Montag, 14. Juni 2010

Über den "Nationalstolz"

(...) Beim Nachdenken über den Nationalstolz stelle ich fest: Er ist mir fremd. Gelegentlich bin ich mit mir zufrieden, wenn mir etwas Nützliches gelungen ist. Aber dabei halte ich mich ungern lange auf, arbeite lieber weiter. Wenn Stolz auf eigene Leistung mich befiele, würde ich es wahrscheinlich für klug halten, ihn schnell abzuschütteln, bevor er mich etwa anderen entfremdet, mit denen ich gern zusammenarbeite.

Schon gar nicht möchte ich stolz sein auf etwas, was mir zugefallen ist: meine Nationalität. Und nie will ich mich mit denen gemein machen, die in den 1980er Jahren anfingen, Hemden mit dem Aufdruck "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" durch die Straßen zu tragen. Mit dieser Parole stellten sie sich mir und allen entgegen, die versuchten, über Nazi-Verbrechen aufzuklären (...).

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Anmerkung: Ich bitte, die deutlichen Worte zu entschuldigen - aber wie um alles in der Welt kann ein Mensch "stolz" auf etwas sein, auf das er keinen Einfluss hat und hatte? Wie dumm muss man sein, um "stolz" auf seine blonden oder braunen Haare, seine Augenfarbe oder gar auf die Leistungen oder Körpermerkmale irgendwelcher anderer Menschen, die man persönlich gar nicht kennt, zu sein?

Gerade in diesen Tagen wird das wieder allzu offensichtlich, wenn massenweise Personen im schwarz-rot-goldenen Wahn durch das Land düsen - als ob es irgendeinen Unterschied für sie macht, ob nun die Fußballmannschaft, deren Mitglieder einen deutschen Pass haben (warum auch immer), mehr Tore schießt als die Mannschaft mit den anderen Pässen.

Einen solchen diffusen Stolz gibt es doch sonst nur noch in der Familie - eine Mutter oder ein Vater mag "stolz" darauf sein, wenn der Sohn oder die Tochter irgendetwas gut gemeistert oder vollbracht hat. So weit, so gut - da geht es um Menschen, die einem persönlich sehr am Herzen liegen und von denen man möglicherweise glaubt, dass sie diese Unterstützung benötigen oder dass sie ihnen zumindest gut tut. Aber "Nationalstolz"? Was soll das? Wen juckt es, ob Herr Podolski bei der WM im auch von Deutschland ausgebeuteten Südafrika einen Ball ins Tor schießt? Was hat das mit Schwarz-Rot-Gold zu tun - der Mann ist doch im üblichen, nationalen Denken ein "Pollacke" - und kein Deutscher?

Was ist überhaupt "deutsch"? Reicht ein deutscher Pass, um in diesen Denkkreisen als Deutscher zu gelten? Das dachten viele Menschen vor 80 Jahren wohl auch - denn die meisten der damals Verfolgten und Ermordeten besaßen genau diesen Pass. Heute scheint das nicht wesentlich anders zu sein, denn ganz egal, welchen Pass jemand besitzt - "beurteilt" wird er doch weiterhin in der Öffentlichkeit nach seinem Namen, seinem Aussehen, und - ja, auch das scheint immer noch ein Aspekt zu sein - nach seiner Religion.

Was soll das also sein - Nationalstolz? Die breite Masse der Menschen wird in Deutschland ganz genauso am Nasenring durch die Arena des Kapitalismus geführt, wie das in allen anderen Nationen des Kapitalismus auch geschieht. Und nicht umsonst sind es transnationale Konzerne, die davon profitieren - denen ist es nämlich vollkommen egal, in welchem Land sie ihren Profit machen und welche "Nationalitäten" sie ausbeuten und zugrunde richten.

"Nationalstolz" ist von vorvorgestern - und er entspringt derselben Quelle, aus der auch der Neoliberalismus seine braunen Winde entlässt, die wir allenthalben spüren.

Mein Gott (auch wenn ich nicht mehr an ihn glaube): Es gab das alles doch schon einmal. Eine tiefe, zunehmende Depresssion, einen immer ungestümer auftretenden Kapitalismus, eine Verschiebung der "Schuld" auf die Arbeitslosen, die sich einem immer stärker werdenden Druck ausgesetzt sahen - bis dann das "Nationale" die Vorherrschaft übernahm und die größte Katastrophe in Gang setzte, die Europa je gesehen hat - natürlich nicht für die "Elite" (die machte währenddessen und danach einfach so weiter wie zuvor), aber für den Rest der Menschheit.

Wir brauchen keinen "Nationalstolz" - der nützt, wieder einmal, nur den Reichen. Wir brauchen einen Menschenstolz - eine Solidarität unter den Menschen, die unter dem Kapitalismus leiden (und das sind nahezu alle). Hört auf damit, diese albernen Flaggen zu schwingen, welche Farbe sie auch immer zeigen mögen - und hört auf damit, den Millionären, die da über den Fußballplatz laufen und die ein Symptom dafür sind, wie absurd dieses System ist, Beifall zu bekunden. Fällt es denn wirklich sonst niemandem auf, wie absurd es ist, kleine Jungs oder Mädchen wie Lena, Klose und viele andere auf unsere Kosten zu Millionären zu machen, während wir weiter immer weiter verarmt werden? Und denen jubeln wir auch noch zu?

Wieviele ernsthafte Musiker und meinetwegen auch Sportler gibt es wohl in diesem Land, die eine ähnliche Bezahlung - gemessen an ihrer Leistung - wohl verdient hätten? Daran sieht man schon: Es geht nicht um Leistung. Das ist alles ein hohles Spiel, eine Farce. Aber das Volk schwingt die Fahne und brüllt.

Schwarz - Rot - Erbrochenes.

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