Montag, 19. Juli 2010

Raucher-Hysterie: Wie auf Nebenschauplätzen politische Kraft gebunden wird

Armes Land der Bayern. Fast jeder vierte volljährige Bewohner des stolzen Freistaats ist gestern dem Ruf der Fit-for-Fun-Dogmatiker gefolgt und hat sich in einem Volksbegehren für die Einführung des schärfsten Anti-Raucher-Gesetzes in Deutschland entschieden. Die Diktatur des Pöbels hat wieder einmal über die Unvernunft gesiegt. In Bayern wird damit bereits in wenigen Wochen der Tabakgenuss selbst in separaten Gaststättenräumen mit geschlossenem Lüftungssystem und in kleinen Eckkneipen verboten sein. Dem gesundheitsbewussten Jogger ist es auch schwerlich zuzumuten, täglich verschwitzt an Kneipen vorbeizuhasten, in denen übergewichtige Genussmenschen beieinander sitzen und sich bei einem alkoholischen Getränk oral an Giftstängeln berauschen und der Gemütlichkeit und der Geselligkeit frönen. Mit der Sünde kommt das Verderben und das ewige Leben erreicht nur der Tugendhafte. (...)

Egal ob es sich um das Rauch- oder das Minarettverbot handelt – das Votum der Mehrheit scheint nicht unbedingt die Interessen der Minderheiten ausreichend zu respektieren. Je emotionsgeladener ein Thema ist, desto größer ist auch die Gefahr, dass interessengesteuerte Rattenfänger die Mehrheit gegen die Minderheit ausspielen. Warum stören Minarette den Schweizer? Warum stören Raucherkneipen den Bayern? Muss man alles verbieten, was subjektiv als störend empfunden wird? Wenn sich Plebiszite zu modernen Scherbengerichten entwickeln, in denen Minderheiten ihre Rechte entzogen werden, so ist dies der endgültige Sieg der Intoleranz über die Toleranz. Welcher aufgeklärte und tolerante Bürger käme schließlich auf die Idee, Dinge, die ihn stören, einfach verbieten zu wollen? (...)

Zuerst holten sie die Raucher.
Ich schwieg, denn ich rauchte ja nicht.
Dann holten sie die Fettleibigen.
Ich schwieg, denn ich war ja schlank.
Dann holten sie die Trinker.
Ich schwieg, denn ich trank ja nicht.
Dann holten sie mich …
nur da war niemand mehr da, der protestieren konnte.


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Anmerkung: Man kann zum Thema Rauchen stehen, wie man will - es ist ein perfektes Beispiel dafür, wie politische Kraft auf reichlich albernen Nebenschauplätzen gebunden wird, während sie auf den wirklichen Baustellen - die unsere Zukunft nämlich wirklich massiv bedrohen - fehlt.

Wieso gibt es keine Initiativen und Volksbegehren zu den viel dringlicheren Problemen und Fragen unserer Zeit, wie z.B. der Regulierung der Finanzmärkte, der Zerstörung des Sozialstaates, der immer weiter fortschreitenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die mit einer immer weiter zunehmenden Ausbeutung der Natur und der Menschen einhergeht? Wieso schreit niemand laut "Nein", wenn Meldungen wie die aus dem letzten Posting lapidar veröffentlicht werden oder einer der vielen, vielen anderen Hinweise auf den immer deutlicher sichtbar werdenden Zerfall der Gesellschaft?

Das ist rational nicht erklärbar - und wieder einmal muss man eine Verschwörungstheorie bemühen, um diese offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Engagement für eine Sache und dem wirklichen Nutzen für die Bürger (für alle Bürger!) irgendwie sichtbar zu machen. - Dazu reicht es aus, sich vor Augen zu führen, dass beispielsweise diese vollkommen überzogene Anti-Raucher-Hysterie aus neokonservativen Kreisen aus den USA nach Europa geschwappt ist und ebenso wie die neoliberale Ideologie ihre weiten Kreise gezogen hat. Welche Interessen diese Leute vertreten, beweisen sie doch tagtäglich wieder aufs Neue - es sind ihre eigenen, und gewiss nicht die der Völker, ganz sicher nicht die der Gesundheit der Menschen oder die der Natur.

Rauchen schadet der Gesundheit - aber Autofahren tut das auch, riesige Ölteppiche im Ozean erst recht, und radioaktive Abfälle noch viel mehr! Doch wo werden die politischen Kräfte gebunden? Genau dort, wo nicht die Freiheit der Konzerne, sondern die Freiheit der Menschen beschnitten werden kann. - Welch ein unglaublicher, seltsamer Zufall ...

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