Unsere schöne neue Welt wird tagtäglich immer noch schöner: Wer kennt den Begriff "Pre-Crime", der insbesondere durch Philip K. Dicks Kurzgeschichte "Minority Report" (1956) und die gleichnamige, allerdings wie gewohnt extrem flache Spielberg-Verfilmung mit dem üblen Scientologen Tom Cruise in der Hauptrolle (2002) bekannt geworden ist? Gemeint ist mit diesem Begriff die strafrechtliche Sanktionierung von Verbrechen, die noch gar nicht stattgefunden haben, die "aller Wahrscheinlichkeit nach" aber ausgeführt würden, wenn man die potenziellen Täter nicht daran hindere.
1956 war das selbstverständlich noch Science Fiction, 2002 schon nicht mehr - und heute ist dieses lupenrein faschistoide Modell auch in Dunkeldeutschland endlich angekommen. Anlässlich der Farce um den "Verdächtigen" Dschaber al-Bakr, der sich kürzlich unter mysteriösen Umständen in der Pre-Crime-Haft das Leben nahm, war in der Propagandapresse zu lesen:
Der Verdächtige war im Februar 2015 nach Sachsen gekommen und wurde im Juli dieses Jahres als Flüchtling anerkannt. Der Hinweis auf einen möglichen islamistischen Anschlag kam von einem befreundeten ausländischen Nachrichtendienst, wie Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, im ZDF sagte. Die Gefährlichkeit Al-Bakrs war also offenbar bekannt. / Aber wie umgehen mit Gefährdern? Unionspolitiker fordern die rechtliche Möglichkeit, Gefährder präventiv und frühzeitig in Haft nehmen zu können. Innenminister Thomas de Maizière hatte bereits im August erklärt, die "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" durch als gefährlich eingeschätzte Ausländer als Haftgrund einführen zu wollen. "Wir brauchen Schnellverfahren für straffällige Ausreisepflichtige und ausländische Gefährder", sagte de Maizière damals.
Das muss man sich, wie so oft, auf der Zunge zergehen lassen, auch wenn der Geschmack Brechreiz verursacht: die menschenfeindliche Bande will es gesetzlich verankern, dass Menschen, die von irgendwelchen ominösen Geheimdiensten oder anderen zwielichtigen Beschuldigern als "Gefährder" ausgemacht wurden, strafrechtlich belangt und in den Knast gesperrt werden. Dabei wird gerne übersehen, dass die Bande das ja bereits heute so handhabt - und zwar einzig auf der Grundlage der äußerst schwammigen, der Willkür Tür und Tor öffnenden Regelung bezüglich der "Untersuchungshaft". Wenn die widerliche Bande nun aber einen großen Schritt weiter in die Unrechtsstaatlichkeit ankündigt, geschieht das sicher nicht ohne Grund - auch wenn der, wie gewohnt, in der entsprechenden Meldung gar nicht genannt wird.
Wenn eine ekelhafte Hassfresse wie de Maizière den Mund öffnet, quillt natürlich braune, stinkende Gülle heraus, das kennen wir schon zur Genüge - allerdings darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass derlei Entwicklungen ursächlich nichts mit den Schlips-Borg-Marionetten in der Regierungssimulation zu tun haben. Die Ursachen sind vielmehr im Systemischen zu suchen: Es geht hier, wie immer im Zusammenhang mit dem albernen "Terror"-Gespenst, nicht um den Schutz von Menschen, sondern um die staatliche Macht, missliebige Personen jederzeit "gesetzeskonform" verfolgen und aus dem Verkehr ziehen zu können. Das barbarische, völlig groteske Szenario des "Pre-Crime" drängt sich hier förmlich auf, da es staatlichen Schergen einen fröhlichen Freibrief zur willkürlichen Inhaftierung von Menschen ausstellt. Irgendein unkontrollierter, gerne auch "befreundeter ausländischer" Geheimdienst wird sich jederzeit finden lassen, der einem Missliebigen den Status eines "Gefährders" zuweist, so dass er - völlig rechtskonform - auf unbestimmte Zeit und ohne Gerichtsverhandlung ins Lager deportiert werden kann.
Um wieviel schöner soll unsere verkommene, zerfallende Welt eigentlich noch werden, bis in diesem furchtbaren Land endlich jemand "Stop!" schreit, ohne den nationalistischen Braundeppen erneut auf den schmierigen Leim zu gehen?
