Noch ein Tag! schreien die Hähne
Mit ihren Posaunen aus Bronze
Die zerlumpte Nacht verjagend.
Noch ein Tag! sagen die Blumen
Und glätten für des Mittags Besuch
Ihre roten Dolden
Noch ein Tag! verrät deine Aorta
Meinem horchenden Ohr
Das Orakel auf dem Grund deiner Brust
Noch ein Tag! - Aber der Abend naht
Wer wetzt die Sense
Und lässt die Rosen bluten auf dem Tisch?
Unter der Lawine des Mondes
Durch dein von Strahlen umkröntes Haupt
Seh ich schon deinen Totenschädel.
(Claire Goll [1891-1977], in: "Versteinerte Tränen. Gedichte", 1952)
Anmerkung: Und so retten wir uns scheinbar von Tag zu Tag - stets mit dem Wissen um die deutlich drohende Endlichkeit unserer gezielt und gewollt zugrunde gehenden Welt, die wir aber genauso konsequent von Tag zu Tag verleugnen. Der Aufschub wird nicht allzu lange andauern, fürchte ich.
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