Mittwoch, 22. Oktober 2014

Anonyme Denunziation: Alltag in der behördlichen Willkür des Hartz-Terrors


Der gesetzlich legitimierte, politisch gewollte Hartz-Terror nimmt in Deutschland immer bedrohlichere Formen an. Laut einem Bericht von Telepolis hat das Landessozialgericht Rheinland Pfalz Anfang Oktober geurteilt, dass die anonyme Denunziation eines Betroffenen beim "Jobcenter" einen "begründeten Verdacht" darstelle, der die Behörde dazu ermächtige, "Sozialdetektive" loszuschicken und bei einer "mangelnden Mitwirkung" des Betroffenen sogar die Mietzahlungen inkl. der Nebenkosten komplett einzustellen. Im Text heißt es:

Im konkreten Fall bekam ein Jobcenter im nördlichen Rheinland-Pfalz einen anonymen Hinweis, dass die 64-jährige Hartz IV-Bezieherin bei ihrer Tochter wohnt und die Wohnung, die sie seit 40 Jahren gemietet hat, nicht mehr regelmäßig bewohnt. Darauf verlangte das Jobcenter, die Frau solle Sozialdetektiven Zugang zu der Wohnung ermöglichen. Das lehnte sie aber ab, weil sie nicht einsah, dass sie auf einen anonymen Hinweis die Verletzung ihrer Privatsphäre zulassen soll. Dabei hat die Frau auch Angaben zu ihren Wohnverhältnissen nicht verweigert, sondern mit Fotos und einer eidesstattlichen Versicherung kund getan, dass sie die Wohnung nutzt und dort recht spartanisch lebt.

Trotzdem entschied das Gericht nun, dass sie bis zur Klärung des Sachverhalts die Kosten für Miete und Heizung selber tragen muss. Damit reicht ein anonymer Hinweis aus und die Denunzierte muss einen Verdacht entkräften, der von ihr unbekannten Menschen, die sich nicht einmal zu erkennen geben müssen, erhoben wird. Das gibt natürlich Menschen Gelegenheit, ihnen missliebige Nachbarn und Kollegen mit Vorwürfen zu überziehen, wie es eine Hartz IV-kritische Seite mit einem Foto gut dokumentierte.

Das ist indes keine neue "Entgleisung" und erst recht kein "Einzelfall", sondern gängige Praxis innerhalb dieses furchtbaren behördlichen Willkür-Molochs, das die rot-grün-schwarz-gelben Hartz-"Gesetze" vorsätzlich geschaffen haben. Aus meiner eigenen Mitarbeit in einem Bürgerverein sind mir mehrere Fälle bekannt, in denen ähnlich willkürlich und brutal gegen verschiedene Menschen vorgegangen wurde - einen möchte ich exemplarisch herausgreifen:

Herr X (58) wird von einem Nachbarn beim "Jobcenter" denunziert, weil er angeblich nicht mehr in seiner Wohnung wohne. Das "Jobcenter" schickt daraufhin Schnüffler los, die ebenfalls niemanden in der Wohnung antreffen. Daraufhin verschickt die Behörde einen Bescheid an Herrn X und stellt die Miet- und Nebenkostenzahlungen ein. Einige Zeit später wird Herr X aus dem Krankenhaus, in dem er sich aufgrund eines Herzinfarktes befunden hatte, entlassen und findet den besagten Bescheid sowie eine Mahnung des Vermieters zuhause im Briefkasten vor.

Um es kurz zu halten: Alle "Klärungsversuche" gegenüber dem "Jobcenter" verliefen fruchtlos. Es musste der Bürgerverein eingeschaltet werden, der eine Klage beim Sozialgericht einreichte, bis dem Mann, der sich inzwischen glücklicherweise in einer Reha-Klinik befand, geholfen werden konnte und das Amt die verweigerten Mietzahlungen endlich überwies. Im Nachhinein stellte sich noch heraus, dass die "anonyme Anzeige", die laut "Jobcenter"-Bescheid zu dieser Farce geführt hatte, gar nicht anonym gewesen war. Die Behörde hat ihren "Kunden" also schlichtweg "amtlich" und wissentlich belogen.

Für mich war es ein Wunder, dass der Mann aufgrund dieses Behördenterrors nicht augenblicklich einen weiteren Herzinfarkt erlitten hat. Man stelle sich das einmal bildlich vor: Da erleidet jemand einen Herzinfarkt, kämpft um sein Leben, springt dem Tod noch einmal von der Schippe - und erfährt nach der glücklichen Rückkehr in sein Zuhause, dass er nun nicht mehr nur von bitterer Armut, sondern zusätzlich noch von Obdachlosigkeit bedroht ist. - Der Gipfel des Zynismus war aber ein nachgelagertes Gespräch mit dem zuständigen "Bereichsleiter" des "Jobcenters", dem ich beigewohnt habe. Dieser Mensch - ein hagerer Hornbrillenträger Anfang 30, der mit halblangen Haaren, verblichenen Jeans und Turnschuhen den optischen Prototypen des eigentlich "sozialen" Arbeiters abgab -, entschuldigte sich bei dem betroffenen Bürger nicht etwa, sondern rechtfertigte das Vorgehen des Amtes mit Aussagen wie "Herr X hätte uns sofort benachrichtigen müssen, er ist selber schuld" (mit dem Wissen, dass der Mann sich auf der Intensivstation des Krankenhauses befunden hatte), "Andere Leute sind eine Woche nach einem Infarkt schon längst wieder bei der Arbeit" oder "Das Attest [womit er die Bescheinigung des Krankenhauses über den Aufenthalt dort meinte] halte ich für ein Gefälligkeitsgutachten".