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Der Gefangene
(Gemälde von Nikolai Alexandrowitsch Jaroschenko [1846-1898] aus dem Jahr 1878, Öl auf Leinwand, Tretjakow-Galerie, Moskau, Russland)
6 Kommentare:
Moin Charlie,
ja das mit dem pre-crime Szenario schwirrt mir auch seid geraumer Zeit durch den Kopf. Jetzt gilt es nur noch bürgerliches Denunziantentum und Verfolger auf einen Nenner zu bringen und BINGO dann geht die Rechnung "wieder" auf.
p.s. Philip K. Dick ist einer meiner absoluten Lieblingsschriftsteller und es lohnt sich sehr, seine schriftstellerischen Werke wieder in den Vordergrund zu rücken.
vielen Dank dafür
LG
Dear Charlie,
"Um wieviel schöner soll unsere verkommene, zerfallende Welt eigentlich noch werden, bis in diesem furchtbaren Land endlich jemand "Stop!" schreit..."
Es ist wohl in der Tat so, daß immer mehr Dystopien, die unsereins in den 60/70ern als spannend, furchterregend, interessant, - als SciFi, auf Filme bezogen, gut gemacht -, empfand, immer mehr von ihrer Phantastik (ja, ich hab’ sie geliebt, die Suhrkamp’sche Biblio-thek) verlieren. #Welt am Draht, #Fahrenheit 451, #Das blaue Palais, #Lem, #Soylent Grün, 2022 … die überleben wollen, #1984, etc… . Dieses schleichende self fullfilling (mir fällt kein eindeutigerer Begriff ein) wird und wurde, gestern wie heute, weitgehend ignoriert und Mahner lediglich als verwirrte „Maschinenstürmer“ denunziert. Was ja im herrschenden Kapitalismus nicht allzu schwer ist. Zum Glück hat heute wenigstens die mittlerweile voll-kommen schmerzbefreite Partei der kleinen Leute das neue BND-Gesetz mit durchgewunken.
Also: Alles Prima! Echt irre toll klasse prima. Prima. Prima. Alles wirklich spitze danke prima. (Thommie Bayer, 1983)
Tip für die, deren Gemüt noch nicht beladen genug ist: Die jetzt sich in der 3. Staffel befindende englische Serie Black Mirror https://de.wikipedia.org/wiki/Black_Mirror_(Fernsehserie). Selten etwas so beklemmendes gesehen. Und diesmal – ob wir’s noch erleben, sei dahingestellt -, wird es nicht so lange dauern. Auf allen einschlägigen Streamportalen zu geniesen. (Und nicht unbedingt von der ersten Folge irritieren lassen, die fällt ein wenig aus dem Rahmen.)
Jetzt aber noch was für’s Herz: Lord Byron von 1816:
Song of the Luddites
As the Liberty lads o’er the sea
Bought their freedom, and cheaply, with blood,
So we, boys, we
Will die fighting, or live free,
And down with all kings but King Ludd!
When the web that we weave is complete,
And the shuttle exchanged for the sword,
We will fling the winding-sheet
O'er the despot at our feet,
And dye it deep in the gore he has pour'd.
Though black as his heart its hue,
Since his veins are corrupted to mud,
Yet this is the dew
Which the tree shall renew
Of Liberty, planted by Ludd!
@ Theo Tiger
Dass die erste Folge aus dem Rahmen fiele, halte ich für übertrieben. Sie ist nur die am wenigsten Phantastische. Was könnten die möglichen Nebenwirkungen von Streaming-Technologie sein? - Schweinisches (Miß-)Vergnügen!
PS: Heute läuft die dritte Staffel an.
@ Theo Tier: Zum neuen BND-Gesetz, das Union und SPD verbrochen haben, möchte ich später noch etwas schreiben - ich hoffe, ich kann mich dazu aufraffen. ;-) Ich habe vorhin einige Äußerungen vom schmierigen Seidenklops Siggi Gabriel und anderen SPD-Zombies dazu gelesen und komme aus dem Haareraufen gar nicht mehr heraus.
Ansonsten danke für Deine Ergänzungen und insbesondere für den "Black Mirror"-Tipp: Diese Serie kenne ich nicht (ich lebe ja ohne TV); die Trailer, die ich dazu gefunden habe, sind allerdings sehr interessant! Besonders erhellend finde ich die Erklärung des Produzenten Charlie Brooker, zitiert nach Wikipedia:
"Der 'schwarze Spiegel' im Titel ist der, den man an jeder Wand, auf jedem Tisch, in jeder Handfläche findet: der kalte, glänzende Bildschirm eines Fernsehers, eines Computerbildschirms, eines Smartphones."
Liebe Grüße!
So viel Platz gibt's doch gar nicht im Gefängnis?
Die vegessen dabei,dass potentiell jeder "gefährlich" werden kann
@ Ve Rena: Ich befürchte, die korrupte Bande "vergisst" hier, abgesehen vom Grundgesetz, nichts, sondern denkt - ganz auf kapitalistischer Linie - ebenso: Potenziell ist die gesamte Bevölkerung (für das Kapital) "gefährlich". Daher schafft sie ja solche Orwell'schen Strukturen. Das kennen wir alles schon - in der Weimarer Endzeit war das nicht anders.
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