Dienstag, 15. Januar 2013

Song des Tages: Mutter




(Torsten Rasch [*1965]: "Orchesterlied I: Mutter", aus dem Album "Mein Herz brennt. Liederzyklus nach Texten von Rammstein", 2003)

Die Tränen greiser Kinderschar
ich zieh sie auf ein weißes Haar
werf' in die Luft die nasse Kette
und wünsch' mir, dass ich eine Mutter hätte

Keine Sonne, die mir scheint
keine Brust hat Milch geweint
in meiner Kehle steckt ein Schlauch
hab' keinen Nabel auf dem Bauch

Mutter

Ich durfte keine Nippel lecken
hatt' keine Falte zum Verstecken
niemand gab mir einen Namen
gezeugt in Hast und ohne Samen

Der Mutter, die mich nie geboren
hab' ich heute Nacht geschworen:
ich werd' ihr eine Krankheit schenken
und sie danach im Fluss versenken

Mutter

In ihren Lungen wohnt ein Aal
auf meiner Stirn ein Muttermal
entferne es mit Messers Kuss
auch wenn ich daran sterben muss

Mutter

In ihren Lungen wohnt ein Aal
auf meiner Stirn ein Muttermal
entferne es mit Messers Kuss
auch wenn ich verbluten muss

Mutter
- oh gib mir Kraft.

---

Anmerkung: Dieser Liederzyklus des grandiosen Komponisten Torsten Rasch offenbart uns, was wir eigentlich schon immer geahnt haben: Die Musik von Rammstein ist ganz große Kunst, die wie ein Rohdiamant aber erst dann in ganzer Schönheit und Erhabenheit erstrahlt, wenn sie durch die musikalische Genialität eines solchen Komponisten "geschliffen" wurde.

Mich erinnern diese Orchesterlieder vor allem an die Höhepunkte des sinfonischen Schaffens von Gustav Mahler - einem Komponisten, der wie kaum ein anderer das spürbare Ende seiner eigenen musikalischen Epoche in Töne gegossen und fast hedonistisch gefeiert hat. Rasch greift dies fast augenzwinkernd auf, lässt den Zuhörer aber bewusst ins Leere laufen, denn seine Musik enthält - ganz im Gegensatz zu den Werken Mahlers - keinerlei Hinweise auf einen möglichen Neuanfang nach dem großen, hörbar gemachten Kollaps. Es ist gewiss kein Zufall, dass der Komponist ausgerechnet Lieder von Rammstein ausgewählt hat, um diese "Messe des Untergangs" musikalisch in Szene zu setzen.

Wie bei Rammstein und Mahler auch, gilt auch hier die Hörempfehlung, dieses Werk in brüllender Lautstärke und möglichst in der Dunkelheit anzuhören, um die ganze sinnliche Erfahrung dieser Kunst genießen zu können.

Dass ich persönlich die im Text besungene Mutter mit dem kapitalistischen Staat verbinde, dürfte niemanden überraschen.


3 Kommentare:

jakebaby hat gesagt…

"Die Musik von Rammstein ist ganz große Kunst, ..." ...?

Contraer lege ich das unter Verschiedener Geschmack ab.

Anabelle hat gesagt…

Also, mir gefällt das Lied sehr. Und die Assoziation mit dem Staat erzeugt schon eine schaurige Gänsehaut .... das möchte ich gerne mal live sehen/hören!!

darkmoon hat gesagt…

Ich kenn mich mit solcher Mucke ja kein bißchen aus aber irgendwie geil ist das schon ---- bizarr und gewagt! Könnt ich nich ständig hören aber für welche Mucke trifft das nicht zu.

Spannende Entdeckung, danke!