- Zuerst war Köhlers Satz von den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands, die es notfalls militärisch zu verteidigen gelte, eine kaum beachtete Randnotiz. Die Redaktion des Deutschlandfunks hatte ihn gleich ganz aus dem Interview geschnitten und stattdessen den Fokus darauf gelegt, dass der Bundespräsident mangelnde Anerkennung und Respekt in der Bevölkerung gegenüber den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan beklagte. (...)
Die Entrüstung bahnte sich erst einige Tage später an: Am 27. Mai versammelte Spiegel-Online zahlreiche kritische Stimmen: Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, warf Köhler vor, der "Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr" geschadet zu haben, und stellte klar, man wolle keine "Wirtschaftskriege". Der Verfassungsrechtler Ulrich Preuß bezeichnete Köhlers Aussagen nicht nur als "höchst irritierend" und juristisch fragwürdig, sondern erkannte in ihnen auch Ähnlichkeiten zum englischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts. Tagesschau.de zitierte indes Grünen-Fraktionschef Trittin, der von "Kanonenbootspolitik" sprach. Linke-Parteichefin Gesine Lötzsch freute sich, dass Köhler "ausgeplaudert" habe, was ihre Partei schon seit Jahren kritisierte. Und Wolfgang Jaschensky von der Süddeutschen fragte sich sogar, ob sich "der bislang eher harmlose Horst" [von] Wilhelm II. [habe] inspirieren [lassen] und sich alsbald zu "Kaiser Horst I." aufschwinge.
(Weiterlesen) - Auszüge aus den "Verteidigungspolitischen Richtlinien [pdf]" (VPR) der Bundesregierung vom 26. November 1992, die der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) erlassen hat:
8. (...) Dabei läßt sich die deutsche Politik von vitalen Sicherheitsinteressen leiten:
(3) Bündnisbindung an die Nuklear- und Seemächte in der Nordatlantischen Allianz, da sich Deutschland als Nichtnuklearmacht und kontinentale Mittelmacht mit weltweiten Interessen nicht allein behaupten kann
(8) Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung
(10) Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft, unseren militärischen Beitrag und vor allem unsere Glaubwürdigkeit als stabile, handlungsfähige Demokratie.
23. In einer interdependenten Welt sind alle Staaten verwundbar, unterentwickelte Länder aufgrund ihrer Schwäche und hochentwickelte Industriestaaten aufgrund ihrer empfindlichen Strukturen. Jede Form internationaler Destabilisierung beeinträchtigt den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt, zerstört Entwicklungschancen, setzt Migrationsbewegungen in Gang, vernichtet Ressourcen, begünstigt Radikalisierungsprozesse und fördert die Gewaltbereitschaft. Kommt es zu solchen Fehlentwicklungen, werden zerstörerische Einflüsse auch in die hochentwickelten Gesellschaften getragen. Bei insgesamt negativem Entwicklungsverlauf kann dieser Zusammenhang auch militärische Dimensionen gewinnen.
27. Deutschland ist aufgrund seiner internationalen Verflechtungen und globalen Interessen vom gesamten Risikospektrum betroffen. Wir müssen daher in der Lage sein, auf entstehende Krisen im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme einwirken zu können. Wenn die internationale Rechtsordnung gebrochen wird oder der Frieden gefährdet ist, muß Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft auch militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können.
38. Ein souveräner Staat muß wehrhaft und wehrbereit bleiben. Um sich gegen die Unwägbarkeiten künftiger Entwicklungen zu wappnen. Verteidigung ist der politische Legitimationsrahmen für die Streitkräfte und die Allgemeine Wehrpflicht. Der Schutz unseres Landes gegen äußere Gefahr bleibt auch künftig Sache aller Bürger. Die Allgemeine Wehrpflicht ist die Klammer zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Die Wehrpflicht hat sich als Wehrfom für unseren demokratischen Staat bewährt und bleibt auch weiterhin zentrales Element unserer Sicherheitsvorsorge. Eine an die neuen Rahmenbedingungen und langen Warnzeiten angepaßte Verteidigungsfähigkeit stellt auch in der Zukunft Grundlage der deutschen Sicherheitsvorsorge dar. Verteidigungsvorsorge kann künftig nicht auf das eigene Territorium beschränkt bleiben, denn sie ist ein kollektiver Ansatz. Für Deutschland bedeutet Verteidigung immer Verteidigung im Bündnis im Sinne einer erweiterten Landesverteidigung. Ein Teil der deutschen Streitkräfte muß daher zum Einsatz außerhalb Deutschlands befähigt sein.
(Quelle)
Statt einer Anmerkung (mir fehlen angesichts dieses Theaters ohnehin die Worte): Horst Köhler und Gattin beim "Großen Zapfenstreich" - seiner offiziellen "Verabschiedung" aus dem Amt des Bundespräsidenten am 15.06.2010. Laut tagesschau.de hatte er "Tränen in den Augen", als die Bundeswehrkapelle den St. Louis Blues spielte. DDR 2.0.
(Bild: dpa)
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