Montag, 14. November 2016

Schöne neue Welt, Kapitel 37: Manipulierte Audio-Dateien


Das "digitale Zeitalter" ist nicht nur eine Ära des "zukünftigen Vergessens", sondern zunehmend auch ein sumpfiger Tummelplatz der nicht mehr erkennbaren Manipulation. Ein kleiner Rückblick dazu:

Schriftliche Aufzeichnungen waren lange Zeit kaum oder nur unter großem Aufwand manipulierbar - das galt für Handgeschriebenes, aber auch für Gedrucktes gleichermaßen, sofern es nicht die ganze Auflage eines Buches oder einer Zeitung betraf. Das hat sich schon seit langem geändert - ein digital gespeicherter Text lässt sich problemlos von fast jedem innerhalb kürzester Zeit verändern, komplett umgestalten oder löschen. Dasselbe gilt seit ebenfalls geraumer Zeit für digital gespeicherte Bilder, die inzwischen auch von Laien ohne großen Aufwand fast beliebig verändert werden können. Auch Videos gehören inzwischen zu diesem Spektrum - beispielhaft dürfte wohl jedem noch der Scoop der Böhmermann-Redaktion bezüglich des angeblichen Varoufakis-Stinkefingers in Erinnerung sein.

Zukünftig wird das auch Audio-Dateien betreffen, also gesprochene, digital gespeicherte Texte. Der WDR-Blogger Jörg Schieb schrieb dazu vor zehn Tagen:

VoCo heißt das Projekt [von Adobe]. Die Idee dahinter ist so einfach wie erschreckend: Wenn alles perfekt funktioniert, soll es möglich sein, den gesprochenen Text jedes Menschen mit der Software umarbeiten zu können. Man kann den Menschen dann praktisch alles sagen lassen. Anfangs wird man das noch ein bisschen hören können, irgendwann soll es aber (nahezu) unmöglich sein zu erkennen, dass am gesprochenen Satz etwas geändert wurde. Wenn ich sage "Ich arbeite gerne beim WDR und mein Blog Digitalistan ist ein Quell steter Freude", könnte VoCo daraus mühelos machen: "Mein WDR-Blog Digitalistan ist viel Arbeit". Und das wäre noch ein harmloses Beispiel. / Die Software braucht dazu rund 20 Minuten gesprochenes Material einer Person.

Es dürfte also nicht mehr allzu lange dauern, bis man nicht nur Texten, Fotos und Videos mit einer gesunden Skepsis begegnen muss, sondern auch der aufgezeichneten, individuellen und oft unverkennbaren Stimme eines bestimmten Menschen. Da eröffnen sich nicht nur diversen Spinnern, den Widerlingen der Reklame-Pest sowie der Filmindustrie ganz neue Betätigungsfelder, sondern selbstverständlich auch den Propagandamedien, der korrupten politischen Bande und natürlich den organisierten Lobbyisten des Kapitals.

Ebenfalls gehört nicht viel Fantasie dazu sich auszumalen, wohin diese Entwicklung über kurz oder lang unweigerlich führen wird: In einer komplett digitalisierten Informationswelt wird es ein Leichtes sein, jedwede Information jederzeit zu generieren, zu unterdrücken oder beliebig zu manipulieren - völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt.

Im kapitalistischen Katastrophensystem kann das nicht gut ausgehen. Und das ist beileibe keine Schwarzmalerei.

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Screenshot: Original und Fälschung nach drei Minuten "Arbeit"


1 Kommentar:

Eike Brünig hat gesagt…

Ob nun gerade Adobe da der Vorreiter ist? Apple hat mit Siri da ja schon länger eine Technik am Start, die man nur umrüsten braucht. Ebenso sind die Sprachsteuerungen, die ursprünglich für sehbehinderte mal vorgesehen waren genauso manipulierbar. Vorbei die die Zeiten, in denen man noch alles händisch zusammenschneiden musste. Denkbar ist natürlich auch aus den Voicemails der Messenger und den Smartphonetelefonaten eine Art Voicefingerprint oder gar Voicepacks für intelligent Text to Speach oder Sprachsteuerungssysteme zu bilden.
Das Gute indes ist, dass die wenigstem Menschen sehr empfänglich für Audio sind, da ja Video auch immer im Direktzugrifff jederzeit möglich ist. Wenn dann im Zuge von Merged Reality u. ä. das allerdings verschmilzt, dann ist die Propaganda sicher.