Dienstag, 24. Januar 2012

EU-Datenschutzverordnung: Das Grundgesetz wird außer Kraft gesetzt

Verfassungsrichter Johannes Masing äußert in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung die Befürchtung, dass mit der geplanten Neuregelung des Datenschutzes auf EU-Ebene nationale Grundrechte nicht mehr anwendbar seien. Das Verfassungsgericht selbst müsse seine Kontrollfunktion in wesentlichen Bereichen aufgeben, in denen es "weit über die Grenzen hinaus als vorbildlich geltende freiheitliche Strukturen geschaffen hat", mahnt der Jurist.

(...) Anders als eine Richtlinie wirke [die Verordnung] unmittelbar, lasse keine Umsetzungsspielräume und verdränge jede Form bereits in Mitgliedsstaaten geschaffenen einschlägigen Rechts. Dies beziehe sich sogar auf das Grundgesetz.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Sie machen ernst. Es ist ja nicht so, dass das Grundgesetz aktuell noch irgendeine maßgebliche Rolle in diesem Staat spielt - aber zumindest theoretisch ist es noch in Kraft und die daraus resultierenden Rechte sind - ebenfalls theoretisch - einklagbar. Mit dieser neuen Verordnung zum "Datenschutz" (der Begriff ist an dieser Stelle nur noch als Neusprech wahrnehmbar) wäre die neoliberale Bande diesen Makel endlich los und sie könnte nach Lust und Laune Bürgerrechte einschränken, Daten sammeln und Menschen überwachen.

Bezeichnend ist auch der höchst undemokratische Weg, auf dem die Bande uns mit dieser Verordnung beglücken will: Irgendeine nicht gewählte "Kommissarin" legt sie irgendeiner nicht geählten Kommission vor, und die entscheidet dann, ob und wie sie in Kraft tritt. Diese EU-Strukturen sind himmelschreiend skandalös.

Unsere lieben "Volksvertreter" werden sich wie gewohnt mit Unschuldsmiene vor die Kameras stellen und ungeniert behaupten: "Daran können wir leider nichts ändern - diese Vorgaben aus Brüssel müssen wir umsetzen ..." - Der Protest gegen diese geplanten Machenschaften muss unbedingt noch viel, viel lauter werden! Es kann doch nicht angehen, dass ganz Europa sehenden Auges in eine solche Diktatur steuert!

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Gähn...
1. Schon mal einen Blick in die neue Verordnung geworfen, bevor hier das Ende des Datenschutzes an die Wand gemalt wird? Nur mal ein Hinweis: so gut wie alle Datenschuetzer loben den Entwurf, waehrend die Wirtschaft ihn unisono als zu weitgehend kritisiert.

2. Europarecht verdrängt nationales Recht. Das ist schon so seit 50 Jahren und hat auch Sinn, damit alle 27. Mitgliedstaaten die europäischen Gesetze gleichmäßig anwenden.

3. Die Kommission ist nicht "irgendeine", sondern muss vor Amtsantritt vom Europäischen Parlament gewählt/besteatigt werden. Und das duerfen Sie (mit-)waehlen. Nicht anders als in Deutschland.

4. Die Kommission macht nur den Verordnungsentwurf. Das Europäische Parlament und der Rat, in dem die deutsche Bundesregierung sitzt, haben das Gesetz jetzt in der Hand.

Ich weiss, die Prozesse der EU sind kompliziert. Ein bisschen rhetorische Zurueckhaltung, wenn man's noch nicht ganz durchschaut, faend ich super!

Charlie hat gesagt…

Lieber Anonymer,

wenn das für Dich so völlig in Ordnung geht, wundert mich nicht mehr allzu viel in diesem Land. Das tut es angesichts der üblichen Wahlentscheidungen vieler Bürger zwar sowieso nicht, aber manchmal ist eine solche Bestätigung auch ganz gut. Danke dafür.

Zu den pseudo-"demokratischen" Strukturen der EU - insbesondere was Kommissionen und das EU-"Parlament" betrifft - kannst Du dir übrigens einen ersten Überblick bei Wikipedia verschaffen. Das ist dort auch für Laien recht anschaulich erklärt.

Viele Grüße
Charlie

Mo331 hat gesagt…

Der Knabe sollte mal den Habermas lesen:

http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/august/wie-demokratisch-ist-die-eu

Anonym hat gesagt…

Liebe Leute,
inhaltliche Kritik, bitte!

