die da durch den Schlamm kriecht, jemand vielleicht seine Kinder zum Schutz anvertrauen? Nein? Wie um alles in der Welt kann ein halbwegs gesunder, nicht vom Krieg gezeichneter Mensch auf den grotesken Gedanken kommen, solche Menschen, die durch die Hölle gegangen sind bzw. dazu getrieben wurden bzw. gehen mussten, könnten hernach für "Freiheit", "Demokratie" oder gar - ich wage das kaum zu schreiben - "Humanismus" einstehen können? Ich habe fast den Eindruck, dass inzwischen viele Menschen in unserem vollkommen degenerierten "Kulturkreis" den infantilen, völlig absurden Kindergarten-Blödsinn aus Hollywood für bahre Münze nehmen, in dem ein fieser Bösewicht sich durch Menschenmassen schlachtet oder schlachten will und von einem wackeren Helden, der sich seinerseits durch "böse" Menschenmassen schlachtet, aufgehalten wird - und am Ende sind alle glücklich, das "Gute" hat gesiegt und alle - bis auf die "Bösen", denn die sind dann ja geköpft, gemordet, verbrannt, gevierteilt, gehäutet ... - sind glücklich.

George Grosz zeigt uns hier das Gegenteil, nämlich die böse und bis heute geleugnete Realität: Das da im Schlamm, dieses kriechende, irrsinnge Etwas mit dem Messer zwischen den Zähnen, das bleibt am Ende - neben Leichenbergen, verbrannter Erde, Hass und dem überbordenden Potenzial auf folgende Kriege in einer immerwährenden Endlosschleife - übrig, und zwar auf allen Seiten: Zerstörte, deformierte "Überlebende", die oftmals zu keinem "normalen" Leben mehr fähig sind.

Notiz am Rande: Grosz' Gemälde befindet sich seit vielen, vielen Jahren in "Privatbesitz", ist also der Öffentlichkeit nicht zugänglich, sondern vermodert in irgendeinem Keller eines natürlich anonymen Superreichen. Solche entartete Kunst soll der Pöbel schließlich nicht zu Gesicht bekommen, sonst käme er womöglich auf Gedanken und könnte lernen ...

4 Kommentare:

schadensmeldung hat gesagt…

Ein Mensch, der sichtlich gealtert ist, liegt in einem Schützengraben und erkennt seinen nahen Tod (könnte sogar einen Jugendlichen darstellen). Seine Augen treten hervor, vom Wahnsinn gezeichnet; was er erblickt, wissen wir nicht. Er liegt wohl nicht alleine in diesem Unterstand, ist möglicherweise der einzige Überlebende, umgeben von verstümmelten Soldaten (ich kann mich an die Aussage eines Onkels von mir erinnern, der in einem solchen Schützengraben miterlebte, wie der Kopf eines anderen Soldaten neben ihm weggeschossen wurde). Der Hintergrund lässt erahnen, dass kein Überleben mehr möglich ist. Was das Seil in seinen Händen symbolisieren sollte, mit einer Verbindung zur Waffe? (erscheint mir auch nicht als Waffe ... eher als Symbol des Tötens und getötet werden) sowie zu seinem Körper, könnte uns wohl nur der Maler erzählen. Möglicherweise ein hilfloser Versuch, um überleben zu können. Das Messer im Munde der Figur finde ich interessant, in Verbindung zu einem offensichtlich aufgerissenen Oberkörper.
Das Bild ist in seiner Aussage allerdings sehr erschreckend.

Holdger Platta hat gesagt…

Eine sehr eindrucksvolle Bildbeschreibung wie - analyse diesew Bildes von Grosz (der leider in den USA nicht mehr an der Kraft seiner früheren Bilder und Zeichnungen anknüpfen konnte; dieses Bild hier ist eine Ausnahme davon).

Vielleicht kann ich an einem Punkt etwas helfen: was dieser jung-alte Mann in seiner rechten Hand hält, könnte eine Panzerfaust sein (Flammenwerfer sahen anders aus). Mag sein, daß er diese mit einem Strick transportiert hatte.

Geht es übrigens anderen Betrachtern auch so, daß man die hölzernen (?) Trümmerteile im Bildhintergrund als zerschmettertes Hakenkreuz deuten könnte?

Charlie hat gesagt…

@ Holdger: Deinem Urteil über Grosz' Spätwerk kann ich mich nicht anschließen - es ist zwar richtig, dass er sich mit zunehmendem Alter immer mehr als "unpolitischer" Maler versuchte, die Bilder sind aber deshalb nicht weniger eindrucksvoll oder wertvoll. Außerdem hat er einige seiner wichtigsten und aussagekräftigsten politischen Gemälde in dieser Zeit gemalt - das waren zwar wenige, die ich aber umso umwerfender finde (beispielsweise "Sonnenfinsternis" [1926], "Kain, oder: Hitler in der Hölle" [1944] oder "Die Grube" [1946]).

Was Deine Mutmaßung bezüglich des zerschmetterten Hakenkreuzes betrifft: Bei näherer Betrachtung halte ich das durchaus für möglich. Ich weiß nicht, wie verbreitet eine solche Symbolsprache in der Kunst damals war - allerdings ist schon einer anderen Leserin vor längerer Zeit etwas Ähnliches bezüglich eines anderen Bildes aufgefallen (siehe hier).

Ich habe lange gesucht, aber leider keine hochauflösende Version dieses Bildes im Netz gefunden, auf der man Details besser erkennen könnte - und die Abbildungen, die ich selber in Büchern zuhause habe, sind leider auch sehr klein, so dass ein Scan sich nicht lohnt.

Liebe Grüße!

Holdger Platta hat gesagt…

Damit wir uns - höchst überflüssigerweise - nicht schon wieder wegen eines Mißverständnisses in die Wolle kriegen, liebe Charlie:

Ich spreche vom späten Grosz, der sich auf das Zeichnen und Malen von "Schnürlemännlein" verlegte und auf klassisch-konventionelle Zeichnungen von Strandhafer und ähnlichem. Ein Zusammenbrechen künstlerischer Eigenart und Kraft, das ich im übrigen weniger seiner Alkoholabhängigkeit zuschreibe als dem beschissenen Exil. Auch einem Heinrich Mann brachen da die eigenen Kräfte weg - ganz im Gegensatz zum darin ungleich stabileren Bruder Thomas Mann.

Der Grosz der Bilder wie des hier abgebildeten war nicht von mir gemeint. Und für mich zählt Grosz zu den ganz großen Künstlern des 20. Jahrhunderts.