Die Erde bebt noch von den Stiefeltritten.
Die Wiesen grünen wieder Jahr für Jahr.
Die Qualen bleiben, die wir einst erlitten,
ins Antlitz, in das Wesen eingeschnitten.
In unsren Träumen lebt noch oft, was war.
Das Blut versickerte, das wir vergossen.
Die Narben brennen noch und sind noch rot.
Die Tränen trockneten, die um uns flossen.
In Lust und Fluch und Lächeln eingeschlossen
begleitet uns, vertraut für immer, nun der Tod.
Die Städte bröckeln noch in grauen Nächten.
Der Wind weht Asche in den Blütenstaub
und das Geröchel der Erstickten aus den Schächten.
Doch auf den Märkten stehn die Selbstgerechten
und schreien, schreien ihre Ohren taub.
Die Sonne leuchtet wieder wie in Kindertagen.
Die Schatten fallen tief in uns hinein.
Sie überdunkeln unser helles Fragen.
Und auf den Hügeln, wo die Kreuze ragen,
wächst säfteschwer ein herber neuer Wein.
(Wolfgang Bächler [1925-2007], in: "Die Erde bebt noch. Frühe Gedichte 1942-1957", Fischer 1988; zuerst in: "Die Erde bebt noch", 1947)
Anmerkung: Von Bächler ist die wunderbare Selbstbeschreibung überliefert: "Ich bin ein Sozialist ohne Parteibuch, ein Deutscher ohne Deutschland, ein Lyriker ohne viel Publikum ... kurzum ein unbrauchbarer, unsolider, unordentlicher Mensch, der keine Termine einhalten und keine Examina durchhalten kann und Redakteure, Verleger und Frauen durch seine Unpünktlichkeit zur Verzweiflung bringt." Ich wüsste nicht, wie man sich mit so wenigen Worten noch besser und sympathischer vom hochglänzenden Lügenterror der neoliberalen Bande und ihrem faschistoiden Menschenbild abgrenzen könnte.
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