Was gibt es inhaltlich auszusetzen an der neuen Datenschutzverordnung? Z.B. dass in Zukunft U.S.-amerikanische Unternehmen wie google und facebook sich an den europäischen Datenschutz halten müssen, wenn sie hier ihre Dienste anbieten und nicht wie bisher sagen können "Unsere Server stehen aber woanders, Pech gehabt"?

Und was ist falsch daran, dass Europarecht das nationale Recht verdrängt? Wie sonst soll ein Staatenverbund mit 27 Ländern funktionieren, wenn jedes Land, wenn's ihm nicht passt, die einheitlichen Regeln einfach nicht anwendet???

Vielleicht noch mal: Europäische Gesetze (Richtlinien/Verordnungen) werden nicht von irgendwelchen "Bürokraten" aus der Kommission beschlossen. Die Kommission/Exekutive legt einen Entwurf vor (so wie in D das auch in den allermeisten Fällen die Ministerien/Exekutive machen). Das hat sie heute mit dem Entwurf für die Datenschutzverordnung gemacht. Jetzt beraten das EP und der Rat/Legislative darüber und werden es dann irgendwann, wenn sie sich einig sind, zusammen als Gesetz beschließen. So wie in D auch Gesetze vom Bundestag als Parlament und dem Bundesrat als Vertreter der Länderinteressen beschlossen werden. Da gibt es im Einzelnen kleinen Unterschiede. Aber deshalb von der EU als "Diktatur" zu sprechen, finde ich einfach krass unseriös.

Ich bin insgesamt ziemlich froh, dass wir die EU errichtet haben, selbst wenn's nicht immer perfekt läuft. Was ist euch bitte lieber? Wieder schön 27 unterschiedliche Nationalstaaten, die wie anno dazumal gegen- statt miteinander arbeiten?

Was soll sich bitte konkret ändern, damit die EU keine "Diktatur", sondern aus eurer Sicht eine Demokratie wird?

PS: Und bitte nicht 100 Seiten Habermas, sondern kurz und knapp in eigenen Worten.

Bitte, interessiert mich wirklich! DANKE!!

Charlie hat gesagt…

Lieber Anonymer,

das Thema EU und deren demokratische Legitimation und Struktur ist doch etwas zu komplex, um es in Blogkommentaren zu diskutieren. Wenige Zeilen reichen dazu nicht aus - Du musst schon etwas mehr Zeit und Mühe investieren, um das etwas besser zu verstehen. Der Hinweis auf den einführenden Text von Habermas war da völlig richtig.

Generell finde ich die Idee eines vereinten Europas auch grandios - eine Rückkehr zu nationalstaatlicher Eigenbrötlerei ist gewiss keine zu begrüßende Option (zumal dabei auch stets die Gefahr bestünde, in nationalistische Tendenzen zu verfallen). In der jetzigen Form aber ist die EU ein vollkommen perverses, menschenfeindliches, rein auf Wirtschaftsinteressen bezogenes und undemokratisches Konstrukt, das zudem - wie man aktuell sehr gut erkennen kann - in dieser Form nicht funktioniert.

Es ist de facto eine Finanzdiktatur, in der wir leben - und die geschaffenen EU-Strukturen zementieren diese Diktatur. Die in Rede stehende "Datenschutz"-Verordnung ist nur ein kleiner Aufhänger für diese Feststellung. Zu dieser Verordnung ist aber festzustellen: Du wirfst da zwei verschiedene Vorgänge durcheinander, denn die zuständige Kommissarin hat zwei verschiedene Verordnungen vorgestellt (ein paar Details dazu hier). Wenn wir dort einen Satz lesen müssen wie diesen: "Die deutsche Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) äußerte sich positiv zu den beiden Vorschläge der EU-Kommission.", sollten schon lange alle Alarmglocken läuten. Merke: Zustimmung aus einer rechtsextremen Partei wie der CSU bedeutet niemals etwas Gutes.

Die weitere Kritik ist ja den oben bereits verlinkten Beiträgen zu entnehmen. Details zu der Verordnung findest Du hier - entscheide selber, ob Du das für eine tolle Sache hältst oder nicht. Ich finde: Die Verordnung an sich ist eine Lach- und Nullnummer - die Auswirkungen, die sie darüber hinaus vor allem auf die Gültigkeit des Grundgesetzes in diesem Land hat, finde ich hingegen mehr als nur bedenklich.

Liebe Grüße,
Charlie