Samstag, 27. August 2016

Buchempfehlung: Spielzeit


Das Buch, das ich heute empfehlen möchte, habe ich seinerzeit in einer einzigen Nacht verschlungen und mich trotzdem noch lange danach mit der Thematik beschäftigen müssen: Der Roman "Spielzeit" von Norbert Stöbe dürfte heute indes kaum jemandem mehr bekannt sein, da er das Schicksal so vieler unter dem Label der Science Fiction veröffentlichen Werke teilt und in der Vergessenheit versunken ist. - Ich zitiere, wie gewohnt, der Einfachheit halber aus dem Klappentext:

"Reinhold Buntlaub, mit Vorbereitungen für eine Segeltour beschäftigt, findet sich unversehens in einer fremden Welt wieder. Wie kam er hierher? Wie wurde das bewirkt? Und von wem? Und wer ist das merkwürdige Wesen in seiner Nähe, das sich Xirtsch nennt?

Xirtsch scheint sich dieselben Fragen zu stellen. Eines ist sicher: Sie müssen überleben. Und das schaffen sie nur gemeinsam - welches Schicksal auch immer sie auf diesen wilden Planeten verschleppt hat. Überleben: Nahrung und Schutz suchen - und Orientierung. Irgendeine Bedeutung muss sich in diesem Ereignis verbergen, eine vertrackte Aufgabe, die es zu lösen gilt. Bald entdecken sie, dass sie nicht allein sind. Andere Wesen durchstreifen den Planeten ebenfalls.

Die Erksel sind eine hochtechnisierte Spezies. Fünf von ihnen haben sich zum SPIEL zusammengefunden. Sie spielen um Zeit, das kostbarste Gut. Sie spielen mit 'Figuren' - Lebewesen niedrigerer Intelligenz. Wie werden diese 'Figuren' sich verhalten, bewegen, entwickeln? Das gilt es abzuschätzen und vorauszuberechnen. Beim SPIEL kann man bluffen, betrügen, verlieren und gewinnen. Und man kann davon besessen werden."

Dieses Szenario ist seitdem in vielerlei Hinsicht von Hollywood und inzwischen auch der Computerspieleindustrie aufgegriffen worden - allerdings zumeist in einer nur rudimentären, stark trivialisierten Form, in der es vornehmlich um alberne Kämpfe geht, welche die völlig unvorbereitet in eine neue Situation geworfenen Protagonisten zu absolvieren haben. Eines die übelsten Beispiele ist der Hollywood-Schinken "Predator"; ein etwas ausgewogeneres, aber immer noch - in Relation zum Buch - eindimensionales Exempel der Film "Cube".

Stöbes Roman ist hundertfach facettenreicher und tiefgehender als diese Adaptionen und befindet sich weit fernab alles Trivialen. Wie in "ernsthafter" Science Fiction üblich, geht es auch hier letzten Endes nicht um irgendeinen fernen Planeten und fremde Wesen, sondern um ganz konkrete Themen und Probleme unserer aktuellen Gegenwart - was mir schon damals, als ich das Buch zum ersten Mal gelesen hatte, schnell klar war, obwohl ich seinerzeit noch über herzlich wenig Hintergrundwissen - nicht nur bezüglich der Literatur im Allgemeinen und der Science Fiction im Speziellen - verfügte.

Ein kurzer Textauszug mag das verdeutlichen. Gegen Ende des fesselnden Romans, als sich die Auflösungserscheinungen des (selbstverständlich kapitalistischen) "Spieles" der "Erksel" für den Protagonisten längst bemerkbar machen, heißt es:

Der Raum war etwa so abstrakt wie das Leben nach dem Tod. Eigentlich war er gar nicht vorhanden, und die Vorstellung fiel schwer, dass es ihn jemals wieder geben würde, so wie früher. Aber vielleicht stimmte das nicht, und es gab eher zuviel Raum, zuviel schwarzgefüllte Weite, zuviel Nichts.

Dieses Zitat ist nicht repräsentativ für das gesamte Werk, das sich in weiten Teilen sehr flüssig und leicht lesen lässt, macht aber deutlich, dass hinter dem Offensichtlichen - und zwar an jeder auch noch so oberflächlich wirkenden Stelle - etwas Tieferes zu finden ist, sofern der Leser denn gewillt oder in der Lage ist, sich dem zu öffnen. Dies ist im Übrigen eine der vielen Faszinationen, die Science-Fiction-Literatur schon immer auf mich ausgeübt hat: Das "Übersetzen" des Gelesenen in die Gegenwart des Rezipienten, wie das beispielsweise auch bei expressionistischer Literatur der Fall ist.

"Spielzeit" war eines der vielen Bücher, die meinen Entschluss, mich neben der Musik auch der Literaturwissenschaft zu verschreiben, vor 30 Jahren zementiert haben.



(Norbert Stöbe [*1953]: "Spielzeit", Heyne 1986)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ist das ein Buch über Bankster? Klingt ja fast so.

Fluchtwagenfahrer hat gesagt…

Moin Charlie,
thematisch gesehen scheint es wohl ziemlich nahe an
"Jäger des roten Mondes" von Marion Zimmer Bradley zu sein.
LG