Dienstag, 5. Mai 2015

Realitätsflucht (20): Arcania


Wohl kein anderes Spiel des Rollenspiel-Genres ist so verrissen und geschmäht worden wie mein heutiges Fluchtziel "Arcania" aus dem Jahr 2010. Zur Erklärung muss ich kurz ausholen: Es gab von 2001 bis 2008 die äußerst erfolgreiche und ungewöhnliche "Gothic"-Reihe (Teile 1 bis 3) aus dem Hause Piranha Bytes, die von der Firma JoWooD vertrieben wurde. Nachdem man sich 2009 getrennt hatte, verblieben die "Rechte" an der Reihe aus mir unbekannten Gründen zunächst bei der Vertriebsfirma JoWooD, so dass die ursprünglichen Entwickler keine Fortsetzung schaffen durften (ein herzlicher Gruß vom kapitalistischen Bullshit-Bingo der "Verwertungs"-Rechte) und dafür die eng an die "Gothic"-Welt anschließende und wiederum erfolgreiche "Risen"-Reihe in Angriff nahmen. Parallel dazu beauftragte JoWooD ein völlig neues Entwicklerstudio, nämlich Spellbound Entertainment, mit der Fortsetzung der "Gothic"-Reihe: So entstand das Spiel "Arcania", das den unpassenden und für den kompletten Misserfolg wohl hauptverantwortlichen Untertitel "Gothic 4" trägt.

Soviel zur verworrenen Entstehungsgeschichte dieses Spieles, das mit "Gothic" allerdings nichts zu tun hat, da es sich um ein völlig anderes Konzept handelt: "Arcania" ist ein Action-Rollenspiel, das streng linear aufgebaut ist und daher eher Spielen wie "Divinity 2", "Venetica" oder "The Witcher 2" ähnelt. Wer auch immer auf die absurde Idee gekommen ist, dieses Spiel "Gothic 4" zu nennen, kann nicht ganz bei Trost gewesen sein oder hat den erwartbaren Misserfolg minutiös geplant.

Dabei ist das Spiel - wenn man es eben nicht mit "Gothic" vergleicht - keineswegs schlecht, sondern ein sehr solider Vertreter seines Genres. Es ist zwar - selbst im höchsten der vier wählbaren Schwierigkeitsgrade - leider zu leicht und man merkt ihm an, dass es einerseits "neue Märkte" erschließen sollte (jeder auch noch so unerfahrene Anfänger sollte es problemlos durchspielen können) und andererseits den Sprung vom reinen PC- zum Konsolenspiel (also der Plattform für Kinder sowie erwachsene Dumpfbacken) bieten sollte. Ein solches Konzept tut keinem Spiel gut. Trotzdem macht es Spaß, wenn man reine Ablenkung ohne große Herausforderungen in einer zeitgemäßen, sehr hübsch gestalteten Fantasywelt sucht.

Zur Geschichte will ich hier nicht viel schreiben - wer sich dafür interessiert, kann diese beispielsweise im oben verlinkten Wikipedia-Text nachlesen. Selbstverständlich geht es auch hier darum, dass der (namenlose) Held das Land Argaan vor dem drohenden Untergang retten muss und auf seinem Weg unzählige Quests zu erledigen hat, die einerseits die Handlung vorantreiben und den Helden andererseits immer stärker werden lassen. Wie gewohnt gibt es Lernpunkte, die man einfach im Menü auf verschiedene Fähig- und Fertigkeiten verteilen kann, und ebenfalls wie gewohnt kann man seine Spielfigur zu einem Schwert- oder Axtkämpfer, zu einem Fernkämpfer mit Bogen oder Armbrust oder zu einem Magier entwickeln - oder auch zu einer wilden Mixtur daraus. Es gibt im Spiel jede Menge besonderer Ausrüstungsgegenstände wie Ringe, Amulette, Waffen oder Zaubersprüche, die man finden kann, wenn man die Welt genau durchsucht. Lediglich in Sachen Rüstungen knausert das Spiel ungemein.

