Freitag, 5. August 2011

Slowakei entmündigt Sozialhilfeempfänger - und bereitet die zunehmende Diskriminierung der Roma vor

"Die geben doch eh alles für Alkohol und Tabak aus": Mit solchen Klischees müssen sich viele Sozialhilfeempfänger herumärgern. In der Slowakei werden die Vorurteile jetzt Regierungspolitik. Mit einer neuen elektronischen Karte will der Staat kontrollieren, wo und für was die Sozialhilfe verwendet wird - und sogar Tageslimits einführen. (...)

Kurz vor der Einführung sind noch viele Fragen offen, [wie beispielsweise] die nach der konkreten Umsetzung, die nach dem konkreten Tageslimit, selbst die nach dem konkreten Beginn. Und Bürgerrechtler vermuten hinter dem Projekt ohnehin noch einen ganz anderen Gedanken: eine weitere Möglichkeit, die Roma-Minderheit im Land zu diskriminieren. Zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung gehören dieser ethnischen Volksgruppe an, mehr als die Hälfte von ihnen ist nach Informationen des Deutschland-Radios auf Sozialhilfe angewiesen.

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Anmerkung: Wohin wir auch schauen in Europa: Das faschistoide Gedankengut breitet sich immer weiter aus und nimmt immer bedrohlichere Gestalt an - sowohl in Wahlergebnissen und den Äußerungen einzelner Akteure, als auch in gesetzlichen Vorgaben. Ob in Ungarn, in den Niederlanden, in Skandinavien, Italien, der Schweiz oder auch Frankreich und Deutschland ... fast überall wird die Drangsalierung von armen Menschen und sozialen oder ethnischen Minderheiten vorangetrieben - und dies beileibe nicht nur von rechtspopulistischen Parteien und deren Vertretern.

Eine ganz ähnliche Entwicklung hat Europa schon einmal erdulden müssen - auch damals wurde der Druck auf die zunehmende Anzahl der Armen und Arbeitslosen, auf ethnische Minderheiten und ganz besonders auf Juden immer weiter verstärkt - mit den bekannten katastrophalen Folgen. Heute gibt es kaum Juden mehr in Europa - der Hass konzentriert sich also diesmal auf die Bevölkerungsgruppe der Muslime. Die auch damals vorherrschenden "Begleitumstände" wie eben die zunehmende Schikanisierung der Armen und Arbeitslosen sowie anderer ethnischer Minderheiten ist indes kaum unterscheidbar zur Situation in den finsteren 20er, 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Dieser perfide Vorstoß aus der Slowakei ist ein weiteres Mosaiksteinchen in der schleichenden Faschistisierung Europas, die uns aktuell wieder droht. Da nützen auch die Beschwichtigungsversuche der Süddeutschen nichts, die in ihrem Text fast krampfhaft versucht, ähnliche Entwicklungen für Deutschland einfach im Vorfeld auszuschließen. Das darf man getrost als dümmliche Propaganda bewerten.

Es gibt in Deutschland ein grundgesetzliches Verbot der Zwangsarbeit - und dennoch gibt es heute Zwangsarbeit. Es gibt ebenfalls ein gesetzlich garantiertes Bankgeheimnis - das aber für Arme nicht mehr gilt. Es gibt das grundgesetzliche "Recht auf freie Berufswahl" - auch das gilt faktisch längst nicht mehr, denn im Zweifel entscheidet das Amt, welchem Beruf ein Mensch nachgeht oder welchen er erlernt. Des weiteren gibt es ein grundgesetzlich garantiertes, sogar vom Bundesverfassungsgericht jüngst bestätigtes "unverfügbares" Recht auf ein soziales Existenzminimum für jeden Bürger, das aber faktisch außer Kraft gesetzt und sehr wohl "verfügbar" (also sanktionier- bzw. verweigerbar) ist. Derlei Beispiele gibt es hundert-, gar tausendfach.

Vor dem Faschismus schützt uns kein Gesetz mehr. Es ist allein an uns selbst, diesem ekeligen Treiben endlich ein Ende zu setzen und damit aufzuhören, die Schwächeren und/oder vermeintlich "Fremden" in unseren Gesellschaften für die Missstände verantwortlich zu machen, die doch in Wahrheit der Kapitalismus - die Konzerne und die Superreichen - zu verantworten haben.

Es sind nicht die Roma, die Armen, die Muslime, die Ausländer, die Schwarzhaarigen oder die Braunäugigen, die die Verantwortung dafür tragen, dass Du um Deine Besitzstände fürchtest, Angst vor einem Status- oder Arbeitsplatzverlust hast, keinen neuen Arbeitsplatz findest oder ständig zunehmende Unsicherheit und Lohneinbußen hinnehmen musst. Die Schuldigen findest Du hier - es sind diejenigen, die sich auf Kosten aller anderen zunehmend maßlos und rücksichtslos bereichern. Und natürlich gehören die willigen Helfershelfer aus der Politik dazu, die mit vielen Geschenken und finanziellen Zuwendungen bedacht werden, wenn sie die Interessen der Superreichen als die Interessen der Bevölkerung verschleiern und sie gnadenlos verfolgen.

Wer statt dessen die Schwächsten der Gesellschaft oder die "Fremden" zu seinen "Feinden" erklärt, ist von Ghettos, Konzentrationslagern und Deportationen nicht mehr weit entfernt.

"Wehret den Anfängen!" hieß es einstmals, in Erinnerung an die furchtbaren Schrecken des Faschismus. Heute muss man eher konstatieren: "Wehret der Vollendung!" - denn die Anfänge sind längst wieder bittere Realität.

Nachtrag 06.08.11: Die taz berichtet: "Der Bürgermeister der nordrumänischen Industriestadt Baia Mare, Catalin Chereches, hat beschlossen, drei Wohnblocks, in denen Roma leben, mit einer 1,80 m hohen Mauer zu umgeben. (...) / 'Was wir vorhaben, ist nur eine Schutzmaßnahme', erklärte Chereches am Mittwoch bei einer Diskussion mit Vertretern von Romaorganisationen und dem Leiter der Bukarester Antidiskriminierungsbehörde. Der Bürgermeister versuchte den Eindruck zu erwecken, der Vorschlag zur Errichtung der Mauer sei auf die Roma selbst zurückzuführen. (...) / (...) Die in einigen überregionalen Bukarester Zeitungen veröffentlichten Berichte über die geplante Mauer in Baia Mare löste eine wahre Explosion von Leserbriefen aus. Darin wird die Maßnahme fast einhellig begrüßt und sämtlichen Ortschaften, in denen Roma wohnen, als nachahmungswürdiges Beispiel empfohlen. Einige der Briefe strotzen von rassistischen Anfeindungen und beinhalten direkte Aufforderungen zur Ausrottung des 'Zigeunergesindels'. 'Die Mauer sollte 4 Meter hoch sein und mit unter elektrischem Strom stehenden Stacheldraht abgesichert werden', forderte ein Zeitungsleser."

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