[oder: Wohin soll man flüchten?]
Herr, wissen Sie einen Ort auf der Welt,
wohin Sie gern führen, wo's Ihnen gefällt?
Ich selbst muss die Frage verneinen:
ich weiß nämlich leider keinen -
Bei uns ist überall Elend und Not,
man redet, verleumdet und schießt sich tot;
statt Silberstreif-Horizonten
grün-rot-braun-eiserne Fronten!
In Amerika gibt's keinen Alkohol,
in Indien fühlt man sich auch nicht wohl,
und China und Japan bereiten
sich vor zu "großen Zeiten".
In Spanien ist immer noch Revolution,
in Polen hängt man dich auf als Spion -
und wo die Gewehre nicht knallen,
hört man die Währungen fallen.
Am liebsten führ' man nach Afrika,
doch leider sind nur noch Filmleute da,
die alles niedermähen,
um einen Kulturfilm zu drehen.
Auch die Südsee war schön. Doch gerade zur Zeit
treten dort Vulkane in Tätigkeit.
Weshalb ich abends oft bete:
Herr, schenk' uns die Mondrakete!
-- Na und? Dann wäre sofort der Mond
von Kapital-Flüchtlingen bewohnt
und man träfe am Ende der Mondfahrt
womöglich grad Herrn von Gontard -
Groß war die Welt und schön war die Welt,
bis der Mensch sie verkleinert und bös entstellt!
Man kann nur auf geistigen Gleisen
per Alkohol flüchtend verreisen ---
(Karl Kinndt alias Reinhard Koester [1885-1956], in "Simplicissimus", Heft 45 vom 08.02.1932)
---
Nur Optimismus bringt Rettung!
"Ewig bleibt es ja nicht Winter; sobald das Eis schmilzt, kann ich wieder schwimmen."
(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 42 vom 15.01.1933)
Herr, wissen Sie einen Ort auf der Welt,
wohin Sie gern führen, wo's Ihnen gefällt?
Ich selbst muss die Frage verneinen:
ich weiß nämlich leider keinen -
Bei uns ist überall Elend und Not,
man redet, verleumdet und schießt sich tot;
statt Silberstreif-Horizonten
grün-rot-braun-eiserne Fronten!
In Amerika gibt's keinen Alkohol,
in Indien fühlt man sich auch nicht wohl,
und China und Japan bereiten
sich vor zu "großen Zeiten".
In Spanien ist immer noch Revolution,
in Polen hängt man dich auf als Spion -
und wo die Gewehre nicht knallen,
hört man die Währungen fallen.
Am liebsten führ' man nach Afrika,
doch leider sind nur noch Filmleute da,
die alles niedermähen,
um einen Kulturfilm zu drehen.
Auch die Südsee war schön. Doch gerade zur Zeit
treten dort Vulkane in Tätigkeit.
Weshalb ich abends oft bete:
Herr, schenk' uns die Mondrakete!
-- Na und? Dann wäre sofort der Mond
von Kapital-Flüchtlingen bewohnt
und man träfe am Ende der Mondfahrt
womöglich grad Herrn von Gontard -
Groß war die Welt und schön war die Welt,
bis der Mensch sie verkleinert und bös entstellt!
Man kann nur auf geistigen Gleisen
per Alkohol flüchtend verreisen ---
(Karl Kinndt alias Reinhard Koester [1885-1956], in "Simplicissimus", Heft 45 vom 08.02.1932)
---
Nur Optimismus bringt Rettung!
"Ewig bleibt es ja nicht Winter; sobald das Eis schmilzt, kann ich wieder schwimmen."
(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 42 vom 15.01.1933)
4 Kommentare:
Ich werde noch zum Kinndt-Fan wenn das so weitergeht :-) Auch die Zeichnung passt wieder wie die Faust aufs Auge. Na denn: Prost Mahlzeit.
Das Gedicht ist mit einem Wort: Genial. Ich habe es mal an die heutige Zeit "angepasst":
Herr, wissen Sie einen Ort auf der Welt,
wohin Sie gern führen, wo's Ihnen gefällt?
Ich selbst muss die Frage verneinen:
ich weiß nämlich leider keinen -
Bei uns ist überall Elend und Not,
man pennt und konsumiert sich tot;
statt Silberstreif-Horizonten
grün-rot-schwarz-gelbe Einheitsfronten!
In Amerika gibt's auch keine Demokratie,
China weiß davon ebenfalls nicht viel,
Italien und Griechenland wurden gebeten
gleich ganz zu verzichten. Betreten
schaun wir nach Ungarn, wo unterdessen
schalten und walten die alten Faschisten.
Wo neoliberale Ideen wieder lallen,
sieht man Sozialstaaten fallen.
Am liebsten führ' man nach Afrika,
doch leider sind nur Verhungernde da,
vom Weltmarkt gnadenlos niedergemäht,
die Leichenberge vom Winde verweht.
Auch Ägypten war schön. Doch gerade zur Zeit
treten dort Uniformierte in Tätigkeit.
Weshalb ich abends oft bete:
Herr, schenk' uns die Mondrakete!
-- Na und? Dann wäre sofort der Mond
von Wachstumsfetischisten bewohnt
und man träfe am Saum des Mondstrands
womöglich die liebe Familie der Quandts -
Groß war die Welt und schön war die Welt,
bis der Kapitalismus sie so bös entstellt!
Man kann nur auf geistigen Gleisen
per Alkohol flüchtend verreisen ---
Frau Merkel ruft laut: "Was soll denn die Farce?
Wir expandier'n bei Bedarf auch zum Mars!"
Diese Neuversion finde ich spitze, danke dafür D.K.i.M. :) Ich werds auswändig lernen!!
@ Der Kinndt im Manne: Auch von mir ein Dankeschön! :-) Das ist gute Arbeit.
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