Auch das Alchemiesystem ist aus anderen Spielen wohlbekannt: Man sammelt auf seinem Weg Unmengen von Kräutern und anderen Zutaten und kann diese zu nützlichen Tränken verarbeiten, sofern man die entsprechenden Rezepte besitzt. Genauso funktioniert hier das Schmiedesystem: Man benötigt eine Bauanleitung sowie die entsprechenden Zutaten - und schon lassen sich Tränke bzw. Waffen ganz einfach im Inventarmenü herstellen. Einen Alchemietisch oder eine Schmiede muss man dafür nicht aufsuchen. Ich persönlich bedaure das, zumal es offenbar ursprünglich anders konzipiert war, denn es gibt Alchemietische und Schmieden im Spiel, die sich auch benutzen lassen - allerdings kann man dort nichts tun. Genauso verhält es sich mit vielen anderen Gegenständen wie beispielsweise den Wasserfässern (an denen der Held sich in "Gothic" heilen konnte) oder Betten (in denen man, welch Zufall, schlafen und damit die Tageszeit beeinflussen und sich regenerieren konnte). Das ganze wirkt auf mich so, als sei da viel mehr geplant gewesen, was dann aber zugunsten der "Konsolenfreundlichkeit" wieder über Bord geworfen werden musste, damit auch der letzte Depp aus Oberbayern, Brandenburg, dem Emsland oder einem der Berliner Problembezirke weiß, was er tun soll.



Die deutsche Sprachausgabe ist professionell umgesetzt, die Musik ist passend, die Grafik ist zeitgemäß und auch heute (in der höchsten Auflösung) noch immer ansprechend. Es gibt sogar wunderbare Ironie im Spiel - beispielsweise wenn der Held auf seinem Weg in ein neues Gebiet einen Wachposten passiert und sich mit ihm unterhält: "Ich würde hier nur mit einer kleinen Armee weitergehen!" sagt der Wachmann warnend, und unser Held antwortet lapidar: "Ich bin eine kleine Armee." Überhaupt lebt auch dieses Spiel von den vielfältigen Dialogen - man sollte mit jedem NPC, der einem über den Weg läuft und der einen Namen trägt, unbedingt reden. - Heldenzitat aus dem Spiel, Platz 1:

"Ich glaube, ich haue dir jetzt erstmal eins aufs Maul!"

So let's go: Ich persönlich denke ja immer böse grinsend an die korrupte Bande der schmierigen Merkels, Gabriels und Konsorten, wenn ich wie hier fiese Monster, Banditen, Skelette oder Zombies niedermetzeln muss - das steigert den Spielspaß noch einmal erheblich.

Meine größte Kritik gilt in "Arcania" aber dem Finale, auf das man wirklich lange Zeit vorbereitet wird: Da gilt es im letzten Kapitel unzählige Quests zu erledigen, Gegner zu beseitigen, Höhlen und Ruinen zu erforschen und Gebiete zu erkunden. Das nimmt viele, viele Stunden in Anspruch, die eine Menge Spaß machen - und entsprechend hoch sind sodann die Erwartungen, wenn es endlich zur finalen Begegnung kommt. Die fällt dann aber eher wie ein lauer Furz vorm Schlafengehen aus und ist in wenigen Minuten vorbei - und, ehe man noch Luft holen kann, läuft schon der Abspann und das Abenteuer ist vorbei. Auch dies wirkt auf mich so, als sei viel mehr konzipiert gewesen - vielleicht aber ist das auch nur wieder die albekannte Abzockermasche, wesentliche Inhalte eines Spieles erst später als "Add-on" zu verkaufen und erneut dafür zu kassieren (es gibt ein solches "Add-on" zu diesem Spiel, das ich aber nicht kenne).

Trotzdem bleibt das Spiel für mich kurzweilige, entspannende Unterhaltung - besser als jeder flache Hollywood-Schinken es mit seinen lächerlichen 90 oder 120 Minuten je sein könnte. Ich habe es auf einem Win7/64-System ohne einen einzigen Absturz gespielt - aufgefallen sind mir lediglich ein paar wenige Grafik-Bugs, die aber der Rede nicht wert sind.


