Sonntag, 5. Februar 2012

Song des Tages: Sei wachsam!




Ein Wahlplakat zerrissen auf dem nassen Rasen,
Sie grinsen mich an, die alten aufgeweichten Phrasen,
Die Gesichter von auf jugendlich gemachten Greisen,
Die dir das Mittelalter als den Fortschritt anpreisen.
Und ich denk mir, jeder Schritt zu dem verheiß'nen Glück
Ist ein Schritt nach ewig gestern, ein Schritt zurück.
Wie sie das Volk zu Besonnenheit und Opfern ermahnen,
Sie nennen es "das Volk", aber sie meinen Untertanen.
All das Leimen, das Schleimen ist nicht länger zu ertragen,
Wenn du erst lernst zu übersetzen, was sie wirklich sagen:
Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
Halt du sie dumm – ich halt sie arm!

Sei wachsam,
Präg dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein! Pass auf, dass du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam,
Merk dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!

Du machst das Fernsehen an, sie jammern nach guten, alten Werten.
Ihre guten, alten Werte sind fast immer die verkehrten.
Und die, die da so vorlaut in der Talk-Runde strampeln,
Sind es, die auf allen Werten mit Füßen rumtrampeln:
Der Medienmogul und der Zeitungszar,
Die schlimmsten Böcke als Gärtner, na wunderbar!
Sie rufen nach dem Kruzifix, nach Brauchtum und guten Sitten,
Doch ihre Botschaft ist nichts als Arsch und Titten.
Verrohung, Verdummung, Gewalt sind die Gebote,
Ihre Götter sind Auflage und Einschaltquote.
Sie biegen die Wahrheit und verdrehen das Recht:
So viel gute alte Werte, echt, da wird mir echt schlecht!

Sei wachsam ...

Es ist 'ne Riesenkonjunktur für Rattenfänger,
Für Trittbrettfahrer und Schmiergeldempfänger,
'ne Zeit für Selbstbediener und Geschäftemacher,
Scheinheiligkeit, Geheuchel und Postengeschacher.
Und die sind alle hochgeachtet und sehr anerkannt,
Und nach den schlimmsten werden Straßen und Flugplätze benannt.
Man packt den Hühnerdieb, den Waffenschieber lässt man laufen,
Kein Pfeifchen Gras, aber 'ne ganze Giftgasfabrik kannst du kaufen.
Verseuch die Luft, verstrahl das Land, mach ungestraft den größten Schaden,
Nur lass dich nicht erwischen bei Sitzblockaden!
Man packt den Grünfried, doch das Umweltschwein genießt Vertrau'n,
Und die Polizei muss immer auf die Falschen drauf hau'n.

Sei wachsam ...

Wir haben ein Grundgesetz, das soll den Rechtsstaat garantieren.
Was hilft's, wenn sie nach Lust und Laune dran manipulieren,
Die Scharfmacher, die immer von der Friedensmission quasseln
Und unterm Tisch schon emsig mit dem Säbel rasseln?
Der alte Glanz in ihren Augen beim großen Zapfenstreich,
Abteilung kehrt, im Gleichschritt Marsch, ein Lied und heim ins Reich!
„Nie wieder soll von diesem Land Gewalt ausgehen!“
„Wir müssen Flagge zeigen, dürfen nicht beiseite stehen!“
„Rein humanitär natürlich und ganz ohne Blutvergießen!“
„Kampfeinsätze sind jetzt nicht mehr so ganz auszuschließen.“
Sie zieh'n uns immer tiefer rein, Stück für Stück,
Und seit heute früh um fünf Uhr schießen wir wieder "zurück"!

Sei wachsam ...

Ich hab Sehnsucht nach Leuten, die mich nicht betrügen,
Die mir nicht mit jeder Festrede die Hucke voll lügen,
Und verschon mich mit den falschen Ehrlichen,
Die falschen Ehrlichen, die wahren Gefährlichen!
Ich hab Sehnsucht nach einem Stück Wahrhaftigkeit,
Nach 'nem bisschen Rückgrat in dieser verkrümmten Zeit.
Doch sag die Wahrheit und du hast bald nichts mehr zu lachen,
Sie werden dich ruinier'n, exekutier'n und mundtot machen,
Erpressen, bestechen, versuchen, dich zu kaufen.
Wenn du die Wahrheit sagst, lass draußen den Motor laufen,
Dann sag sie laut und schnell, denn das Sprichwort lehrt:
Wer die Wahrheit sagt, braucht ein verdammt schnelles Pferd.

Sei wachsam,
Präg dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein! Pass auf, dass du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam,
Merk dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!

Anmerkung: Dieser Song stammt ursprünglich von Reinhard Mey und lässt an Deutlichkeit keine Wünsche offen - fast jede Textzeile brüllt mir förmlich aus der Seele. Die hier verlinkte Version ist bei youtube nicht weiter kenntlich gemacht - es drängt sich aber der Verdacht auf, dass sie von der Kleingeldprinzessin stammt. Hier liegt einer der seltenen Fälle vor, in denen ich die Coverversion dem Original vorziehe - ich denke, eindringlicher könnte man dieses Lied nicht interpretieren.

Urteilt selbst - aber schreibt Euch den Text hinter die Ohren. Das gilt insbesondere für die Kommentatoren und Mitleser aus dem rechten Spektrum, die den im Song benannten Rattenfängern schon wieder auf den Leim gegangen sind. Habt ihr denn immer noch nicht verstanden, dass diese Leute Euch nur benutzen? - Manchmal ist es wirklich zum Verzweifeln ...

2 Kommentare:

Lisa hat gesagt…

Ich hab das Lied jetzt viermal angehört und eine Gänsehaut nach der anderen gekriegt. Wahnsinn, diese Stimme und dieser Text! Echt beindruckend!!!!

Dede hat gesagt…

Ich glaub das kam genau zur richtigen Zeit. Ich hör sonst andre Musik, aber das musste sein, es passt einfach zu gut. Schon erstaunlich daß der alte Mann SO EIN LIED schreibt. Oder ist das schon älter?