Mit solchen existenziellen, völlig grotesken, geradezu kafkaesken Problemen müssen sich Hartz-Terror-Opfer in diesem "freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat" neben ihrer staatlich verordneten Zwangsverarmung herumschlagen - ganz egal, ob sie alt, krank oder behindert sind. Da ist es doch wahrlich sehr ermutigend, wenn das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz nun ausgerechnet solchen Figuren wie dem besagten "Bereichsleiter" das asoziale, faschistoide Treiben weiterhin fröhlich legitimiert.

Einmal mehr ist es an der Zeit, "Danke" zu sagen: Danke, Herr Schröder, Herr Fischer, Herr Steinmeier, Frau Göring-Eckardt - und ein nicht minder enthusiastischer Dank gebührt der damals hämisch lauernden schwarz-gelben Bande, der dieser schaurige Terror noch lange nicht weit genug ging und geht. Ich werde und werde den Verdacht nicht los, dass diese schmierigen Figuren erst dann zufrieden sind, wenn es endlich wieder "Lager" bzw. deren "moderne" Äquivalente gibt.

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"Der Zigarrenstummel des Proletariers"

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 19 vom 05.08.1919)

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ihr vergesst immer die Obertäter Edmund "EU-Austragshäuschen" Stoiber und Roland "Bilfinger" Koch, die mit ihrer Blockade im Bundesrat dem Monster die Zähne geschärft haben.

Charlie hat gesagt…

@ waswegmuss: Ich habe die beiden Herrschaften keineswegs vergessen - allerdings muss ich bei der Benennung der politisch Verantwortlichen für das Monster stets eine möglichst repräsentative Auswahl treffen, da die Liste sonst sehr umfangreiche Ausmaße annähme. Letztlich wären fast sämtliche Mitglieder des "Hartz-Ausschusses" sowie weite Teile der damaligen Fraktionen der SPD, FDP, CDU und der Grünen bis hin zu den geistigen Urhebern dieses Terrorkonzepts (Lambsdorff und seine Inspiratorin Thatcher) und natürlich auch Blair zu nennen.

Allerdings blendet diese Sichtweise einmal mehr die tatsächlichen Urheber des neoliberalen Terrors aus - die bekleiden in der Regel nämlich kein politisches Amt, sondern sitzen in ihren Dagobert-Duck-Geldspeichern, baden in ihren völlig absurden Milliarden und sind wie von Sinnen dennoch stets auf der Suche nach einem möglichst großen Zuwachs ihrer perversen Reichtümer. Die willfährigen Horden der PolitikerInnen, die diesen irrsinnigen Wunsch devot in die Tat umsetzen, waren, sind und bleiben austauschbare Marionetten.

Dass all diese Figuren natürlich korrupt waren bzw. sind und selbstverständlich angeklagt gehören, steht auf einem anderen Blatt. Das ändert aber nichts daran, dass auch schmierige Gesellen wie Koch und Stoiber nur Laufburschen der Kapitalmafia sind. Die wirklich Schuldigen tauchen in all den Anklagen gar nicht erst auf und können weiter ihr perverses Spiel treiben - sie haben ja jederzeit mehr als genügend neue und teilweise auch noch alte Laufburschen (und Mägde) in der Politik und in den Medien, die ihre Interessen vehement vertreten und im Bedarfsfall auch mal den Kopf für sie hinhalten.

Eigentlich wollte ich mit diesem Beitrag aber auf etwas ganz anderes hinaus.

Liebe Grüße!

Anonym hat gesagt…

Wo sind wir denn hier? Behörden gehen ANONYMEN HINWEISEN nach und Gerichte segnen das ab?? Merkt hier eigendlich noch jemand wie krank und verfault das ist? Hallo?

Duderich hat gesagt…

Soviel zum rechtsstaatlichen Prinzip der Unschuldsvermutung.

Manche sind halt 'gleicher', oder als SGB III-Empfänger 'weniger gleich'...

Grüße, Duderich

jakebaby hat gesagt…

Doch eher Schuldvermutung.

"Der Beschuldigte wird, vor Klärung des Sachverhalts/Schuld-Unschuld, prekonditioniert bestraft."

Die anfaengliche Beweisfuehrung anhand der Angaben eines anonymen Arschlochs, macht dieserart Faelle noch wesentlich delikater.

Da dieserart privat/nachbarliche Denunzierungen nicht auf H4-Opfer beschraenkt, werden wohl bald wieder schwarzlackierte Automobile eine unangenehme Aura verbreiten. ..?

nightowl hat gesagt…

Es soll ja Leute geben, die nix Faschistisches erkennen, wenn kein Adolf draufgemalt ist.
(Ab wann genau ist ein Staat ein "Unrechtsstaat"?)
Die "vorbeugende Schuldvermutung" gab es hier ja schon mal: siehe "Aktion Arbeitsscheu Reich".
Zitat(aus Wikipedia):
"(...)Die Verhaftung und Verschleppung von „Asozialen“ geht auf den „Grundlegenden Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ des Innenministeriums vom 14. Dezember 1937 zurück. Damit wurde die Vorbeugehaft für sogenannte Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher reichsweit vereinheitlicht und erweitert auf Personen, die durch ihr asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährden würden.
Ein Haftprüfungstermin war erst binnen des zweiten Haftjahres vorgesehen (...)"