Donnerstag, 10. Dezember 2015

Zitat des Tages: Der Revoluzzer


Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: "Ich revolüzze!"
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonsten unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
Schrie: "Ich bin der Lampenputzer
Dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen!
Lasst die Lampen stehn, ich bitt'!
Denn sonst spiel' ich nicht mehr mit!"

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zuhaus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei doch Lampen putzt.

(Erich Mühsam [1878-1934], in: "Der Krater", Morgenverlag 1909)


Gedenktafel in Berlin-Charlottenburg


---



(Caminos: "Der Revoluzzer", aus dem Album "Uns geht die Sonne nicht unter!", 2011. Das komplette Album kann auf der verlinkten Webseite der Band kostenlos heruntergeladen werden.)


6 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

:-) Ich liebe dieses Gedicht. Und die musikalische Aufbereitung ist auch ganz nett, lade mir gerade das Album herunter, mal gespannt was die Jungs sonst so zu bieten haben.

jakebaby hat gesagt…

Wenn der liebliche Lampenputzer kein Buch schreibt. https://www.youtube.com/watch?v=AAJtACjLuBM

Und 'ein Gemuetszustand eines linken Linken. https://www.youtube.com/watch?v=woe_4gkS4XU

Gruss
Jake

Charlie hat gesagt…

Ich persönlich finde die schon mehrfach verlinkte Rezitation dieses Gedichtes von Lutz Görner am gelungensten, die man hier (nach einer kurzen Einleitung zur Person des Dichters) ab Minute 1:33 findet.

Ich will mir lieber gar nicht ausmalen, welche deutlichen Worte Mühsam wohl heute gefunden hätte, wenn er das grausige Elend der aktuellen deutschen Sozialdemokratie der Schröders, Münteferings, Gabriels und Steinmeiers miterleben müsste. 3/4 der "Genossen" finden den dicken kriegsgeilen und kapitalleckenden Siggi in seinem lächerlichen Glitzeranzug toll - so viele Drogen muss man erst einmal sammeln, um sie überhaupt konsumieren zu können.

Ich bin kein Roboter hat gesagt…

Erich Mühsam ist klasse! Lese seit Monaten seine Gedichte... Leider gibt es nicht wirklich einen mich zufriedenstellenden Gedichtband oder eine "Kompilation" ...
Dafür läuft im Auto die CD von Slime ("Sich fügen heisst lügen") rauf und runter - sie haben die Gedichte auch gut vertont! (Bzw. ein Lied selbst geschrieben, aber es basiert lose auf einem Gedicht von Mühsam; da wird doch tatsächlich auch das Narrenschiff erwähnt :-P)

"Man schnürt den Leib, man quält das Blut
den Geist zwingt nicht Gesetz noch Staat
Frei sie zu brechen sei mein Mut
und freier Mut gebiert die Tat!"

Charlie hat gesagt…

@ no robot: Einen recht guten Überblick über Mühsams Lyrik und Prosa bietet der Band "Ausgewählte Werke, Bd. 1: Gedichte. Prosa. Stücke", Berlin 1978. Ich weiß nicht, ob es das Buch im Handel noch neu zu kaufen gibt - in Bibliotheken und Antiquariaten dürfte man aber nach wie vor fündig werden. Es ist allerdings auch online verfügbar, da Mühsams Werk inzwischen gemeinfrei - also frei von jedem "Copyright" - ist: Zur Lyrik und Prosa geht es hier, eine Übersicht findest Du hier.

Den Titelsong des Slime-Albums hatte ich kürzlich auch verlinkt. :-) Und was das "Narrenschiff" betrifft: Das wurde schon im 15. Jahrhundert, beispielsweise von Hieronymus Bosch, gewürdigt - es ist gar wundersam, dass der Knabe damals schon Internet hatte. ;-)

Liebe Grüße!

Ich bin kein Roboter hat gesagt…

Danke für die Links!
Auf der Seite der Erich-Mühsam-Gesellschaft gibt es merkwürdigerweise keine Texte aufgeführt, und ich behalf mir mit dem "Projekt Gutenberg" - die Seite ist aber schrecklich erstellt, und Navigation darüber ist eine Qual.

Danke!