Dienstag, 6. März 2012

Umverteilung: Armut dient als Drohkulisse

Der Wissenschaftler Christoph Butterwegge forscht seit Jahren am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Kölner Universität zum Thema Armut. Er sieht klare Tendenzen zur Verbreiterung der sozialen Kluft in der Bevölkerung. (...)

Butterwegge: Die Armen werden auch deshalb ärmer und zahlreicher, weil die Reichen von steuerlichen Erleichterungen profitieren. Ich vertrete die These, dass Armut gewollt ist, weil sie als Disziplinierungsinstrument und Drohkulisse dient. Armut zeigt denjenigen, die noch nicht arm sind: Wenn du den Verhaltensmaßregeln unserer Hochleistungs- und Konkurrenzgesellschaft zuwiderhandelst, landest du im Extremfall unter den Rheinbrücken.

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Anmerkung: Prof. Butterwegge wird schon seit so vielen Jahren nicht müde, seine erschreckenden Erkenntnisse und Prognosen, die sich ebenfalls seit Jahren stets aufs Neue bestätigen, immer und immer wieder vorzutragen und zu publizieren - vollkommen ohne spürbare politische oder mediale Resonanz. Allein die Fragestellungen des Interviewers in diesem Beispiel zeigen schon deutlich, dass dieser "Qualitätsjournalist" schlicht keine Ahnung von den Themen hat, zu denen er Butterwegge befragt - oder aber bewusste Ignoranz an den Tag legt.

Dass massenhafte Armut politisch gewollt ist, ist ja offensichtlich. Die Mär von der Alternativlosigkeit glaubt inzwischen (hoffentlich) auch der letzte blöde Stammtischbruder nicht mehr. Das Versagen der Massenmedien ist bei diesem Thema allerdings ganz besonders fatal. Butterwegge erklärt, wieso:

"Vielen Menschen ist bewusst, dass die soziale Ungleichheit wächst und die Gesellschaft immer ungerechter wird. Daraus kann die Bereitschaft zum Protest erwachsen, denkt man etwa an die Occupy-Bewegung. Armut führt aber nicht zwangsläufig zur Rebellion der Betroffenen. Denn die haben ganz andere Sorgen. Sie müssen sich beispielsweise darum kümmern, am 20. des Monats noch ein warmes Essen auf den Tisch zu bringen. Eher könnte die Mittelschicht erkennen, dass sie zwischen Arm und Reich zerrieben zu werden droht, wenn die Städte auseinanderfallen. Die Angst vor sozialem Abstieg führt oft zur stärkeren Abgrenzung nach unten, etwa gegenüber Zuwanderern. Man denke nur an die Sarrazin-Debatte. Besser würden die Angehörigen der Mittelschicht für eine Umverteilung des Reichtums eintreten. Denn für alle Gesellschaftsmitglieder ist genug da." [Hervorhebung von mir.]

Es liegt auf der Hand, dass eine Mittelschicht, die einer so beängstigenden Drohkulisse der Armut, einer von den Medien gewissenhaft betriebenen Propaganda gegen Migranten, Erwerbslose und den Sozialstaat und generell einer grotesken, verzerrenden, teilweise verlogenen politischen und wirtschaftlichen Berichterstattung ausgesetzt ist, schnell die falschen Schlüsse ziehen kann. Die Mittelschicht trägt allerdings auch selber Verantwortung - es steht schließlich jedem halbwegs intelligenten Menschen frei, sich zu informieren und hinter die alberne, nur allzu bekannte Fassade der neoliberalen Propaganda zu blicken. Schwierig ist das heutzutage nicht mehr.

Vielleicht ist die Realität bzw. das, was in naher Zukunft daraus werden mag, noch viel bedrohlicher als der Hartz-Terror und die daraus resultierende Armut? Wenn man den Neoliberalismus zuende denkt, steht am Ende noch nicht einmal mehr ein Hartz-Almosen, sondern Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit, völlige Ausgrenzung und Tod. Derlei Befürchtungen können wohl dazu führen, dass bei einigen Menschen niederste Instinkte geweckt werden - besonders dann, wenn sie von Politik und Medien befeuert werden. Ein Blick in die 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts reicht aus, um ein wahrlich erschreckendes Beispiel dafür zu sehen.


(Titelseite des antisemitischen Nazi-Hetzblattes "Der Stürmer" von Juni 1943. Unter dem Bild rechts, das mit "Der Satan" überschrieben ist, steht: "Wenn der Jude siegt, geht die Menschheit zugrunde!" Zu dieser Zeit hatte das faschistische Deutschland bereits ganz Europa mit Terror, Krieg, Zerstörung und Tod überzogen und die massenhafte Verfolgung, Deportation, Folter und bestialische Ermordung jüdischer und anderer Menschen war in vollem Gang.)

