Dienstag, 25. September 2012

"Wo ist der Tucholsky, der diesem Journalismus sein kümmerliches Geschreibsel um die Ohren haut?"


Merkel schwimmt auf einer medialen nationalbesoffenen Welle / Kollegen, ihr habt versagt!

"Europe’s Most Dangerous Leader" hat das britische Magazin New Statesman Angela Merkel unlängst genannt, und im Blattinnern avancierte die deutsche Kanzlerin gleich zur "gefährlichsten Person der Welt".

Das Resumee der gut recherchierten Story liest sich am Ende dann so: "Auf Grund ihres Realitätsverlustes und ihrer Versessenheit auf Austeritätspolitik zerstört Merkel das europäische Projekt, sie stürzt Deutschlands Nachbarn in Armut und die Welt in eine globale Depression. Man sollte sie stoppen." (...)

Man kann [in den deutschen Medien] aufs Schönste nachvollziehen, wie Medien "gleichgeschaltet" werden, ohne dass es jemanden braucht, der sie gleichschaltet. Weil den Journalisten ja nicht einmal mehr auffällt, dass sie Propaganda betreiben, weil sie doch "nur" Formulierungen benutzen, die längst Common Sense sind.

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Anmerkung: Dieser für die taz doch ungewöhnlich scharfe Kommentar des Österreichers Robert Misik greift das tatsächliche Problem der gleichgeschalteten Massenmedien in Deutschland zwar auf, vernebelt aber auch die Tatsache, dass dieses Problem in anderen europäischen Ländern natürlich ebenso anzutreffen ist. Auch britische Massenmedien sind keine geringeren Propagandaschleudern, und wenn ich beispielsweise des Ungarischen mächtig wäre, stünden mir beim Lesen ungarischer Zetungen vermutlich nicht nur die Haare zu Berge.

Dennoch ist dieser Text ein seltenes Juwel in der deutschen Presselandschaft. Dem Schlusssatz Misiks kann ich mich nur uneingeschränkt anschließen: "Und wo, verdammt, ist der Tucholsky, der diesem Journalismus sein kümmerliches Geschreibsel um die Ohren haut?" - Kurt Tucholsky, das war dieser Ausnahmejournalist und -Schriftsteller, der in der Weimarer Zeit so pointierte Passagen geschrieben hat wie diese:

"Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder. / (...) Die [Feld-]Gendarmen aller Länder hätten und haben Deserteure niedergeschossen. Sie mordeten also, weil einer sich weigerte, weiterhin zu morden. Und sperrten den Kriegsschauplatz ab, denn Ordnung muss sein, Ruhe, Ordnung und die Zivilisation der christlichen Staaten." (aus: "Der bewachte Kriegsschauplatz", in: "Die Weltbühne", 04.08.1931, Nr. 31)

Es ist zu vermuten, dass ein Schreiber wie Tucholsky heute in keinem Massenmedium Erwähnung fände - er wäre wohl auf Kleinstverlage und das Internet angewiesen. Es ist wenig beruhigend, dass es beides vorerst noch gibt: Gerade in Bezug auf das Internet sind die internationalen Bemühungen um eine Totalüberwachung und damit strikte Zensur ja in vollem Gange.

2 Kommentare:

darkmoon hat gesagt…

Beim Lesen dieses verlinkten NTV-Artikels über die geplante Überwachung des Internets kommt man aus dem Kotzen gar nicht mehr raus. Ich kann mir nicht helfen aber es wird immer offensichtlicher, daß diese Bande versucht, totalitäre Strukturen zu schaffen.

Lest das, Leute und denkt konsequent zuende was das bedeuten würde.

P.S.: Schön daß du zurück bist!!!! -)

Charlie hat gesagt…

Das Brechgefühl, das beim Lesen unweigerlich entsteht, muss ich leider bestätigen. Letzten Endes ist das ACTA 3.0 - und auch der "Deutsche Juristentag" zieht fleißig am selben Strang, wie ich heute bei Fefe gelesen habe.

Brave new world ...

P.S.: Ich glaube, ich freue mich noch weitaus mehr als Du, dass ich endlich wieder online bin ... ;-)