Sonntag, 22. November 2009

SPD: Fast schon Selbsthypnose

Mit Verblüffung müssen die Wählerinnen und Wähler zur Kenntnis nehmen, dass nach dem 27. September 2009 die verantwortlichen Wahlverlierer der SPD behaupten, alles richtig gemacht zu haben. Die SPD, so Steinmeier, habe schließlich nach links weniger verloren als nach rechts, die Rente mit 67 sei eben Mathematik und somit schlichte Wahrheit. Es gebe, so Steinbrück, keinen Grund, die erfolgreichen Positionen der SPD-Regierungsarbeit aufzugeben, und außerdem, so Müntefering, müsse die SPD jetzt nach vorn schauen, statt vom Quatsch der Selbstreinigung der Partei zu reden.

Ob in der Springer-Presse, im Spiegel oder in der Zeit, unisono scheinen die Wahlverlierer mit Hilfe von Legenden alles daran zu setzen, an ihren sozialen und politischen Verkennungen festhalten zu wollen. Gegen diese fast schon als Selbsthypnose zu fassende Unbeweglichkeit der etablierten Parteielite und gegen das beschränkte Kurzzeitgedächtnis des Boulevards und des politischen Feuilletons, die offenbar nichts mehr fürchten als ein handlungsfähiges politisches Lager jenseits von Union und FDP, gestatten wir uns einige Anmerkungen zum historisch einzigartigen Wahldebakel der SPD, zu dessen Vorgeschichte und zur Frage der politischen Lagerbildung. (...)

Die kulturelle Avantgarde, qualifizierte Facharbeiter, städtische Dienstleister, Sozial- und Bildungsberufsgruppen, einfache Angestellte, temporär Arbeitslose, untertariflich Beschäftigte, moderne Familien, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger, auf Sozialstaatlichkeit angewiesene Rentner und Frührentner, Auszubildende, Studierende, Migranten [und viele mehr]: Alle fühlen sich zu großen Teilen von der SPD nicht mehr repräsentiert, können politische Inhalte der SPD nicht mehr auf sich beziehen, verstehen die Funktionärssprache nicht, sind aufgeschreckt von sozialen Einschnitten, ahnen handwerkliches Stückwerk und Lobbyeinfluss in Gesetzesvorlagen, vermissen das sozialdemokratische Ethos als politische Leitlinie, durchschauen sogenannte von Sachzwängen geleitete Entscheidungen, misstrauen den Karrieren der Schröders und Clements, sehen die gleichbleibend ungerechte Behandlung von Frauen, Kindern, Migranten, Minderheiten und Außenseitern, spüren am Arbeitsplatz und im Gesundheitswesen die Zweiklassengesellschaft und erinnern sich an verbale Ausfälle von Schröder bis Sarrazin.

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