6 Kommentare:

Lisa hat gesagt…

Von dem Butterwege hab ich schon oft was im Netz gelesen, unbekannt ist der ja wirklich nicht. Aber es stimmt: Es ist irgentwie egal ob der was sagt oder schreibt oder nicht, es hört sowieso keiner auf ihn.

Was du über die nahe Zukunft schreibst macht mir mal wieder extreme Angst. Es ist doch jetz schon nicht möglich über die Runden zu kommen. Wie soll das denn noch schlimmer werden?? Das KÖNNEN sie nicht machen.

Ich hab mal in der Schule gelernt: WEHRET DEN ANFÄNGEN. Gilt das denn plötzlich nicht mehr??

jakebaby hat gesagt…

Daraus 'nur' mal "die Juden sind unser Unglück"
(one of my Favorites:) heute sinds (ausser Juden) 'Andere ...
sind wir doch weiterhin addierend auf dem altbewaehrten Kurs.
Feindbider ... Inter/National

Dede hat gesagt…

Puh. Da mußte ich dreimal schlucken nach dem Lesen. Ich glaube so langsam werden mir die Zusammenhänge klarer! Ich hab mir lange nicht erklären können woher dieser Judenhaß damals wohl gekommen ist, aber so langsam fange ich an das zu verstehen. Also, zu VERSTEHEN, und nicht gutzuheißen!!

Wenn ich mir anschaue wie manche Leute heute über Moslems reden... das hat schon gruselige Ähnlichkeiten. :-(

Und was der Professor da über die Armut als Drohkulisse schreibt dtimmt ja absolut. Das ist ein Hauptthema bei uns auf der Arbeit. Was wäre nzw wird sein wenn man den Job verliert oder die Firma pleite geht usw. Das Wort HARTZ 4 ist etwas vor dem alle (auch ich) extreme Angst haben. Ich glaube aber daß ich in meiner Firma der einzigste bin (jedenfallls der einzigste der das auch sagt) daß Hartz 4 genau aus diesem Grund eingeführt worden ist (unter anderem)-

Es ist schon zum verzweifeln.

Charlie hat gesagt…

Natürlich gilt das noch, Lisa - leider war dieser Spruch "Wehret den Anfängen" für die maßgeblichen Leute aus der Politik aber eben nichts weiter als das - eben ein Spruch. Sie benutzen ihn heute immer noch und sind dabei doch schon weit über diese Anfänge hinaus - durch ihre eigenen Taten.

Charlie hat gesagt…

Dede, ich finde es sehr gut, dass Du diese Gedanken bzw. Erkenntnisse gegenüber Kollegen und Freunden auch tatsächlich aussprichst. Nur so kann man ja erreichen, dass möglichst viele Menschen zumindest mal beginnen darüber nachzudenken.

Verzweifeln sollte man aber nicht - auch wenn das zugegebener Maßen manchmal sehr schwer ist.

Anabelle hat gesagt…

Ich glaube, ich werde es nie verstehen, wie die Faschisten damals so grunddämliche rassistische Propaganda publizieren konnten, während es doch allen vollkommen klar gewesen sein muss, dass der Terror vom eigenen Regime ausging - dass Juden also die Opfer und nicht die Täter waren. Analog würden diese Menschenfeinde heute schreiben: "Die Migranten / Arbeitslosen / Kranken / Behinderten ... sind unser Unglück" - und genau das geschieht ja auch, wenn auch nicht in einer ganz so plakativen Weise. Das vielbemühte Wort "Wehret den Anfängen", das Lisa bemüht, ist tatsächlich nichts weiter als eine Farce.

Armut ist jedenfalls ein Thema, das zum Kapitalismus gehört wie das Amen in der Kirche. Ohne massenhafte Armut kein Kapitalismus und Superreichtum. Dass diese Armut nun aus den sog. Entwicklungsländern auch in die Kernregionen des Kapitalismus selbst schwappt und sich dort breit macht, kann nur jemanden verwundern, der den Kapitalismus nicht verstanden hat.

Banken sind nicht systemimmanent, obwohl die Profiteure, denen die Banken gehören, das ständig behaupten (welch ein Wunder). Armut aber ist es. Es bedarf noch nicht einmal eines ausdrücklichen politischen Willens (obwohl der bei den Blockparteien CDU, FDP, SDP und Grünen sicher vorhanden ist), denn massenhafte Armut stellt sich von ganz allein ein, wenn "die Märkte" regieren. Dass dies keine neue Erkenntnis ist, das zeigt u.A. das Narrenschiff seit geraumer Zeit recht anschaulich.

Für die meisten Menschen draußen im Land dürften diese Binsenweisheiten aber nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln sein. So war es damals und es hatte den Faschismus, den schlimmsten Krieg seit Anbeginn der Menschheit und den größten und brutalsten Massenmord der Menschheitsgeschichte zur Folge. Was wird wohl diesmal die Folge sein?

Die Antwort auf diese Frage will ich wirklich nicht wissen ....