Donnerstag, 1. April 2010

Sozialrichter über Hartz IV: "Man macht Opfer zu Tätern. Das ist widerwärtig."

Der Jurist Jürgen Borchert geißelt das entfesselte Lohndumping infolge der Hartz-Gesetze, sieht gar die staatliche Abgabenpolitik als "einen einzigen Skandal". Im Gespräch mit ka-news (...) legt der hessische "Sozialrebell", der Grundzüge der Klage zum Hartz-IV-Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht vorbereitete, im zweiten Teil unseres Interviews auch den Finger in die Wunde, wenn es um die grundsätzliche Definition "Soziale Marktwirtschaft" und die Auswirkungen des Niedriglohnsektors geht. (...)

Borchert: Der Staat selbst hat für Unheil auf dem Arbeitsmarkt gesorgt, weil er vor allem durch die Maastricht-Verträge die wichtigsten Instrumente für den heimischen Arbeitsmarkt aus der Hand gegeben hat: nämlich die Geld-, Währungs- und Zinspolitik. Seitdem kann er Geld- und Steuerpolitik nicht mehr aufeinander abstimmen. In arbeitsmarktpolitischen Fragen ist der Staat zunehmend ohnmächtig. Und nun ausgerechnet in dieser Situation mit dem "Fordern und Fördern" und dem Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit der Arbeitslosen sich aus dem Staub zu machen, ist die große Verlogenheit der Gesetzgebung und der gegenwärtigen Diskussion. Man macht Opfer zu Tätern. Das ist widerwärtig. (...)

In der Tat hat erst die Hartz-I-Reform die Leiharbeit entfesselt. Sodann wurde dort ein Niedriglohnsektor etabliert, dem mit der komplementären Entrechtung und der Abschaffung der überkommenen Zumutbarkeitsregelungen durch Hartz IV schließlich die Arbeitskräfte in hellen Scharen zugetrieben wurden. Der viel gerühmte Gewinn an Arbeitsplätzen - 500.000 - ist hier entstanden. Arbeit, von der man nicht leben kann. Arbeit ohne Würde. Das hatte die Konsequenz, dass eine dynamische Abwärtsspirale der Einkommen in Gang gesetzt wurde. Diesem Sog sehen sich mittlerweile weite Teile der Mittelschicht ausgesetzt, die sich große existenzielle Sorgen machen. Dass das für die Demokratie tödlich sein kann, könnten wir ja besonders gut aus unserer eigenen Geschichte lernen, wenn wir nur wollten.

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Anmerkung: Solche Stimmen wird man in den Mainstreammedien zumeist vergeblich suchen - woran das wohl liegen mag? An der Wahrheit - insbesondere bezüglich der Hartz-Gesetze und deren (gewollten) Folgen - ist man dort offenbar nicht interessiert. Die Menschen in Deutschland sollen offenbar gar nicht in die Lage versetzt werden, durch Informationen erkennen zu können, dass mit dieser neoliberalen Eliten-Ideologie ein geschlossener Angriff gegen alle Bürger gestartet wurde, der auch schon viele "Früchte" getragen hat: Die Konten der Superreichen sind seitdem jedenfalls gewachsen, wie es sonst nur üble Krebsgeschwüre tun. - Und die explizite Warnung dieses Richters vor einem Verlust der Demokratie (die es längst nicht mehr gibt) bei gleichzeitigem Verweis auf die deutsche Geschichte macht deutlich, wie überaus gefährlich dieser irrwitzige Weg der gezielten Verarmung breiter Bevölkerungsteile zugunsten der Superreichen ist. - Doch die Medien schweigen - oder fachen die Hetze sogar an. Allmählich bekommt man eine Vorstellung davon, wie sich denkende Menschen ab 1933 gefühlt haben mögen.

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