Mittwoch, 10. August 2011

Die endgültige Kapitalisierung der Universitäten - oder: In den Händen der Schlips-Borg

Der Wettkampf um "Exzellenz" und "Elite" an deutschen Universitäten ist politisch gewollt. Was er alles anrichtet, zeigt eine Publikation des Soziologen Richard Münch

(...) Seit nun fast fünf Jahren hält ein anderer Wettkampf die deutschen Universitäten in Atem. Die politisch gewollte und durch finanzielle Anreize induzierte Konkurrenz um "Exzellenz" und "Elite" hat allerdings nur noch wenig mit argumentativen Auseinandersetzungen um innovative Thesen zu tun. Wie der namhafte Bamberger Soziologe Richard Münch in seiner jüngsten Publikation nachweist, zeigt dieser Wettbewerb etwas anderes: Er demonstriert die endgültige Kapitalisierung auch jener gesellschaftlichen Bereiche, die eigentlich dem Imperativ der zeit- und aufmerksamkeitsintensiven Wahrheitssuche folgen und nun aber nach dem Maßstab kurzfristiger Nutzenerwartung bewirtschaftet werden. Universitäten mutieren zu Unternehmen des akademischen Kapitalismus, wenn "Ranking" und "Benchmarking", "Monitoring" und "Qualitätsmanagement" zu politisch genutzten Steuerungsinstrumenten werden und letztlich ökonomisch über Wissenschaft entschieden wird.

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Anmerkung: Man mag es dem Autor - einem Dozenten für deutsche Literatur - nachsehen, dass er skandalöse, unhaltbare Zustände, die eine Verabschiedung von jedweder "freien Wissenschaft" zur Folge haben, in solche Satzungetüme packt. Der Kern seiner Kritik ist allerdings richtig, wenn auch bei weitem nicht weitgehend genug.

Es ist völliger Unsinn, Universitäten wie "Unternehmen" zu behandeln und zu "führen" und ihre "Produkte" kapitalistischen Verwertungsinteressen auszusetzen. Es war von Anfang an klar, dass dabei nur eine Entwissenschaftlichung und eine Konzentration auf profitträchtige Gebiete herauskommen kann.

Allein die Begriffe "Exzellenz" und "Elite" deuten schon an, in welche schauderhafte Richtung es da geht. Man kann in den USA doch sehen, wohin diese Entwicklung zielt: Dort gibt es massenhaft "Billig-Unis", die ein sehr kurzes Schmalspurstudium ohne Wert für die breite Masse der jungen Menschen zur Verfügung stellen, und einige wenige "Elite-Unis", die aber so hohe Studiengebühren verlangen, dass normale Menschen sie sich ohne Stipendien (die natürlich aus privaten Mitteln willkürlich und extrem spärlich vergeben werden) niemals leisten können. So werden sowohl die allgemeine Bildung, als auch die allgemeine Forschung und Wissenschaft rein kapitalistischen Gesetzen unterworfen, die nichts, aber auch gar nichts mehr mit dem Idealbild der "freien Wissenschaften" und einer gleichguten Bildung für alle zu tun haben.

Auch auf die im Artikel benannten Unterschiede zwischen dem kapitalistischen und dem wissenschaftlich orientierten Wettbewerb muss explizit hingewiesen werden. Ich kann dem Autor zwar insoweit nicht folgen, da ich auch im kapitalistischen Wettbewerbssystem eher eine soziale und ökologische Totalkatastrophe erkenne und alles andere als eine "optimale Allokation von Angebot und Nachfrage" - aber sei's drum. Im universitären System von Forschung und Lehre wirkt dieser alberne Wettbewerb jedenfalls ebenso katastrophal und hat ebenso unabsehbare Folgen - gerade für alle wissenschaftlichen Bereiche, die sich keiner direkten und kurzfristigen Profitschöpfung unterwerfen lassen. Das betrifft tatsächlich den Großteil aller wissenschaftlichen Forschung und Lehre.

Es ist ein vollkommenes Rätsel, dass es an deutschen Universitäten so ruhig bleibt. Man darf zwar getrost vermuten, dass der stark erhöhte Druck auf Studierende, die massive Verschulung und Verkürzung der Studiengänge sowie die zunehmende Prekarisierung des wissenschaftlichen und des Lehrpersonals da eine große Rolle spielen - aber dennoch irritiert diese Ruhe doch sehr. Als ich noch zum Kreis der Studierenden gehörte (was gar nicht so lange her ist), haben uns (einschließlich nicht weniger Dozenten) noch weitaus geringere Skandale auf die Palme und damit auf die Barrikaden gebracht.

Dieser radikale Umbau der Hochschullandschaft in Deutschland wird - neben dem Aussterben ganzer Wissenschaftszweige - zur Folge haben, dass wir zukünftig noch viel mehr austauschbare Schlips-Borg überall herumsitzen haben, die schlecht ausgebildet viel verbalen Müll reproduzieren und dabei doch nur dem Kollektiv der "Elite" zuarbeiten - darauf hoffend, selber doch bitte auch zur "Elite" zu gehören. Es sind gruselige Zeiten des puren Egoismus, die uns erwarten.

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