Freitag, 14. Januar 2011

Faschismus: Schleichende Übernahme

Die Niederlande bieten ein Lehrstück. Hier zeigt sich, wie Intoleranz langsam in einer Gesellschaft wuchert – seit der Islamfeind und Populist Geert Wilders die bürgerliche Regierung toleriert.

In seinen Tagebüchern beschreibt der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer, wie sich in Deutschland nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten langsam die Sprache änderte. Wie die Lüge oder allenfalls halbe Wahrheit zur weitgehend akzeptierten Tatsache wurde, wie die Allgemeinheit die radikale Meinung über Minderheiten kaum merklich übernimmt. Eine ähnlich schleichende Radikalisierung nehmen viele in den Niederlanden wahr: Islamfeindliche Thesen, die vor einem Jahr als unerhört galten, sind heute unspektakulärer Gesprächsstoff in Fernseh-Talkshows. Was in öffentlichen Diskussionen vor kurzem noch jenseits einer allgemein respektierten Schamgrenze lag, wird heute lässig ausgesprochen.

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Anmerkung: Diese bedrohliche Entwicklung ist natürlich keineswegs auf die Niederlande beschränkt, auch wenn sie dort vielleicht besonders deutlich wird. Ein Blick zum Beispiel nach Ungarn oder auch ins eigene Land, nach Deutschland, offenbart dieselben fatalen Strömungen, die jedem wirklichen Demokraten die Angstperlen auf die Stirn treiben müssen. Unwillkürlich fällt mir ein Satz Paul Celans ein: "Das Grauen, es schläft nur."

Dennoch ist der Artikel der Frankfurter Rundschau sehr lesenswert und bietet Informationen, die nach meiner Wahrnehmung in den deutschen Propagandamedien größtenteils nicht vorkommen. Oder wussten Sie bereits, dass beispielsweise sechs von 23 PVV-Parlamentariern Gesetzesverstöße vorgeworfen werden oder nachgewiesen wurden, die genau jenen gleichen, "die die PVV-Propaganda den Einwanderern aus dem Maghreb zuschreibt, die sie deshalb attackiert und nicht mehr im Land haben will"? Wenn es nicht so zynisch wäre, müsste man einfach sagen: Ja, so war und ist diese rechte Bande eben - dreist, verlogen und kriminell.

Betroffen macht das düstere Fazit des Textes, das schlicht lautet: "Den Geist, den Rechtsliberale und Christdemokraten mit ihrem Tolerierungsexperiment aus der Flasche gelassen haben, werden sie nicht wieder einfangen können." - Streichen wir das "Tolerierungsexperiment" daraus und fügen Sozialdemokraten und Grüne zur Liste der Missetäter hinzu - und schon haben wir eine treffende Aussage, die für ganz Europa gilt.

Und die "Elite" frohlockt, weil sich wieder einmal der Hass, der eigentlich sie selbst betreffen müsste, an ethnischen und/oder sozialen Minderheiten abzureagieren beginnt.

Dazu passt:

In The Flesh

So ya, thought ya, might like to go to the show,
To feel the warm thrill of confusion, that space cadet glow?
Well, I got some bad news for you, Sunshine:
Pink isn't well, he stayed back at the hotel,
And they sent us along as a surrogate band.
Tonight we're gonna find out where you fans really stand!

Are there any queers [Schwule] in the theatre tonight?
- Get 'em up against the wall!
And there's one in the spotlight, he don't look right to me!
- Get him up against the wall!
And that one looks Jewish, and that one's a coon ["Nigger"] ...
Who let all this riff-raff [Abschaum] into the room?
There's one smoking a joint, and another with spots [Pickel] ...
If I had my way, I'd have ALL of you shot!

(Bob Geldof als Pink in Alan Parkers Film "Pink Floyd - The Wall" (1982), Musik und Text von Roger Waters)



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