4 Kommentare:

Skeptiker hat gesagt…

Ich lese Dein Zeugs ja schon länger, Kietzneurotiker sei Dank.
Du bist immer am abreiern hier, gegen das kapitalistische System, Harz IV usw.. Komisch das du nicht "Schweinesystem" schreibst, so wurde noch vor 30 Jahren von Leuten Deines Schlages geschrieben.
Und jetzt ein genauester Bericht über ein absolutes Produkt des Kapitalismus. Ein Computerspiel.
Nichts steht meiner Meinung nach mehr für Unsere derzeitige Lage der Dinge.
Einsam zuhause hocken, Technik bedienen und in einer virtuellen Welt leben. Es gibt nichts erbärmlicheres.
Wo möchtest Du jetzt stehen ??

Charlie hat gesagt…

@ skeptiker: Es ist schön, dass Du mein "Zeugs" schon länger liest. Ich kann mit Deinem Kommentar aber trotzdem nicht viel anfangen, denn das, was Du hier explizit "den Computerspielen" ankreidest, gilt ja nun bekanntermaßen für sämtliche Lebensbereiche in diesem furchtbaren kapitalistischen System.

Mit gleichem Recht könntest Du auch fragen: "Wie, du liest Bücher? Weißt du denn nicht, dass diese einzig aus Profitinteresse verlegt und vetrieben werden?" Dasselbe gilt für Musik, Kunst, Nahrungsmittel oder auch für überlebensnotwendige Medikamente, um nur sehr wenige und willkürliche Beispiele zu nennen.

Solange dieses Schweinesystem (das Wort ist übrigens durchaus treffend) herrscht (bzw. uns beherrscht), solange müssen wir alle daran teilnehmen, ob es uns nun passt oder nicht.

Im Übrigen ist gerade das Genre der Computerspiele, über das ich nun schon zum 20. Male schreibe, ein Beispiel dafür, dass es auch ganz anders geht (siehe "Nehrim").

Wenn Du aber kein Freund von Computerspielen bist, ist Dir das doch unbenommen. :-)

"Erbärmlich" fühle ich mich allerdings wirklich sehr oft. Das liegt jedoch nicht an den gelegentlichen Spielen, die ich mir zur Regeneration und Flucht gönne, sondern an meiner völligen Unfähigkeit, am bestehenden System etwas zu ändern sowie der daraus resultierenden Ohnmacht.

Liebe Grüße!

epikur hat gesagt…

Spiel ist auch nicht gleich Spiel, um das zu betonen. Es gibt Autopilot-Verdummungs-Militär-Propaganda-Egoshooter wie die Call of Duty Reihe, infantile smartphone-Spielchen, aber eben auch Rollen- und Strategiespiele, mit toller Geschichte und bei dem man sein Hirnschmalz einsetzen muss. Und genauso ist es mit den Spielern: es gibt die World of Warcraft-Süchtigen, die Gelegenheitsspieler, die Hardcore-Gamer, die Entspannungs-Zocker und so weiter.

Die mangelnde Differenzierung übernehmen gerne Leute, die nur ihre Vorurteile und Klischees raushauen wollen. Auf dem gleichen Niveau wurde früher über Rocker und Horrorfilme geredet.

Charlie hat gesagt…

@ epikur: Das Niveau hat sich auch in Bezug auf Filme oder Musik nicht wesentlich verbessert, fürchte ich. Ich habe vor einiger Zeit auf Weckers Eso-Blog mal versucht, eine Lanze für Tarantino- und andere explizite Filme zu brechen, die dort von Häuptling Faulfuß und seinen Stiefelknechten in Bausch und Bogen verdammt wurden. Das Ergebnis war ein mittelprächtiger Shitstorm, in dem ich u.a. als "Gewaltverherrlicher" gebrandmarkt wurde. Und das als bekennender Pazifist. ;-)

Und wie das in solchen Kreisen so ist, durften damals auch einige Hassmails nicht fehlen, in denen wiederum mir physische Gewalt angedroht wurde.

Dagegen ist die hier von Skeptiker vorgetragene Kritik ja äußerst moderat und erträglich.

Liebe Grüße!