Dienstag, 13. April 2010

"Das ist kein Sozialstaat mehr"

Armut beschränkt sich nicht mehr auf Alte, Arbeitslose und Ausländer. Christoph Butterwegge über die Westerwelle-Debatte, verschwiegene Armut und politische Showveranstaltungen (...)

Christoph Butterwegge: [Es ist sozialpolitisch das größte Problem in Deutschland,] dass relative Armut in einem so wohlhabenden Land wie der Bundesrepublik so stark verbreitet ist. Bei uns gibt es auf der einen Seite wachsenden Reichtum und auf der anderen Seite enorme soziale Probleme. Ich sehe darin die große Gefahr des Auseinanderfallens der Gesellschaft – vor allem wenn die Polarisierung im Zuge einer größeren Wirtschaftskrise noch zunimmt.

Der Freitag: Vor sozialer Spaltung wird schon seit Jahrzehnten gewarnt. Ist "Auseinanderfallen" nicht ein zu großes Wort?

Christoph Butterwegge: Nein, denn die Situation hat sich grundlegend verändert. Armut beschränkt sich nicht mehr auf die klassischen A-Gruppen: Alte, Arbeitslose und Ausländer (Migranten). Heute dringt sie verstärkt in die Mitte der Gesellschaft vor, wie man beispielsweise an den Auswirkungen sieht, die der breite Niedriglohnsektor hat, den es früher hierzulande so nicht gab. Armut erfasst aber nicht bloß immer mehr Bevölkerungsschichten, sondern zerstört auch die sozialpolitische Kultur unseres Landes. Hartz IV wirkt ja nicht nur deprimierend für diejenigen, die davon betroffen sind, sondern macht auch jenen Angst, die fürchten, arbeitslos zu werden und nach kurzer Zeit auf das Sozialhilfeniveau abzusinken. Im Übrigen ist die Spaltung real: Die einen haben genug Geld und können sich auf einem Wohlfahrtsmarkt soziale Sicherheit kaufen. Die anderen haben keines und sind immer öfter auf die Privatwohltätigkeit angewiesen – etwa auf Lebensmittelspenden der "Tafeln". Das hat aber mit dem Sozialstaat, wie man ihn bisher kannte, nichts mehr zu tun.

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Anmerkung: Seit Jahren warnen Prof. Butterwegge und andere Wissenschaftler vor dieser fatalen Entwicklung und ihren Folgen - ohne jedwede Resonanz von Seiten der Politik. Wer da noch an "Zufälle" glaubt oder an "politische Fehler", die unabsichtlich gemacht wurden und werden, dem ist nicht mehr zu helfen. Es ist so offensichtlich, dass genau diese Entwicklung, die Verarmung ganzer Bevölkerungsteile, politisch gewollt ist - und zwar von einer "großen Koalition" aus der CDU, der Schröder-Steinmeier-SPD, den grünen "Realos" und natürlich den Wirtschaftsfaschisten von der FDP. Es reicht nicht aus, diese Entwicklung nur zu beklagen und den Ist-Zustand zu beschreiben (auch wenn das für die heutige Medienlandschaft schon ein großer Erfolg ist) - kompetente Fachleute wie Butterwegge müssen Ross und Reiter nennen und die Politik, die diese Katastrophe zu verantworten hat, anklagen. Und zwar vehement.

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